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Anschluss finden – wie der Landkreis Fengdu die Fesseln der Armut abstreift |
Von Verena Menzel · 2019-07-04 · Quelle:China heute |
Stichwörter: Armutsüberwindung;Chongqing | Druck |
Doch es sind nicht nur Geldmittel, die heute aus Chinas städtischen Regionen in den ländlichen Raum fließen, sondern auch ein Stück städtischer Mentalität. Das zeigt sich am Beispiel des jungen Gründers Zhang Yuan, der aus dem kleinen Dorf Tianshui der Fengduer Gemeinde Xingyi stammt.
Bevor Zhang Yuan zum „E-Commerce-Makler“ in seiner Heimat wurde, hatte er sich in Beijing als Servicekraft, Koch und Verkäufer im Telemarketing versucht.
Wie viele seiner Generation mit ländlichem Hintergrund zog es den jungen Mann Jahrgang 1986 nach dem Schulabschluss erst einmal in die Stadt, um Geld zu verdienen. 2003, mit 17 Jahren, folgte er einer Cousine nach Beijing. Er arbeitete als Bedienung im Restaurant, ließ sich zum Koch anlernen, startete sogar einen ersten Anlauf als Selbstständiger im Bereich Telemarketing, der jedoch nicht glückte.
2010 fasste Zhang den Entschluss, in die Heimat zurückzukehren, um in der Nähe seiner Familie zu sein und eine eigene Familie zu gründen. Mit zurück brachte er sieben Jahre Lebenserfahrung in Chinas pulsierender Hauptstadt und ein Stück Gründergeist, wie er in den modernen Metropolen im Reich der Mitte heute allgegenwärtig ist.
„Außerhalb als Wanderarbeiter sein Geld zu verdienen, ist nichts, was man ewig machen kann“, sagt er. „Ich wollte beruflich etwas Eigenes auf die Beine stellen, selbst einen Wert erschaffen. Für mich stand also fest, dass ich nach der Rückkehr unbedingt ein eigenes Geschäft aufziehen wollte.“
Nach weiteren Gehversuchen in der Selbstständigkeit, als Catering-Anbieter für Hochzeiten und als Landwirt, nahm der 33-Jährige im vergangen Jahr schließlich an einer staatlich geförderten Fortbildung zum Onlinehändler für den Vertrieb von Agrarprodukten aus der Region teil.
Heute ist Zhang einer von insgesamt 100 sogenannten „E-Commerce-Maklern“ der Gemeinde Xingyi. Dieses von der Regierung geförderte Projekt soll der Gemeinde den Anschluss an einen in den Städten boomenden Wirtschaftsbereich ermöglichen: den Onlinehandel.
Während in chinesischen Städten der E-Commerce floriert und aus dem Alltag der Menschen kaum mehr wegzudenken ist, hatten viele ländliche Regionen in diesem Bereich lange das Nachsehen. Das lag vor allem an den schwierigen Lieferbedingungen in abgelegene Dörfer, wie uns Huang Hong, stellvertretender Direktor des Handelsausschusses des Kreises Fengdu, erklärt.
„In der Vergangenheit gab es für Paketzustellungen oft lange Lieferzeiten. Teils wurden Gemeinden von den privaten Paketlieferdiensten nur alle zwei Wochen angesteuert, in abgelegene Dörfer wurde erst gar nicht ausgeliefert“, sagt er.
Das hat sich geändert, seit im Jahr 2017 in der Kreisstadt ein eigenes Verteilzentrum für Paketlieferungen gegründet wurde. Hier laden die großen landesweiten Zulieferdienste heute ihre Sendungen ab. Dann kommen die „E-Commerce-Makler“ ins Spiel. Diese übernehmen nämlich nicht nur den Onlineverkauf der örtlichen Agrarprodukte über verschiedene Internetplattformen, sondern helfen auch dabei, die letzten Kilometer zwischen Erzeuger und Verteilzentrum zu überbrücken.
Zhang Yuan und seine Mitstreiter holen ankommende Lieferungen jeden Tag im Paketzentrum ab und fahren sie in das Dorf, für das sie zuständig sind. Umgekehrt nehmen sie dort bestellte Agrarprodukte direkt bei den erzeugenden Landwirten in Empfang, verpacken sie und fahren sie ins städtische Verteilzentrum. Damit fungieren sie als entscheidendes Bindeglied, das die Lücke zwischen Onlinekäufern im ganzen Land und den einfachen Landwirten der Region füllt, die so mithilfe des Internets neue Absatzmöglichkeiten gefunden haben.
„Heute sind die Sendungen spätestens 24 Stunden nach Bestellung hier bei uns im Verteilzentrum und können landesweit verschickt werden“, erzählt Huang Hong stolz. Für Zhang Yue, mittlerweile glücklicher Familienvater von zwei Söhnen, ist mit dem Onlinegeschäft der Traum der Selbstständigkeit in Erfüllung gegangen: „Ich verdiene über den Onlineshop heute in etwa das Gleiche wie zuvor, als ich in der Stadt gearbeitet habe, mit dem Unterschied, dass ich jetzt zuhause bei meiner Familie sein kann“, sagt er.
Eine Schule für Eltern
Auch Bildung formt einen wichtigen Schlüssel zur Schaffung von Wohlstand und Chancengleichheit. Auch in diesem Bereich hat sich in den letzten Jahren in Fengdu Einiges bewegt. Um den Bildungsrückstand zu städtischen Regionen zu verringern, zeigt sich der Kreis aufgeschlossen für innovative Konzepte.
Elternschule: Tai Jiaxiong spricht zum Thema „Kinder zum Teamgeist erziehen“.
Eines davon wurde in der Gemeinde Huwei, genauer gesagt im Dorf Daxi entwickelt. Auch dieser Ort kämpft darum, den Anschluss zu finden. „Die Schulen hier sind im Vergleich zu anderen Regionen noch immer weniger gut aufgestellt, egal ob in Bezug auf die Ausstattung oder die Qualität des Unterrichts“, schildert Hu Xiaofei, stellvertretender Direktor der Abteilung für moralische Bildung der Xianbinjiang Middle School, die Lage. Hinzu kommt, dass viele Kinder im Ort von den Großeltern betreut werden, da beide Elternteile außerhalb als Wanderarbeiter ihr Geld verdienen. „Von den insgesamt 65 Kindern hier im Dorf, wachsen 22 in der Obhut der Großeltern auf. Das Alter dieser Kinder bewegt sich zwischen 3 und 17 Jahren“, sagt Hu.
In einem Land wie China, das in den letzten vier Jahrzehnten gleich mehrere Entwicklungssprünge vollzogen hat, ist auch die Kluft zwischen den Generationen groß, was sich in den Erziehungsmethoden der älteren Generation, insbesondre auf dem Land, spiegele, wie uns Tai Jiaxiong, stellvertretender Direktor der Gewerkschaft der örtlichen Xianbinjiang Middle School, erklärt. Er ist im Rahmen der Arbeit zur Armutsüberwindung durch Bildung aus der Stadt in das Dorf gekommen.
„Als ich hier ankam, habe ich schnell festgestellt, dass die Leute wenig über moderne Erziehungsmethoden wussten. Sie habe entweder geschimpft oder ihre Kinder geschlagen und sie manchmal auch eingesperrt. Das hinterlässt natürlich seine Spuren an Kinderseelen“, sagt Tai, der 25 Jahre Berufserfahrung im Bereich Pädagogik und Werteerziehung mitbringt.
„Armutsüberwindung durch Bildung muss meiner Meinung nach schon bei den Eltern ansetzen, die dann ihr Wissen an die Kinder weitergeben und diese anleiten können“, sagt er. Aus diesem Gedanken heraus entstand die Idee, ein Bildungsangebot der anderen Art auf die Beine zu stellen, bei dem nicht Kinder, sondern deren Erziehungsberechtigte die Schulbank drücken. Seit dem vergangenen Jahr gibt es diese „Elternschule“ nun im Ort. Einmal pro Monat werden hier kostenlose Kurse zu Erziehungsfragen angeboten. Auf dem Lehrplan stehen Themen wie die Förderung von Teamgeist, Ehrlichkeit, Selbstständigkeit und Verantwortungsgefühl, die Entwicklung eines gesunden Selbstvertrauens, Hilfe beim Setzen eigener Lebensziele und dem Umgang mit Rückschlägen, Spaß am Lernen und ein gesunder Lebenswandel.
Die 35-jährige He Lianhua (r.) hat ihren jüngsten Spross (5) zum Unterricht mitgebracht. Sie hat noch einen zweiten Sohn im Alter von 15 Jahren.
Eine der Teilnehmerinnen ist die 35-jährige He Lianhua. Sie hat zwei Söhne im Alter von 5 und 15 Jahren. Der älteste Spross ist überwiegend bei den Großeltern aufgewachsen, während He rund acht Jahre lang im fernen Guangdong in einer Fabrik am Fließband schuftete. Ihr Mann war als Fernfahrer ebenfalls kaum zu Hause.
„Mein Ältester ist mir über die Jahre fremd geworden“, sagt sie heute. Er rebellierte und war kaum zugänglich, sie fühlte sich mit der Erziehung in einer Sackgasse. „Ich bin sehr dankbar, dass es nun die Elternschule gibt. Sie lässt mich meine Erziehungsmethoden überdenken und ich habe mich durch den Kurs selbst besser kennengelernt. Ich bin nun weniger egozentrisch und suche bei Problemen die Schuld nicht mehr nur allein bei meinem Sohn“, sagt sie.
Die Jahre in der Stadt haben He den Blick über den Tellerrand ermöglicht. Sie zeigt sich wissbegierig und hofft für ihren Nachwuchs auf eine bessere Zukunft. „Was wir hier auf dem Land brauchen, ist eine Chance, aufzuschließen und mit Menschen aus anderen Gesellschaftskreisen in Kontakt zu kommen, uns auszutauschen“, sagt die junge Mutter. Die Elternschule biete dafür eine gute Plattform.
Nun soll das innovative Konzept, für das Tai Jiaxiong spezielle Lehrmaterialien entwickelt hat, auch in anderen Armutsgebieten Schule machen. Erste Nachahmerprojekte im Kreis gibt es bereits.
Noch viel zu tun
Das Beispiel Fengdu zeigt: Egal, ob in Bezug auf Kapital, Mentalität oder Bildung, langsam finden wichtige Entwicklungsfaktoren ihren Weg in Chinas Armutsgebiete. Dennoch zeigt sich auch: es gibt noch viel zu tun, soll den unterentwickelten Gebieten und ihren Menschen der Anschluss an die wohlhabenden Küstengebiete gelingen.
Sicher ist, langfristig wird sich China sich nur dann gut entwickeln können, wenn alle gemeinsam nach vorne laufen, die Schnelleren die Langsameren an die Hand nehmen, keiner unverschuldet auf der Strecke bleibt und echte Chancengleichheit garantiert wird. Dafür muss sichergestellt werden, dass die durchaus vorhandenen Gelder und Mittel zielgerichtet eingesetzt werden und auch wirklich da ankommen, wo sie gebraucht werden und nicht unterwegs versickern.
Wenn dies gelingt, stehen die Chancen gut, dass China das sprichwörtliche Kunststück gelingt, sich „am eigenen Schopfe aus dem Sumpfe“ zu ziehen und die Armut im Land aus eigener Kraft erfolgreich zu überwinden.
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