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Warum hat man nicht frühzeitig von China gelernt? |
Von Michael Borchmann · 2020-03-20 · Quelle:german.china.org.cn |
Stichwörter: Deutschland;Coronavirus | Druck |
„Wir haben bis jetzt wahnsinnig viel Zeit verschlafen.“ Diese drastischen Worte gebrauchte Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, am vergangenen Sonntagabend in der deutschen TV-Gesprächsrunde "Anne Will" von ARD. Und weiter: Bei Bekanntwerden der ersten Fälle in China hätte Europa tätig werden müssen. Spätestens die Rückreisewellen nach den Winterferien hätten ihr Übriges getan. „Ein Kind in Bayern in der Schule hat in acht Wochen 3.000 Menschen infiziert“, erläuterte der Wissenschaftler. Das Virus verbreite sich in einer exponentiellen Kurve. Ein halbes Prozent der 3.000 stürbe. Das seien 15 Menschen. Das Virus verhalte sich wie ein Uhrwerk. So wären frühzeitig Einreisekontrollen und Kontrollen im Land angezeigt gewesen. Nun aber sei es „eine Minute vor 12“ und „die letzte Verteidigungslinie der Mensch selbst“.
Und die Warnung von Kekulé war nicht neu. Bereits drei Wochen zuvor hatte der Virologe im „Deutschlandfunk“ gewarnt, der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn unterschätze die Gefahr durch Coronavirus. Das Bundesgesundheitsministerium stelle das Virus weiterhin als harmloser als die Grippe dar. Allerdings liege die Sterblichkeit bei der Grippe bei etwa 0,1 Prozent, beim neuartigen Coronavirus hingegen zwischen 0,5 und 1,5 Prozent. „Das heißt, das Virus ist für denjenigen, der die Infektion bekommt, zehn Mal gefährlicher“, hatte der Virologe geäußert.
Das Luftbild vom 1. Februar 2020 zeigt die Baustelle des Huoshenshan (auf Deutsch: Feuergott-Berg)-Krankenhauses in Wuhan in der zentralchinesischen Provinz Hubei.
Und in der Tat: Das bedrohliche Geschehen in China sowie die massiven und entschlossenen Bekämpfungsmaßnahmen der chinesischen Staatsführung waren auch in Deutschland und überhaupt in Europa hinlänglich bekannt. Aber von einem zielgerichteten und entschlossenen Handeln der Akteure keine Spur.
Ende Januar noch hatte der deutsche Gesundheitsminister betont: „Die Gefahr für die Gesundheit der Menschen bleibt in Deutschland weiterhin gering”. Anfang Februar sah er angesichts des bisherigen Verlaufs der Coronavirus-Erkrankungen ausreichend gerüstet. „Wichtig ist: Für diese Situation jetzt haben wir Intensivstationen, haben wir ausreichende Isolierstationen und Zimmer, haben wir die ausreichende Kapazität, die wir brauchen. “Und Ende Februar hat er sich trotz des sich weiter ausbreitenden Coronavirus gegen eine sofortige Schließung der deutschen Grenzen ausgesprochen. „Wir sind gemeinsam mit allen Gesundheitsministern aus der Region zu dem Ergebnis gekommen, zu diesem Zeitpunkt wäre eine Grenzschließung oder auch Einschränkung nicht verhältnismäßig“. Eine Absage erteilt wurde auch einem Verbot von Großveranstaltungen oder auch einer Absperrung von Infektionsgebieten.
Auch nachdem die dramatischen Erkrankungsverkäufe in Italien, dann in Spanien, Frankreich, der Schweiz und schließlich in österreichischen Ski- und Feiergebieten ebenso wie die Infektionslage in Deutschland immer bedrohlichere Formen annahmen, gab es immer noch viel Wirrwarr unter den staatlichen Akteuren. So kündigten einige Bundesländer frühzeitig die Schließung von Schulen und Kindertagesstätten an, während andere sehr zögerlich reagierten und erst unter dem Druck von Medien und öffentlicher Meinung „zum Jagen getragen werden mussten“.Während ein Bundesland sofort seine Grenze zu Frankreich schloss, wollte ein anderes die Grenze aus „freundschaftlichen Gründen“ offen halten, knickte aber dann aus Sorge vor dem Druck der Öffentlichkeit ein. Und ein weiteres Beispiel: Am 11. März noch vormittags verkündete der Frankfurter Gesundheitsdezernent, ein internationales Fußballspiel könne tags darauf vor 50.000 Zuschauern stattfinden, am Abend desselben Tages erfolgte dann wiederum – wohl auch auf Grund des Druckes der Landesregierung, der Zuschauerausschluss.
All dies macht deutlich: Das bisherige Geschehen war geprägt von einem Hin und Her, einer nicht zu verkennenden Unsicherheit von Akteuren unterschiedlicher staatlicher Ebenen. Vor diesem Hintergrund war dann am 12. März von der Bundeskanzlerin selbst nach einem Treffen mit den Länderchefs ein klarer Appell zu hören: Sie rief nach dem Treffen zu einem Verzicht auf alle nicht notwendigen Veranstaltungen mit weniger als 1000 Teilnehmern auf. „Das ist ein Aufruf an alle“, sagte Merkel. Als weitere Option nannte Merkel die vorübergehenden Schließungen von Schulen und Kindergärten in besonders betroffenen Bundesländern, etwa durch Vorziehen der Osterferien. Entschieden werden soll das in den Ländern selbst. Schließungen kämen demnach dort infrage, wo es bereits viele Infizierte gebe. Sie betonte allgemein, oberstes Ziel sei es, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Nur so könne eine Überlastung des Gesundheitssystems verhindert werden. Ein bemerkenswerter Satz, macht es doch deutlich, wie wenig belastbar oder gar „blauäugig“ die Beschwichtigungen ihres Gesundheitsministers noch im Januar und Februar waren, das deutsche Gesundheitssystem sei bestens aufgestellt und auf alle Eventualitäten vorbereitet. Wie wenig belastbar und wie „blauäugig“, machte denn auch die bereits eingangs zitierte TV-Gesprächsrunde deutlich. Hier hatte die Ärztliche Leiterin des Charité-Zentrums für Anästhesiologie und Intensivmedizin folgende besorgniserregende Fakten genannt: 500.000 Krankenhausbetten gibt es, 28.000 davon sind Intensivbetten. Von diesen haben 25.000 Beatmungsgeräte. Im Schnitt sind 80 Prozent der Geräte im Normalbetrieb belegt, 5 Prozent der Covid-19-Patienten brauchen eine Beatmungstherapie. 17.000 Pflegekräfte fehlen. Mit anderen Worten: Einen kurzfristigen massiven Anstieg der Erkrankungen kann das deutsche Gesundheitssystem nicht verkraften. Die Bedrohung – die in Italien Realität geworden ist – ist, dass zu viele Menschen in zu kurzer Zeit krank werden. Man müsste Menschen mangels ausreichender Versorgung sterben lassen!
Fakt ist, dass sich nunmehr die Ereignisse weltweit überschlagen. In den USA spricht ein Präsidentschaftsbewerber davon, dass man gegen das Virus in den Krieg ziehe und die Armee einsetzen müsse. Frankreichs Staatspräsident bemüht zur Begründung der massiven Einschränkungen und Verbote ebenfalls die Formel, dass sich sein Land im Krieg befinde. Rigorose Einschränkungen finden sich allerorts in Europa, Grenzen auch unter den EU-Ländern werden geschlossen, Verkehrsverbindungen drastisch eingeschränkt. Auch in Deutschland haben die Regierungen von Bund und Ländern nunmehr ein Maßnahmenpaket vereinbart, das massive Einschnitte in den Alltag aller Bürger enthält. Geschlossen werden etwa Einzelhandelsgeschäfte (außer solchen des Grundbedarfs), Bars, Klubs, Kultur- und Sporteinrichtungen oder Spielplätze. Urlaubsreisen sind in den kommenden Wochen praktisch gar nicht mehr möglich. Der Besuch von Speisegaststätten wird zeitlich limitiert. Besuchsmöglichkeiten in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen werden beschränkt. Zusammenkünfte unterschiedlichster Art werden verboten, sei es gesellschaftlicher, kultureller oder religiöser Art. Dazu kommen die ohnehin von den Ländern bereits angeordnete Schul- und Kitaschließungen – und die Kontrollen an den Grenzen.
Während China auf dem Wege ist, die Corona-Bedrohung mehr und mehr in den Griff zu bekommen, zeigt man sich in Europa aufgrund der „Plötzlichkeit“ und Massivität der Bedrohung überrascht, ja, sogar hektisch. Dabei hätte man bei einem frühzeitigen Blick auf die Entwicklung in China lernen können, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Überzeugt haben mich die Worte, mit denen ein deutscher Expat in China in einem Interview die Entwicklung in Beijing geschildert hat. Sie habe sich in Beijing immer sicher gefühlt. Die Regierung habe die richtigen Maßnahmen getroffen. Alle hätten sich diszipliniert daran gehalten, seien auch zuhause geblieben. Der Erfolg gebe China Recht. Nur so sei die Krise zu bewältigen.
* Der Autor, Dr. jur. Michael Borchmann, ist Ministerialdirigent a.D. (Land Hessen), Mitglied des Justizprüfungsamtes Hessen a.D. und Senior Adviser der China International Investment Promotion Agency (CIIPA). Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.
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