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„Ich habe auch in Zukunft zahllose Gründe, mein Augenmerk auf China gerichtet zu lassen“ |
Von Marc-Stephan Arnold · 2017-09-27 · Quelle:Beijing Rundschau |
Stichwörter: Sinologe; Manfred Frühauf; Studium in China | Druck |
Was hat Sie bei Ihren Besuchen in China am meisten überrascht?
So naiv es heute auch klingen mag: es war damals für uns junge Sinologiestudenten völlig überraschend festzustellen, daß die Menschen im Alltag eben doch nicht ausschließlich nur politische Parolen und Zitate aus den Werken führender Persönlichkeiten des Staates verwendeten, sondern auch über sozusagen ganz normale Dinge sprachen: Familie, Freunde, Schule, Berufsleben, Hoffnungen und Wünsche usw. Dies hatte damals übrigens gelegentlich Konsequenzen für die Sprachausbildung an deutschen sinologischen Instituten, da die damaligen Lehrbücher aus Beijing und Shanghai diese Inhalte in der Regel nicht vermittelten.
Vor allem aber bewundere ich seit vielen Jahren immer wieder den Optimismus, den ich sehe und in Gesprächen hören kann, ein Optimismus, der keine Blindheit für Mängel oder gar Mißstände in der Lebenswirklichkeit bedeutet, aber auf einer unerschütterlichen Zuversicht basiert, daß man alle Widrigkeiten irgendwie überwinden kann und langfristig für sich selbst, für die nachfolgenden Generationen große Verbesserungen erreichen wird.
Wie oft haben Sie China später noch besucht? Welche Veränderungen sind Ihnen dabei im Lauf der Jahre aufgefallen?
Von 1976 bis 2017 habe ich fast jedes Jahr China besucht und über diesen langen Zeitraum die ungeheuren Veränderungen beobachtet, die mit atemberaubender Wucht über die Menschen hereingebrochen sind. Über die Jahre hinweg hat mich die Anpassungsfähigkeit und die Belastbarkeit der chinesischen Bevölkerung zutiefst beeindruckt, die binnen weniger Jahrzehnte Veränderungen und Umbrüche in ihrer Lebensweise bewältigen mußte, die z.T. ähnlich auch in Europa stattfanden, für die wir Europäer uns aber mehrere Jahrhunderte Zeit nahmen.
Auch wenn ich Realist genug bin, um einzusehen, daß dies vielleicht eine unausweichliche Entwicklung ist, finde ich es dennoch sehr schade, daß das Verhalten der Menschen in China in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten so starke materialistische Züge angenommen hat. Es gab vor vielen Jahren eine Karikatur, in der das berühmte Zitat von Deng Xiaoping yíqiè wàng qián kàn (一切往前看 ; „Immer nach vorne/Richtung Zukunft schauen“) umgetextet wurde zu yíqiè wàng qián kàn (一切往钱看 ; „Immer nach dem Geld schauen“): dieses beißende Wortspiel gilt heutzutage noch sehr viel mehr als damals.
Sie haben während Ihrer Zeit in China bestimmt viele interessante Dinge erlebt. Erzählen Sie uns doch eine kurze Anekdote …
Ende der 1970er Jahre kamen nur sehr wenige westliche Reisende nach China. Auch lernten damals bei weitem nicht so viele Studenten Chinesisch wie etwa heute. In dieser Zeit habe ich es nicht nur einmal erlebt, daß ich jemanden auf Chinesisch ansprach, und der Betreffende sich an den neben ihm Stehenden wandte: „Das war eben merkwürdig: Wenn das Chinesisch gewesen wäre, dann hätte der Ausländer das und das gesagt, aber als Ausländer kann er ja kein Chinesisch sprechen können, also muß es Ausländisch gewesen sein, und das verstehe ich nicht!“
Für Sie als ehemaligen Leiter des Sinicums am Landesspracheninstitut Nordrhein-Westfalen standen China und die chinesische Sprache lange Zeit im Mittelpunkt Ihrer beruflichen Karriere. Wie sieht das im Ruhestand aus – wird Sie das Reich der Mitte weiter beschäftigen, oder haben Sie jetzt genug von China?
Die vielen Aufgaben und Pflichten, die die Leitung eines solchen Instituts mit sich bringt, waren spannend, lehrreich und befriedigend, und ich habe diese Arbeit gerne getan, aber dies war genau gesagt nicht der eigentliche Mittelpunkt meines fachlichen Werdeganges und meiner Interessen. Es gibt über 4000 Jahre hinweg eine schriftlich belegte chinesische Kulturgeschichte, und ich werde mit Sicherheit noch viele faszinierende literarische Dokumente Chinas für mich entdecken und mich damit beschäftigen. Auch gibt es noch mehr als genug Orte und historische Stätten, die ich trotz so vieler Chinareisen und -aufenthalte noch immer nicht besucht habe ‒ mit anderen Worten:Ich habe auch in Zukunft zahllose Gründe, um mein Augenmerk auf China gerichtet zu lassen!
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