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Anschluss finden – wie der Landkreis Fengdu die Fesseln der Armut abstreift |
Von Verena Menzel · 2019-07-04 · Quelle:China heute |
Stichwörter: Armutsüberwindung;Chongqing | Druck |
Stellen Sie sich vor, Sie wollen erstmals mit einem Team in einem internationalen Laufwettbewerb antreten. Wen schicken Sie ins Rennen? Und wie bereiten Sie Ihre Athleten auf den Wettbewerb vor?
Nun, zunächst einmal werden Sie sich für Sportler entscheiden, die bereits einige gute körperliche Grundvoraussetzungen mitbringen und vielleicht sogar schon etwas internationale Wettbewerbserfahrung gesammelt haben. Außerdem werden Sie wohl ein gut ausgestattetes Trainingslager einrichten, in dem Sie ihre Auswahltalente intensiv auf das Kräftemessen mit der internationalen Konkurrenz vorbereiten.
Wolkenmeer am „Drachenfluss“: Auch an den Ufern des Longhe, einem Zufluss des Changjiang, liegen einige arme Dörfer.
Was Sie dagegen kaum tun werden, ist, auf ungeschulte Amateure aus entlegenen Gebieten mit eher schwacher körperlicher Konstitution zurückzugreifen und diese von Grund auf neu auszubilden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Wettkampfvorbereitung in der Regel unter einem gewissen Zeitdruck steht.
Mit dieser Strategie werden Sie dann wahrscheinlich ein paar gut aufgestellte Läufer ins Rennen schicken können, die vielleicht schon in den ersten Läufen mit der internationalen Elite mithalten können, auch wenn Sie sicherlich nicht gleich auf dem Siegertreppchen landen.
Einen großen Haken hat die Sache allerdings: Der ohnehin bestehende Abstand zwischen Ihren untrainierten Amateurläufern aus abgelegenen Landesteilen, die nicht in den Genuss eines aufwendigen Trainings und vorzüglicher sportlicher Infrastruktur gekommen sind, wird sich durch Ihr Vorgehen unweigerlich noch vergrößern. Es wird von daher dringend nötig sein, nach und nach für alle potentiellen Athleten im Land bessere Bedingungen zu schaffen und den Breitensport intensiv zu fördern. Nur so werden sie langfristig gute sportliche Leistungen vorweisen können und Chancengleichheit schaffen.
Was hat das mit Armutsüberwindung zu tun?
Vielleicht fragen Sie sich jetzt, was das alles mit China und dem Thema Armutsüberwindung zu tun hat? Nun, bei genauerem Hinsehen eine ganze Menge!
Denn China hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten seit Einführung der Reform- und Öffnungspolitik – vereinfacht gesprochen – genau für eine solche Strategie entschieden.
Statt das riesige Land langsam und gleichmäßig zu entwickeln, setzte die chinesische Führung seit Ende der 1970er Jahre darauf, zunächst nur einige ausgewählte Regionen mit guten Ausgangsbedingungen im Eiltempo für den internationalen Wettbewerb fit zu machen und sie zu frühem Wohlstand zu führen, nämlich Chinas geographisch und historisch begünstigte Küstengebiete im Osten und Südosten des Landes, die über eine günstige Lage, eine gewisse Infrastruktur und Erfahrungen im wirtschaftlichen und kulturellen Austausch mit dem Ausland verfügten.
Durch die Etablierung spezieller Sonderwirtschaftszonen und Hafenstädte mit Sonderstatus schuf die Regierung gut ausgestattete „Entwicklungstrainingslager“, um den Küstenregionen den Anschluss an die Weltwirtschaft zu ermöglichen.
Heute, im Jahr 2019, blickt die Welt mit Respekt auf das Wirtschaftswunder, das China dank dieser Entwicklungsstrategie gelungen ist. Auch hat es das Land in den letzten vierzig Jahren auf diese Weise geschafft, über 700 Millionen Menschen erfolgreich aus der Armut zu befreien.
Die Entwicklungsstrategie hat ihren Preis
Doch diese Entwicklungsstrategie hatte für das Land ihren Preis. Denn während der Osten voraussprintete und sich mittlerweile anschickt, im Rennen um die digitale Revolution vorne mitzumischen, ging die Entwicklung in vielen ländlichen Regionen nur schleppend voran. Zwar wurde und wird auch hier zunehmend in den Aufbau von Infrastruktur und Wirtschaftsentwicklung investiert, doch Fakt ist, dass sich durch die gewählte Politik die Entwicklungsschere zwischen Ost und West erst einmal weiter geöffnet hat. Viele ländliche Regionen, insbesondere in Zentral- und Westchina, aber auch in einigen Teilen Nordchinas wurden von den Küstenregionen auf der wirtschaftlichen Laufbahn bereits mehrfach überrundet.
Hinzu kommt, dass das Entwicklungsungleichgewicht dafür gesorgt hat, dass Millionen von Menschen als Wanderarbeiter vom Land in die entwickelten Städte gezogen sind, wo durch den Wirtschaftsboom ein riesiger Bedarf an Arbeitskräften entstanden ist. So entstanden ausgehöhlte Dörfer und ländliche Gemeinden, in denen oft nur Alte, Frauen und Kinder zurückblieben.
Chinas Regierung steuert schon seit einigen Jahren aktiv durch gezielte Entwicklungsprogramme gegen, um den abgehängten Regionen den Anschluss zu ermöglichen. Dazu zählen die Programme zur groß angelegten Erschließung der westlichen Regionen (seit 1999), zur Wiederbelebung Nordostchinas (2004), zum Aufstieg Zentralchinas (2005) und zum Aufbau neuer sozialistischer Dörfer (2006). Spätestens bis Ende kommenden Jahres, so das Ziel, sollen alle Chinesen mithilfe dieser Anstrengungen die Armut überwunden haben.
Zwar hat die beschriebene unausgewogene Entwicklungsstrategie das bestehende Wohlstandgefälle zwischen Ost und West in Teilen überhaupt erst entstehen lassen, doch paradoxer Weise bieten gerade die genannten Entwicklungsunterschiede heute gleichzeitig auch den nötigen Schlüssel zur Lösung des entstandenen Widerspruchs und ermöglichen es China, aus eigener Kraft die Armut im Land zu überwinden. Wie muss man sich das vorstellen? Wir haben uns auf eine Reise in Chinas westliches Landesinnere begeben, um uns vor Ort ein Bild von den aktuellen Entwicklungen zu machen.
Die idyllische Kulisse trügt
Das idyllische Dörfchen Lüchunba soll zum Ausflugsziel für stressgeplagte Großstädter werden.
Wir reisen ins Umland der westchinesischen Megametropole Chongqing in der Provinz Sichuan, ein Ballungsraum, der im Westen als größtes Stadtgebiet der Welt Berühmtheit erlangt hat. Unser Ziel ist allerdings nicht die Millionenstadt selbst, sondern der Kreis Fengdu, eine in vielen Teilen ländlich geprägte Region, die rund zwei Autostunden vom internationalen Flughafen Chongqing entfernt liegt.
Der Kreis Fengdu mit seinen rund 830.000 Einwohnern liegt im Staubecken des berühmten Dreischluchtendamms am „langen Fluss“ (Changjiang), der sich hier durch die Berglandschaft mit ihrer üppig wuchernden Vegetation schlängelt. Die Natur ist vielerorts unberührt, die Luft feucht und das Terrain wasserreich, von den Roterde-Hängen plätschern hier und da Wasserfälle.
Doch die idyllische Kulisse trügt: Denn der Kreis Fengdu ist genau eine dieser Regionen, die heute den Anschluss sucht. Im Jahr 2002 wurde Fengdu zum Schwerpunktkreis im Bereich der Armutsüberwindung erklärt. Seither hat sich zwar vieles bewegt und 2017 konnte der Kreis das Label des Armutskreises nach 15 Jahren harter Arbeit erfolgreich abstreifen, doch es sind längst noch nicht alle Probleme gelöst. Das Wohlstandsgefälle zwischen Stadt und Land ist auch hier noch immer groß.
Auch Fengdu hat mit dem Problem ausgehöhlter Dörfer zu kämpfen, die teils schwierigen geographischen Voraussetzung erschweren die Entwicklung einer modernen, wettbewerbsfähigen Landwirtschaft und auch in Sachen Bildung hinken die meisten der insgesamt 30 Gemeinden und Dörfer noch immer weit hinterher.
Bei der Lösung der bestehenden Probleme und der Konsolidierung bereits erzielter Erfolge im Bereich der Armutsüberwindung setzt die Lokalregierung auf innovative Maßnahmen, die speziell auf die Schwierigkeiten der Region zugeschnitten und doch exemplarisch für die Anstrengungen im Kampf gegen die Armut auch in anderen Teilen Chinas sind.
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