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Halbmarathon-Premiere mit Robotern in Beijing – Anfang vom Ende der Überlegenheit menschlicher Läufer? |
Nils Bergemann · 2025-04-22 · Quelle:Dialog China-Deutschland |
Stichwörter: Roboter;Halbmarathon | ![]() |
Es ist schon eine ganze Weile her, dass ich mir selbst das Marathontrikot übergestreift habe. Mein letzter richtig langer Lauf war der Berlin-Marathon vor mehr als 20 Jahren. Damals gab es nur menschliche Konkurrenz, vereinzelt verirrten sich Tiere auf die Strecke. Sportler aus Plastik und Metall mit Akku statt Herz und Lunge, sah ich keine. Ich erinnere mich an einen Hund, der plötzlich hinter einer älteren Läuferin hinterherrannte – vielleicht war es ihr eigener. Eine dicke Ratte schien es auf mich abgesehen zu haben. Sie kam mir recht nahe und grinste mich sogar an. Aber vielleicht hatten mir mein mit Sauerstoff unterversorgtes Hirn und das Runner's High auch nur einen Streich gespielt – ich meine das Grinsen der adipösen Ratte. Weniger aufsehenerregend war meine Zeit. Als übergewichtiger Marathon-Neuling, der damals erst seit sechs Monaten trainierte, brauchte ich am Ende fünf Stunden und acht Minuten.
Am 19. April 2025 wurde ich in Beijing Zeuge einer Zäsur. Denn ich sehe den ersten Halbmarathon mit Beteiligung von Robotern als Anfang vom Ende der Überlegenheit der „weichen“ Läufer aus Fleisch und Blut. Auch wenn diesmal noch ein Mensch sehr klar gewann, wird es meiner Meinung nach nur noch wenige Jahre dauern, bis sich ein Spitzenläufer so mies fühlen wird, wie sich ein Schachweltmeister 1997 fühlte. Der Schachcomputer von IBM, Deep Blue, hatte damals Garry Kasparow, den Vertreter der Menschheit, geschlagen. Kein überlegener Geist, sondern pure Rechenpower hatte damals gesiegt. Dennoch stellte dies sicherlich eine narzisstische Kränkung für viele Denksportler weltweit dar.
Kommen wir zurück zu dem besonderen Lauf, der im Beijinger Stadtteil Yizhuang startete: Die Zuschauer waren begeistert und erwartungsvoll, weniger wegen der rund 12.000 Teilnehmer, sondern wegen ein paar Dutzend ungewöhnlicher Gestalten. Es handelte sich um mehr oder weniger humanoide Roboter. Einige waren nicht viel größer als ein Hund. Der größte, imposanteste und menschenähnlichste maß 1,8 Meter. Im Plastiklook oder auch metallisch glänzend absolvierten sie wie ihre menschlichen Mitläufer eine 21,0975 Kilometer lange Halbmarathonstrecke, allerdings auf einer separaten Laufbahn neben der Spur für die menschlichen Athleten. Es war ein Riesenspektakel – und eine Weltpremiere!
Volle Konzentration: Trainer bereiten diese Roboter-Dame auf ihren Halbmarathoneinsatz vor. Insgesamt gingen 20 nicht-menschliche Teilnehmer bei dem Rennen in Beijing an den Start. (Foto: Zhang Chenlin / Xinhua)
Hightech im harten Praxistest
Schon kurz nach dem Startschuss wurde deutlich, dass Mensch und Roboter unterschiedliche Qualitäten haben. Die Roboter gingen, schritten oder marschierten, rannten aber nicht – nie waren beide Füße gleichzeitig in der Luft. Die Blechkameraden waren cool oder niedlich, wirkten aber relativ steif, selbst wenn ihre Arme beim Laufen mitschwangen. Der Roboter Sonny aus dem Film „I, Robot“ von 2004 ist dagegen ein Bewegungswunder. Zurzeit ist der menschliche Bewegungsapparat mit dem Zusammenspiel aus Blut, Muskeln, Sehnen, Bändern, Gelenken, Knorpeln, Faszien und Hunderten von Knochen noch unübertroffen. So elegant und fließend wie ein Mensch bewegt sich noch keine Maschine.
Einige Roboter gerieten gleich ins Straucheln. Einer stürzte. Ein frühes Aus. Die Roboter hatten zumeist zwei menschliche Mitläufer und weiteren Support. Viele liefen so langsam, dass ihre menschlichen Begleiter, welche die gleiche Startnummer auf ihren Trikots trugen, locker hinterhergehen konnten. Andere Blechkameraden gehörten einer fortgeschritteneren Robotergeneration an. Der Tiangong Ultra mit der Startnummer 60901, entwickelt vom Beijing Innovation Centre of Human Robotics, bewegte sich zwar auch steif und gleichmäßig wie eine Aufziehspielzeugmaus, war aber mit fast zehn Stundenkilometern doppelt so schnell wie ein strammer Spaziergänger. Ich war damals bei meinem Marathon einen Tick schneller unterwegs gewesen, hatte aber fast doppelt so viele Pfunde auf die Waage gebracht wie der 52 Kilogramm schwere chinesische Superroboter, der mit 180 Zentimetern nur zehn Zentimeter kleiner ist als ich. Deutlich schneller als der dünne Tiangong Ultra und ich ist der humanoide Roboter Star 1 des chinesischen Unternehmens Robot Era. Bei einem Lauf in der Wüste Gobi hatte er im vergangenen Jahr mit 12,98 Kilometern pro Stunde und in herkömmlichen Turnschuhen einen neuen Weltrekord aufgestellt.
Zieleinlauf: Tiangong Ultra mit der Startnummer 60901, entwickelt vom Beijing Innovation Centre of Human Robotics, erreichte nach 2 Stunden 40 Minuten und 42 Sekunden das Ziel – als schnellster Roboter des Tages. (Foto: Li He / Xinhua)
Autonome Navigation bleibt eine Herausforderung
Angetrieben werden solche Laufroboter von elektromechanischen Systemen mit motorengesteuerten Gelenken. Der Tiangong Ultra nutzte zudem Daten von Spitzenläufern, um Kadenz und Schrittlänge zu optimieren, was seine Effizienz steigerte. Multispektralkameras, hochpräzise Sensoren und Laserstrahlen ermöglichten es einigen Robotern im Beijinger Rennen, Abstand, Geschwindigkeit, Form und Oberflächenbeschaffenheit von Hindernissen und anderen Objekten sowie den Untergrund so gut zu erkennen, dass sie nicht stürzten.
Während einige Roboter, wie der Tiangong Ultra, beim jüngsten Halbmarathon in Beijing teilautonom liefen, wurden andere per Fernbedienung von Technikern gesteuert, die neben ihnen herliefen. Nicht nur die autonome Navigation war bei diesem Halbmarathon eine Herausforderung. Die Roboter müssen auch energieeffizient und so robust sein, dass sie langen und dynamischen Belastungen standhalten.
Apropos Energieeffizienz: Der Tiangong Ultra benötigte insgesamt drei längere „Boxen-Stopps“ für Batteriewechsel. Ich war bei meinem Lauf damals deutlich häufiger an den Verpflegungsständen und im Gebüsch gewesen. Außerdem hatte ich den Spott anderer Läufer ertragen müssen. Naja, ich hatte angefangen. Beim Überholen hatte ich nämlich über einen riesigen Kraftklotz gespottet, dass Bodybuilding wohl doch nicht die richtige Vorbereitung für einen Marathon sei. Als dieser Kraftklotz dann wenig später an mir vorbeizog, brauchte er keine Worte, sondern nur ein Grinsen, das noch breiter als das der Ratte war, um es mir heimzuzahlen.
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Der schwarze Tiangong Ultra erreichte in seinem schicken orangenen Trikot nach 2 Stunden 40 Minuten und 42 Sekunden das Ziel – als schnellster Roboter des Tages. Sein nächster Roboter-Konkurrent folgte erst etwa eine Stunde danach. Der Erfolg des Tiangong Ultra war eine Teamleistung. Einer seiner menschlichen Begleiter hatte oft an seinem Rücken herumgefummelt und ich hatte ein paar Mal den Eindruck, dass einige Roboter von ihren Teamgefährten aus Fleisch und Blut sanft wieder auf den richtigen Weg geschoben werden mussten.
2:40:42 für den Sieger der Roboter und 1:00:25 für den menschlichen Sieger (der Weltrekord liegt bei 56:42 Minuten) – viele Menschen werden erleichtert aufgeatmet haben. Doch Menschen sind nicht nur beim Ausdauersport ausdauernd, sondern auch beim Verbessern von Robotern. Ich bleibe daher bei meiner Prognose einer baldigen Entthronung meiner Spezies. Es werden irgendwann auch Privatleute mit Hilfe von KI und mietbaren Roboterfabriken eigene Roboter-Unikate bauen und gegeneinander antreten lassen. Wer wissen will, was die nahe Zukunft für uns bereithält, sollte anfangen, alte Science-Fiction-Romane zu lesen.
Die Idee zum ersten Roboter-Halbmarathon stammt von einem Zusammenschluss chinesischer Robotikfirmen und Forschungseinrichtungen. Sie wollten die aktuellen technologischen Möglichkeiten öffentlichkeitswirksam demonstrieren, aber auch die praktischen Grenzen humanoider Bewegungssteuerung aufzeigen. Das gelang eindrucksvoll. In einigen deutschen Medien hieß es, der Halbmarathon sei eine gelungene PR-Aktion, um Chinas technologische Exzellenz zu zeigen, vergleichbar mit der Formel 1, die Automobiltechnologie präsentiere. An dieser Einschätzung ist sicherlich etwas Wahres dran. In den USA wurde das Ganze ebenfalls aufmerksam verfolgt.
Klein, aber oho: Auch das Technologie-Startup Noetix Robotics schickte eines seiner Modelle, N2, an den Start, das sich am Ende Platz zwei unter den Robotern sicherte. (Foto: Zhang Chenlin / Xinhua)
Sieger ist erneut der menschliche Erfindergeist
Bei meinem Marathon hatte ich die Vielfalt menschlicher Ausfälle sehen dürfen: Krämpfe, Überhitzung, beschleunigte Verdauungsprozesse, Kreislaufkollapse, körperliche Überforderung und leere Energiespeicher. Ich selbst hatte damals nach dem Lauf meine Freundin gebraucht zum Öffnen der Schnürsenkel. Außerdem zog ich mir wegen der Kombination von Übergewicht und unzureichender Vorbereitung letztlich eine Knochenhautentzündung zu.
Aber Roboter haben es auch nicht leicht, wie sich in Beijing zeigte. Einige fielen überhitzt auf halber Strecke aus, andere mussten sich für mit Klebeband provisorisch wieder befestigte Gliedmaßen schämen, wieder andere fielen gleich beim Start hin. Ich sah viele Techniker mit Klebeband, Ersatzteilen, Schraubenziehern und Diagnosetools am Streckenrand oder sogar laufend im Einsatz. Viele Szenen erinnerten mich, wie gesagt, an Boxenstopps in der Formel 1. Fest steht: Ein Rennen mit Robotern ist eindeutig spannender und lustiger als eines ohne Blechkameraden. Wenn beim nächsten Mal dann auch Roboterratten mit am Start sind, bin ich eindeutig dabei. Wenn ich nun noch einmal über den größten Sieger dieses ungewöhnlichen Laufes nachdenke, so ist dies für mich einmal mehr der menschliche Erfindergeist.
*Nils Bergemann ist studierter Journalist mit langer Erfahrung als Redakteur und Kommunikationsexperte bei Verlagen und anderen Unternehmen. Zuletzt arbeitete er fünf Jahre für die China Media Group. Weiterhin in Beijing lebend unterrichtet er seit 2023 Deutsch, Sprachwissenschaften und Wirtschaft an der University of International Business and Economics.
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