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Kann Deutschland inmitten der Flüchtlingskrise Europa anführen? |
Von Wu Huiping · 2016-01-12 · Quelle:Beijing Rundschau |
Stichwörter: Flüchtlingskrise;Deutschland; | Druck |
Die Besonderheiten der europäischen Politik behindern die von Deutschland eingebrachten Initiativen
Das politische System der EU ist gemacht, um die Vorherrschaft eines einzelnen Landes zu verhindern, weshalb die vermehrte Dominanz Deutschlands auf Widerstand in anderen Ländern stößt. Trotz des deutsch-französischen Solidaritätsaufrufs vor dem Europäischen Parlament ist klar, dass sich durch die anhaltende europäische Schuldenkrise die Kluft zwischen den nord- und südeuropäischen Mitgliedsstaaten vergrößerte, dass die Flüchtlingskrise die Beziehungen aller Länder zueinander schwächte und dass sich große Differenzen zwischen den ost- und westeuropäischen Mitgliedsstaaten offenbarten. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban warf Deutschland „moralischen Imperialismus" vor. Zudem erklärte er, dass die Flüchtlingskrise kein Problem Ungarns oder Europas wäre, sondern das Deutschlands. Tschechische Medien kritisierten Deutschland, dass es einmal mehr seine Interessen anderen Ländern aufzwingen wolle. Die deutsch-tschechischen Beziehungen wurden durch die Flüchtlingskrise auf ein Niveau von vor 20 Jahren zurückgeworfen. Die slowakische Regierung reichte Anfang Dezember vor dem Europäischen Gerichtshof eine Klage gegen die Flüchtlingsquoten ein und nannte sie den „Blitzkrieg Deutschlands und Brüssels". Mittlerweile sagte sogar Donald Tusk, der anerkannte, dass Deutschland die Hauptverantwortung in der Flüchtlingskrise trage, dass die Pläne der Quote eine Art „politische Nötigung" seien. Bei den Flüchtlingsquoten beharren die Länder auf ihren Positionen, sehen in erster Linie ihre nationalen Interessen und versuchen, die Verantwortung für die Ansiedlung der Flüchtlinge wohlhabenden Staaten wie Deutschland und Schweden zu aufzubürden.
Das Ausmaß der Flüchtlingskrise ist zu groß, als dass ein Land sie allein schultern könnte. Ob Deutschland die europäischen Partner überzeugen kann, einen gemeinsamen Lösungsansatz zu finden, könnte der Prüfstein für Deutschlands Fähigkeit, die Führungsrolle in Europa zu übernehmen, sein. Doch bis heute ist der Einfluss der deutschen Regierung auf die anderen Länder begrenzt, außer Appellen für Einigkeit und Fairness hat sie keine Mittel, die anderen Mitgliedsländer zur Zusammenarbeit zu bringen. Deutschland konnte nur mit einem Teil der Mitgliedsstaaten, einem „Club der Willigen", Fortschritte machen und beispielsweise die Zusammenarbeit mit der Türkei verstärken. Um ein so großes Projekt zu bewältigen, braucht die Europäische Integration Kompromisse und muss die Interessen der einzelnen Mitgliedsstaaten balancieren, ohne Zwang anwenden zu müssen. Nach dem Amtsantritt der neuen polnischen Regierung änderte das Land erneut die Richtung und lehnt verpflichtete Quoten ab. Dadurch wackelt der gesamte, erst am Jahresende aufgestellte, Plan und auch Deutschland weiß an dieser Stelle nicht weiter.
Die Flüchtlingskrise treibt Deutschlands Außenpolitikmöglicherweise in Richtung Restriktion
Hans Kundnani, ein Forscher am „European Council on Foreign Relations" (ECFR) [einem pan-europäischer Think Tank], zeigt in seinem Buch „The Paradox of German Power" das Paradoxon einer Führungsrolle Deutschlands auf. Derzeit ist es gleichzeitig stark und schwach. Deutschlands Stand als lokale Großmacht ist durch diesen Widerspruch beschränkt. In der Flüchtlingskrise wurde dieses Paradoxon erneut offenbar. Da Deutschland weder die Ursache der Flüchtlingskrise, noch die Einstellung der anderen europäischen Länder kontrollieren kann, trat Kanzlerin Merkel selbst gegen eine Obergrenze von Flüchtlingen auf und musste enormem politischem Druck standhalten, wodurch letztlich Deutschlands Einfluss in Europa stieg.
In der Tat hat Deutschland, das in der Flüchtlingskrise einen moralisch hohen Platz eingenommen hat, traditionell keine Willkommenskultur gegenüber Migranten. Keineswegs standen Moral und Verantwortung und das Banner der EU von Anfang an im Vordergrund, es hat seine Einstellung gegenüber verpflichteten Quoten erst geändert. Deutschland und Frankreich waren lange Zeit gegen Quoten eingestellt, da angesichts der wirtschaftlichen Stärke und der Bevölkerungszahl Deutschland zweifelsohne den größten Anteil an Flüchtlingen aufnehmen müsste. Seit 2015 eine große Zahl von Flüchtlingen direkt nach Deutschland kam, was dazu führte, dass Deutschland am 13. September 2015, als es dem großen Flüchtlingsansturm nicht mehr Herr wurde, wieder Grenzkontrollen einführte, vor allem mit Personenkontrollen an der Grenze zu Österreich.
Die Flüchtlingskrise oder die Umgestaltung der deutschen Europa- und Außenpolitik trieb Deutschland, nachdem es in den letzten Jahren eine positivere und dynamischere Außenpolitik versucht hatte, wieder zu einer restriktiveren Linie zurück. Deutschland hat heute nicht den Willen und angesichts der verschiedenen Schwierigkeiten und Aufgaben auch nicht die Kraft, der „Anführer Europas" zu werden. Deutschlands Einflusskraft in Europa wird häufig durch die Grenzen der eigenen Kräfte limitiert, daher darf man Deutschland in Europa nicht überschätzen, dass man sogar so weit geht, ihm den politischen Willen und die Handlungskraft, internationalen Angelegenheiten zu lösen, zuzuschreiben.
(Die Autorin ist Professorin für deutsche Politik an der Tongji Universität)
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