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E-Mobilität: Es geht weder ohne Europa noch ohne China |
Von Zhou Mi* · 2024-05-07 · Quelle:german.chinatoday.com.cn |
Stichwörter: Elektromobilität;Europa;China | Druck |
„Moving towards increased affordability“, auf Deutsch in etwa „Hin zu mehr Erschwinglichkeit“ – so lautet der Titel des neuen „Global EV Outlook 2024“, eine Publikation, die am 23. April von der in Paris ansässigen Internationalen Energieagentur (IEA) veröffentlicht wurde. Damit diese Vision Wirklichkeit wird, ist es unabdingbar, batteriebetriebene Elektrofahrzeuge (BEV) für die Verbraucher kostengünstiger und besser zugänglich zu machen.
Für die Elektromobilität war 2023 ein Rekordjahr. Laut IEA stiegen die weltweiten E-Auto-Verkäufe im vergangenen Jahr um satte 35 Prozent auf fast 14 Millionen Fahrzeuge. Das entspricht knapp einem Fünftel aller Autoverkäufe weltweit. Nachfrage-Hotspots waren dabei weiterhin allen voran China (60 Prozent), gefolgt von Europa (25 Prozent) und den Vereinigten Staaten (10 Prozent). De facto ist jede dritte Neuzulassung in China ein Stromer, während in Europa und den USA jeweils 20 Prozent bzw. 10 Prozent aller Neuzulassungen elektrisch sind. Aus diesen Zahlen lässt sich folgern, dass in Europa, einem der traditionell wichtigsten Automärkte der Welt, der große Elektro-Boom noch aussteht.
Mit erneuerbarer Energie angetriebene Fahrzeuge – für viele klingt das nach modernster Technik. Dabei ist diese Art der Fortbewegung gar nicht so neu. Sie ist sogar noch älter als der Verbrenner. Doch angesichts des globalen Netzwerkes von Erdöl und Petrochemie sowie Verbesserungsbedarf bei der Batterietechnologie fristete die Elektromobilität lange ein Nischendasein. Durchbrüche schienen schwierig. Doch dann kam die Wende: Infolge des weltweiten Konsenses zur Bekämpfung des Klimawandels ist die Verringerung der verkehrsbedingten Kohlenstoffemissionen zum zentralen Anliegen und zur Hauptstoßrichtung geworden.
Highlight Batteriewechsel: Auf der diesjährigen Internationalen Automobilausstellung in Beijing zieht der chinesische Autohersteller Nio mit seinen Wechselbatterien die Blicke auf sich. Dank der neuen Technik können Fahrer innerhalb weniger Minuten leere Batterien gegen volle austauschen, alles voll automatisch. (Foto: Ju Huanzong / Xinhua)
Als globaler Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel hat die Europäische Union sich ausführliche und ehrgeizige Ziele für die grüne Transformation gesteckt, mit dem klaren Wunsch, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent zu senken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind Maßnahmen in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft unerlässlich. Der Verkehr ist einer der wichtigsten Sektoren darunter.
Doch es gibt auch Stolpersteine: Als bedeutender Produktionsstandort für herkömmliche Verbrenner war man in Europa lange angebotsorientiert, was dazu führte, dass die europäischen Länder in Sachen E-Autos und Hybridfahrzeuge lange hinterherhinkten. Da bekannte europäische Autohersteller lange die Markttrends vorgaben, richteten sie ihr Augenmerk weiterhin auf den Verbrenner, setzten auf mehr Motorleistung, attraktivere Designs und niedrigere Produktionskosten. Der Grund: Lange vermieden sie bewusst F&E-Investitionen in E-Autos, um sich selbst keine Marktanteile streitig zu machen. Will man diesen Widerspruch zwischen Angebot und Nachfrage auflösen, wird man für die Zukunft nicht umhinkommen, die Rolle des Marktes bei der Ressourcenallokation tatsächlich voll zur Geltung zu bringen.
Demgegenüber erlebte die E-Auto-Branche in China in den letzten Jahren einen raschen Aufschwung. Gestützt auf ein komplettes Fertigungssystem und den richtigen Nachfrage-Riecher sowie dank der Vorteile des inländischen Marktes tat sich eine ganze Reihe von chinesischen Start-ups mit Erfolgsmodellen hervor, die auch auf dem internationalen Markt Anerkennung fanden. Im Unterschied zum Verbrenner punkten chinesische E-Autos mit relativ einfachen Produktionsverfahren, einer stärkeren Interaktion zwischen Hersteller und Verbraucher, aber auch mit kurzen Aktualisierungszeiten und häufigen Updates. Hierbei spielen auch Nutzungsszenarien und Kosten eine wichtige Rolle.
Der Elektro-Boom in der Volksrepublik ist einerseits auf eine immer bessere Infrastruktur zurückzuführen. Andererseits hängt er auch eng mit den Gesetzen, Vorschriften und dem unterstützenden politischen Umfeld im Land zusammen. Die gute Ladeninfrastruktur beispielsweise hat dazu beigetragen, die Kosten für Stromer in China massiv zu senken, was dem Kundenerlebnis natürlich sehr zuträglich ist.
Bei neuen Energien als Wirtschaftszweig geht es nicht nur um Unterschiede in der Energie, sondern auch um eine breite Palette von harten und weichen Vorbedingungen. Für eine stabile und nachhaltige E-Auto-Branche braucht man nämlich sowohl technologische Innovationen als auch starke Produktions- und Dienstleistungskapazitäten. Als wichtiger Baustein der Internationalisierung der traditionellen Automobilbranche punktet die chinesische Autoindustrie insbesondere mit ihrer kompletten Industriekette und speziellen Produktionsbasen für die Entwicklung von New-Energy-Fahrzeugen.
Zudem gelang es in China, ein vergleichsweise vollständiges Ökosystem herauszubilden, wobei batteriebetriebene Elektrofahrzeuge im Zentrum stehen, also Fahrzeuge, die ausschließlich Elektromotoren verwenden und damit auch nur einen Antrieb besitzen. Hier glänzt China in Bezug auf Akkus, Energiespeicher und Telematik. Auf diese Weise bietet die Volksrepublik allen Beteiligten ein gutes Entwicklungsumfeld, wobei die Hersteller vor- und nachgelagerte Synergieeffekte der Industriekette nutzen und mit ihren Produkten genau auf die Kundenbedürfnisse eingehen. Dank des guten Umfeldes springen auch immer mehr ausländische Automarken auf den Zug der chinesischen E-Auto-Branche auf und verlagern Teile ihrer Forschung und Produktion nach China.
In jüngster Zeit werfen einige westliche Regierungen und Medien China jedoch immer wieder vor, die Märkte mit vermeintlichen Überkapazitäten zu fluten, als Folge großangelegter staatlicher Wettbewerbsverzerrung durch Subventionen, vor allem im Bereich der Elektromobilität. Dies schade der Wirtschaft anderer Länder, so der Vorwurf. Auf Grundlage dieser Behauptung hat die EU-Kommission gar offiziell ein Antisubventionsverfahren gegen die Einfuhr von Elektrofahrzeugen aus China ins Rollen gebracht.
Moderne Alleskönner: Roboterarme bei der Montage von Hinterachsen in einem Werk des Automobilherstellers FAW Hongqi in Changchun (Foto: Xu Chang / Xinhua)
Auf seiner gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz am 16. April wies Chinas Ministerpräsident Li Qiang derartige Vorwürfe jedoch klar zurück. Die starke Wettbewerbsfähigkeit chinesischer New-Energy-Fahrzeuge sieht der Premier als Ergebnis mehrerer Faktoren. „Sie ist in jedem Falle das Resultat echter Fähigkeiten und des freien Wettbewerbs, nicht aber Folge von Subventionen“, betonte der Ministerpräsident. Chinas hochwertige Kapazitäten in diesem Industriezweig leisteten zudem einen wichtigen Beitrag zur globalen grünen Transformation.
Im Vergleich zu herkömmlichen Dieselfahrzeugen und Benzinern steckt die Entwicklung der NEV-Industrie weltweit noch in den Kinderschuhen. In der Wirtschaft bedeuten Innovationen jedoch oft, dass man sich höheren Risiken aussetzt. Nicht ohne Grund erwarten Hersteller daher höhere Profite und Gegenleistungen als Ausgleich für ihr unternehmerisches Risiko. Chinesische Elektroautohersteller sind längst nicht mehr an die Entwicklungsideen der traditionellen Autobranche gefesselt, sondern setzen auf eigene Durchbrüche, etwa eine bessere Performance bei Funktionalität und Komfort. Auch arbeiten Chinas Autobauer gezielt darauf hin, die Reichweite ihrer E-Autos auszuweiten und sie für verschiedenste komplizierte Verkehrslagen und Wetterszenarien auszurüsten.
Auf der europäischen Automesse zogen solche Neuerungen den Blick der Besucher auf sich und ernteten viel Lob und Anerkennung. Zugleich verleiht die Resonanz der Märkte dem Innovationsprozess weiteren Schub. Da sich chinesische Elektroautos auf einem immer breiteren internationalen Parkett behaupten, gelingt es den Herstellern, ihre Fahrzeuge immer besser an die Bedürfnisse der weltweiten Verbraucher anzupassen. Das Feedback der Konsumenten zeigt, wie stark die Nachfrage das Verhältnis von Angebot und Nachfrage verändern kann.
In Europa allerdings bleiben große Absatzsprünge bei der Elektromobilität bisher noch aus. Die Hauptgründe gegen den Kauf eines elektrischen Autos sind das Einkommensniveau der Verbraucher und Zweifel an der Leistungsfähigkeit bisheriger Modelle. Auf dem europäischen Kontinent besteht zudem noch immer ein erhebliches wirtschaftliches Entwicklungsgefälle zwischen einzelnen Ländern. Vor diesem Hintergrund ist es für Autobauer alles andere als einfach, ja sogar eine große Herausforderung, ihre E-Autos zielgenau auf die einzelnen Marktsegmente anzupassen. Dass sich die EU-Länder zudem um Unterbrechungen von Lieferketten sorgen, scheint nachvollziehbar. Um solche Risiken zu verringern, verschieben viele Firmen das Optimalziel ihrer Bestandsmanagementstrategie von Nullbeständen in Richtung angemessener Redundanz und Nachhaltigkeit. Fest steht: Im E-Auto-Segment bedarf es noch massiver Anstrengungen, um eine stabile Versorgung sicherzustellen.
Eine angebrachte und praktikable Lösung scheint es, die Versorgungskanäle zu diversifizieren, um so die Marktnachfrage effektiv zu decken. In diesem Punkt haben etliche chinesische E-Autobauer schon selbst begonnen, sich im Markt zu positionieren. Anders als vielerorts setzt die EU in vielerlei Hinsicht noch höhere Standards, beispielsweise beim Umweltschutz, dem Chemikaliengehalt von Produkten oder dem Schutz der Privatsphäre. In Übereinstimmung mit den Anforderungen der EU etwa in Sachen Umweltschutz und Funktionalität der Autos ist es mehreren chinesischen Automobilherstellern dennoch gelungen, sich durch ihre Stärken erfolgreich auf dem europäischen Automarkt zu behaupten. Auf diese Weise entsteht ein wichtiges Bindeglied zwischen den Interessen von Im- und Exporteuren.
Eine zukunftsträchtige Entwicklung der Elektromobilität ohne die europäischen Länder ist auf Dauer kaum denkbar. Stattdessen ist es vonnöten, dass die EU allen E-Auto-Anbietern ein günstiges Umfeld gewährt, einschließlich denjenigen aus China. Dass Unternehmen in der Marktwirtschaft bei ihren Geschäftstätigkeiten Renditen und Risiken abwägen müssen, ist nur selbstverständlich. Auf einem vollständigen, wettbewerbsorientieren Markt ist es Usus, dass Firmen ausgehend von Angebots- und Nachfragesituation die Nachfrage ihrer Produkte vorhersagen. Dann folgen Rohrstoffeinkäufe und Produktion. Dank ihres technischen Vorsprungs und der im heimischen Markt gesammelten Erfahrungen sind chinesische E-Autobauer in der Lage, sich noch schneller auf den Markt und seine Produktionsbedürfnisse einzustellen. Letztlich wirkt sich die Nachfrage massiv auf den Geschäftsgewinn aus.
Die EU-Länder plädieren schon lange für offene Märkte und die Einhaltung internationaler Regeln. Gelingt es, Angebot und Nachfrage auf dem Markt effizienter aufeinander abzustimmen und Verzögerungen bzw. Fehler bei der Informationsübermittlung zu verringern, ließe sich so das Risiko von Fehlkalkulationen wirksam reduzieren. All dies muss allerdings unter der Voraussetzung geschehen, dass alle Parteien in der Industriekette der Branche synergetisch zusammenarbeiten.
Mein Rat wäre, dass die Länder Europas ausgehend von ihrer jeweiligen Entwicklungslage der E-Auto-Industriekette dabei unter die Arme greifen, deren innovative Entwicklungsdynamik zu fördern und zu schützen. Auch ist es notwendig, die rationale und wirksame Allokation relevanter Ressourcen zwischen China und Europa voranzutreiben. Und nicht zuletzt sollten die Auswirkungen staatlicher Maßnahmen auf unternehmerische Investitions- und Geschäftstätigkeiten auf ein Minimum gesenkt werden. Ziel muss es sein, mehr Kooperationsmöglichkeiten für kleine und mittlere Unternehmen zu schaffen. Abschließend lässt sich sagen: In der Zukunftsbranche E-Mobilität erwartet China und Europa ein breites Spektrum an Chancen. Es bestehen definitiv Interessenschnittmengen und große synergetische Entwicklungsräume. Nun wird es darum gehen, diese auch tatsächlich zu nutzen.
*Der Autor ist Wissenschaftler am Forschungsinstitut für internationalen Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit des chinesischen Handelsministeriums.
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