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Zwischen aufstrebender Großmacht und Entwicklungsland |
Von Zhu Zhiqun · 2015-11-19 · Quelle:Beijing Rundschau |
Stichwörter: 13. Fünfjahresplan "neue Normalität" | Druck |
Chinas widersprüchliche Identität
Ist China eine Weltmacht oder ein großes Entwicklungsland? Gibt China Deng Xiaopings Strategie „taoguang yanghui" (sein Licht unter den Scheffel stellen und den rechten Augenblick abwarten) auf, die die wirtschaftliche Entwicklung betonte und gleichzeitig an einer Zurückhaltung in internationalen Angelegenheiten festhielt?
Auch wenn es allgemein als Weltmacht wahrgenommen wird, ist China weiterhin ein Entwicklungsland mit 20 Millionen Menschen, die in Armut leben. Es leidet an den gleichen Problemen wie andere Entwicklungsländer auch: eine wachsende Einkommenskluft und hemmungslose Korruption. Chinas Prokopf-BIP liegt weltweit auf Platz 80 und beträgt lediglich ein Siebtel des BIP der USA.
China mag in internationalen Angelegenheiten immer noch die zweite Geige spielen, aber es strebt aktiv nach einer größeren Rolle und nimmt sich selbst als bedeutende Macht wahr. Dennoch bleiben die fundamentalen Ziele der chinesischen Außenpolitik – die Schaffung eines stabilen internationalen Umfelds für das Binnenwachstum und die Mitarbeit an Frieden und Entwicklung in der Welt – unverändert, wie Präsident Xi Jinping in seiner Rede bei der UN im Oktober 2015 erneut bekräftigte.
Die von China initiierte Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) mit 57 Mitgliedern, einschließlich mehrerer Verbündeter der USA, wird Ende des Jahres ihre Arbeit aufnehmen. Ein weiteres ehrgeiziges Programm, der Wirtschaftsgürtel an der Seidenstraße und die maritime Seidenstraße des 21. Jahrhunderts, das China mit Ländern in Asien, Europa, dem Mittleren Osten und Afrika verbindet, involviert über 65 Länder und voraussichtlich Investitionen in Höhe von 1,4 Billionen US-Dollar. Dagegen wirkt der amerikanische Marshall-Plan für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg wie ein Winzling.
Hinter diesen neuen Initiativen steckt ein wichtiger nationaler Impuls. Viele der Infrastrukturprojekte, die im Rahmen der Seidenstraßeninitiativen vorgeschlagen wurden, kommen Chinas armen Binnenregionen zugute und könnten dazu beitragen, die wachsende Einkommenskluft zu verringern und ein ausgeglicheneres und nachhaltiges Wachstum fördern. Sie werden es China außerdem ermöglichen, seine arbeitsintensiven Produktionsstätten mit niedriger Wertschöpfungskapazität ins Ausland zu verlagern und so zur Lösung der gravierenden Umweltprobleme beitragen.
China hat bislang nicht nur in Entwicklungsländer investiert, gegenwärtig investiert es in Industriestaaten, von Atomkraftwerken in Großbritannien bis hin zu Luxushotels in den USA. Zusätzliche Investitionen sind für verschiedene Bereiche der westlichen Volkswirtschaften bestimmt, die von Finanzproblemen heimgesucht sind.
China hat eine doppelte Identität: Es ist einerseits die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt und andererseits ein Entwicklungsland. Seine Politik ist manchmal inkonsistent, sie versucht gleichzeitig, diese zwei Prioritäten zu erfüllen. Interne Diskussionen über eine angemessene Rolle auf internationalem Parkett verliefen bislang ergebnislos. Daher haben andere Länder ein Problem damit, sich ein Bild von Chinas Absichten zu machen und wissen nicht, wie sie seine politischen Initiativen interpretieren und auf sie reagieren sollen. Der Machtzuwachs bringt ein zunehmendes Interesse und zunehmende Verantwortung mit sich. Die Herausforderung für China besteht darin, sich weiter auf seine Entwicklung zu konzentrieren und den zunehmenden Nationalismus zu zügeln, um unnötige Konflikte mit anderen Ländern zu vermeiden.
Chinas Wirtschaft im Übergang
China durchläuft zwei wichtige Übergänge: von einer Plan- in eine Marktwirtschaft und von einem export- und investitionsorientierten Wachstum zu einem neuen Modell, das auf Verbrauch und Innovationen beruht. In China gibt es Raum für weiteres Wachstum. So macht der Haushaltsverbrauch 35 Prozent des BIP aus, in den USA sind es dagegen 70 Prozent. Privatunternehmen wie Alibaba, Baidu, Tencent, Xiaomi und Didi Kuaidi sind unterdessen zu einer Inspirationsquelle für Innovationen und Unternehmertum geworden. Damit Staatsunternehmen international wettbewerbsfähig werden, hat China jüngst Maßnahmen zu ihrer Modernisierung sowie ein besseres Management staatlicher Vermögenswerte und die Förderung gemischter Eigentumsverhältnisse versprochen. Diese Übergänge und Reformen werden in China für Bruchlinien und Verzerrungen sorgen und somit unvermeidlicherweise auch die Wirtschaft anderer Länder beeinflussen.
Ein langsameres Wachstum wird eine ernsthafte Herausforderung für die soziale und politische Stabilität bedeuten. So gibt es über 270 Millionen Wanderarbeiter, die sich an das städtische Leben anpassen müssen. Die Entwicklung im Westen des Landes muss dynamischer werden, um die Wachstumskluft zwischen den Regionen zu verringern. Die schnell alternde Bevölkerung benötigt eine bessere Gesundheitsversorgung und weitere soziale Netze. Die Anti-Korruptionskampagne trifft außerdem innerhalb der Partei auf starken Widerstand. Der Weg nach vorne wird nicht reibungslos verlaufen, aber Chinas Regierung scheint entschlossen und managt die Übergangsphase bislang bemerkenswert gut. Trotz einer Konjunkturverlangsamung ist Chinas Werkzeugkasten immer noch gefüllt mit enormen Devisenreserven, einem riesigen Binnenmarkt, einer aktiven Wirtschaftsdiplomatie zur Ankurbelung der Exporte in neue Märkte, alles geeignete Mittel, um weiteres Wachstum anzuregen.
Chinas politische Prioritäten werden noch für lange Zeit von den Problemen im eigenen Land bestimmt sein. Die politische Führung wird in den kommenden Jahren vollends damit beschäftigt sein, die enormen politischen, wirtschaftlichen, sozialen umwelttechnischen und demographischen Herausforderungen zu bewältigen. China ist beides, eine aufstrebende Weltmacht und ein großes Entwicklungsland. Die Anpassung an die neuen Bedingungen, Herausforderungen und Chancen, die mit seinem Aufstieg verbunden sind, ist die größte Prüfung für China und den Rest der Welt.
(Der Autor ist Professor für Politikwissenschaften und internationale Beziehungen sowie Direktor des China Institute an der Bucknell University in Pennsylvania)
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