Startseite >> Porträt |
Doris Rathgeber: „Ein Leben ohne China kann ich mir gar nicht mehr vorstellen“ |
Von Wei Hongchen · 2021-06-23 · Quelle:Beijing Rundschau |
Stichwörter: TCM;Shanghai | Druck |
Sie trägt einen weißen Kittel, spricht fließend Chinesisch, diagnostiziert Patienten mithilfe von TCM, verschreibt Medikamente... In der „Body and Soul“-Klinik im Bezirk Huangpu von Shanghai arbeitet eine deutsche TCM-Ärztin. Doris Rathgeber, geboren 1966 in Düsseldorf, kennt sich seit mehr als zwanzig Jahren in der Traditionellen Chinesischen Medizin aus, arbeitet seit vielen Jahren hauptsächlich in Shanghai und engagiert sich für die Verbreitung der TCM in der ganzen Welt.
Wegen TCM in China geblieben
Für Doris Rathgeber war die Bekanntschaft mit der TCM ein „prädestiniertes Schicksal“.
1995 kam Doris nach Shanghai, da ihr Ehemann dort ein Geschäft aufbauen musste. Um sich mit den Einheimischen unterhalten zu können, hat sie zweieinhalb Jahre Chinesisch gelernt. Eines Tages hat ihr eine Freundin von der TCM erzählt, für Doris war es ein Schlüsselerlebnis. Folglich entschied sie sich, sich an der Shanghai-TCM-Universität für das Fach Innere Medizin einzuschreiben.
Wenn sie sich an die erste Zeit erinnert, muss Doris zugeben, dass sie auf nicht wenige Schwierigkeiten traf. Sie kämpfte sich durch die sprachlichen und kulturellen Herausforderungen des hochintensiven medizinischen Programms. Als ausländische Studentin stellen die TCM-Theorien, alte Bücher und Sprache, Kräuter und Rezepturen große Herausforderungen für sie dar. „Beim ersten Kräuter-Test bin ich mit 40 Punkten durchgefallen.“ Danach lernte sie jeden Tag bis spät in die Nacht, stellte viele Fragen an Lehrer und Mitschüler und studierte deutsche Bücher über die TCM … Schritt für Schritt holte sie auf und erreichte das Niveau der Mitschüler.
Nach dem Studium gründete Doris mit Freunden in Shanghai eine Klinik und arbeitet bis heute als TCM-Ärztin. Heute kann sie alte chinesische medizinische Werke wie „Innerer Klassiker des Gelben Fürsten“ ( Huangdi neijing) und „Behandlung von kältebedingten Krankheiten“ (Shanghan Lun) verstehen und ihre eigene Diagnose stellen. Mit Rezepten und Akupunkturpunkten, die selbst vielen Chinesen fremd sind, kennt sie sich gut aus.
Seit 2004 behandelt Doris ein breites Spektrum akuter und chronischer Erkrankungen durch die fachkundige Kombination von Traditioneller Chinesischer Medizin und westlicher Medizin. Sie hat auch umfangreiche Erfahrungen im Umgang mit Frauenkrankheiten. Aufgrund der großen Nachfrage hat Doris in Shanghai vier Kliniken mit kompetentem Personal aufgebaut.
Doris Rathgeber
Die TCM aus Liebe verbreiten
Als TCM-Ärztin mit mehrjähriger Erfahrung kann Doris ein kompetentes Urteil zu den Unterschieden zwischen der TCM und der westlichen Medizin abgeben. Sie ist der Ansicht, dass sich die westliche Medizin auf die Krankheit fokussiert, während es sich bei der TCM um eine jahrtausendealte Heilkunst handelt, die den gesamten Menschen betrachtet. Ihre Wurzeln liegen in der chinesischen Philosophie. „In der Traditionellen Chinesischen Medizin bedienen wir uns philosophischer Theorien, die in der westlichen Medizin völlig unbekannt sind, wie die Fünf-Elemente-Lehre (Holz, Wasser, Metall, Erde und Feuer), die beiden gegensätzlichen Pole Yin und Yang sowie die Lebensenergie Qi. Für chronische Krankheiten und diejenigen, die mittels der westlichen Medizin schwer zu behandeln sind, ist die TCM eine Heilungsmethode mit großer Wirkung.“
Die Traditionelle Chinesische Medizin ist ein kostbarer Schatz und eine Kristallisation der 5000-jährigen chinesischen Kultur. Sie weiterzugeben und zu verbreiten ist ein großes Anliegen Chinas. Unter der Leitung und tatkräftigen Unterstützung des Landes in den letzten Jahren erfährt die TCM nun einen weltweiten Boom. Im Jahr 2019 forderte Staatspräsident Xi Jinping dazu auf, man solle gemäß den Entwicklungsregeln die hochqualitative Entwicklung der Traditionellen Chinesischen Medizin in Verbindung mit westlicher Medizin fördern, damit die TCM und die westliche Medizin sich gegenseitig ergänzen und koordiniert entwickeln könnten. Die TCM sollte auf die Welt zugehen.
Als ein TCM-Fan richtet Doris ihr Augenmerk auf die Entwicklung der TCM. 2016 wurde ein Entwicklungsplan für die TCM in den Ländern im Rahmen der Seidenstraßeninitiative (2016-2020) veröffentlicht, mit dem Ziel, den Austausch und die Kooperation mit Anrainerländern im Bereich der TCM zu verstärken. Dafür drückt Doris die Daumen und bezeichnet die TCM-Initiative als „eine richtige Entscheidung“. „Das finde ich eine gute Methode, um das Wissen der chinesischen Medizin ins Ausland zu tragen und ausländische Patienten mit TCM behandeln zu können.“
Bedauernd weist Doris darauf hin, dass die TCM in Deutschland selbst zwar akzeptiert sei, aber man wüsste nicht genau, was sie umfasst. Was man in Deutschland am meisten von der TCM kenne, sei Akupunktur, aber auch Akupressur und Kräutertherapie. „Aber man versteht nicht, was hinter der Kräutertherapie steht“, so Doris. Eigentlich gehören zur Behandlung außer der Akupunktur auch Heilkräuter, Ernährung, Bewegungstherapie und Massagen. Ihrer Meinung nach sei es wichtig, die TCM wissenschaftlich zu erklären und zu verbreiten, Wissen und Theorien transparent und einfach darzustellen. „Für die Internationalisierung der TCM muss man zuerst die Grundlagen der TCM besser und einfacher erklären. Meines Erachtens muss man neue Erklärungsmodelle entwickeln.“
Neben ihrer Praxistätigkeit in der Klinik hält Doris breitgefächerte Vorträge über die TCM, die auf Ausländer in Shanghai ausgerichtet sind. Die Düsseldorferin setzt sich mit ganzem Herzen dafür ein, dass die TCM-Lehre eine größere Verbreitung und Akzeptanz erfährt. „Ich werde weiterhin die TCM unterstützen und erklären.“
Auch in Zukunft wird Doris ihre Liebe zur TCM nicht aufgeben. „Ich werde versuchen, immer mehr davon zu verstehen, denn nur durch das Leben lernt man erst recht, was hinter der Traditionellen Chinesischen Medizin steckt.“ Ihre Überzeugung ist, dass die TCM durchaus ein guter Ratgeber in Lebensfragen ist.
„Ein Leben ohne China kann ich mir gar nicht mehr vorstellen“
Nach sechsundzwanzig Jahren in China ist Shanghai jetzt Doris zweite Heimat. Als sie zum ersten Mal nach Shanghai gekommen ist, fiel es ihr schwer, mit der Veränderung umzugehen. Die Sprachbarriere, der Kulturschock… Innerhalb des ersten halben Jahres war sie mehrfach in der Versuchung, aus Shanghai zu „fliehen“ und nach Deutschland zurückzukehren. Doch jetzt bezeichnet sie sich gerne als „Neue Shanghaierin“.
„Alles, was ich habe, ist aus China. China hat mir geholfen, meine Vergangenheit zu überwinden und die Möglichkeit zu finden, meinen Traum zu verwirklichen.“
In Deutschland aufgewachsen, hatte Doris immer den Wunsch, Ärztin zu werden. Doch als ihre Mutter starb, damals war Doris gerade 13 Jahre alt, gab es „keinen Raum mehr für Träume“. Nach einer praktischen Ausbildung machte Doris eine erfolgreiche Karriere im IT-Vertrieb. Aber erst in Shanghai wurde ihr Traum Wirklichkeit. Sie hat die ganze Modernisierung Shanghais mit eigenen Augen miterlebt und mit daran gearbeitet, dass es so kam. „Wir sind sehr stolz darauf, dass wir ein Teil dieser Entwicklung waren und sind.“
Auf die Frage, welche Veränderungen Shanghais sie in den vergangenen mehr als 20 Jahren am meisten beeindruckt haben, hat Doris vieles zu erwähnen. Sie sagt, dass die Restaurants und das ganze Geschäftsleben Ende des letzten Jahrhunderts in Shanghai noch nicht entwickelt gewesen waren und um 19 Uhr alle Geschäfte schlossen. Doch heute kann man hier Essen aus allen Ländern bekommen und all die verschiedenen chinesischen Nahrungsmittel und Restaurants finden. „Das ist auch ein Teil dessen, was Shanghai so wahnsinnig attraktiv macht!“
Seit 2020 wohnt Doris abwechselnd in China und in Deutschland. Sie erklärt, dass sie ihre Kliniken und ihren Lebensmittelpunkt in Shanghai nicht aufgeben werde. „Obwohl meine Wurzeln in Deutschland sind, ist doch auch Shanghai mein Zuhause, mein ganzes erwachsenes Leben und die Hälfte meines Lebens. Wir haben Shanghai alles zu verdanken, was wir haben und es wird immer unser Zuhause bleiben. Ich kann mir ein Leben ohne China gar nicht mehr vorstellen.“
LINKS: |
|
Adresse: BEIJING RUNDSCHAU Baiwanzhuanglu 24, 100037 Beijing, Volksrepublik China