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Psychische Gesundheit: Sensibilisierung als Anstoß zum Handeln |
Von Su Li · 2023-11-27 · Quelle:german.chinatoday.com.cn |
Stichwörter: Gesundheit | Druck |
Psychisches Wohlbefinden – sprich der Zustand, mit sich und der Welt im Großen und Ganzen im Reinen zu sein – ist nicht nur entscheidend für die körperliche Gesundheit und die Lebensqualität des Einzelnen, sondern auch für die allgemeine sozioökonomische Entwicklung.
Neue Vierbeiner fürs Team: Das Chengdu Mental Health Center bietet seit September 2022 als erstes Zentrum in Sichuan eine tiergestützte Psychotherapie an. Im Februar 2023 rückten zwei neue Therapiehunde als Verstärkung ins Team auf.
Weitverbreitet und doch wenig bekannt
Depression ist ein schwerwiegendes psychisches Leiden, das weitverbreitet ist. Nach WHO-Schätzungen sind weltweit etwa 350 Millionen Menschen von der Krankheit betroffen, Tendenz steigend. Die Zahl der Betroffenen stieg in der letzten Dekade jährlich im Schnitt um 18 Prozent. Jedes Jahr sterben etwa eine Million Menschen an den Folgen einer schweren Depression. In China sind mehr als 95 Millionen Menschen betroffen, also einer von 14, wie aus einem Blaubuch von 2022 über die psychische Gesundheit der Chinesen hervorgeht.
Alarmierend dabei: Laut der Studie sind vor allem immer mehr junge Chinesen von der Krankheit betroffen. Rund die Hälfte der 6670 Personen, bei denen eine Depression diagnostiziert wurde, waren Schüler und Studierende, 30 Prozent waren jünger als 18 Jahre alt. Einige Forscher gehen davon aus, dass viele, die im Erwachsenenalter mit dieser Erkrankung zu kämpfen haben, bereits in Jugendjahren erste Symptome zeigen. Als Hauptursachen für den psychischen Stress, den die Betroffenen empfinden, gaben die jungen Menschen angespannte zwischenmenschliche Beziehungen (77 Prozent) sowie ein schlechtes Verhältnis zu den eigenen Eltern (69 Prozent) an.
Frauen haben in China im Übrigen ein höheres Risiko, an einer Depression zu erkranken, als Männer. Bis zu 68 Prozent der Betroffenen aus der genannten Studie waren Frauen. Ihr Anteil war damit doppelt so groß wie der der Männer. Eine von fünf Erstgebärenden litt an einer postnatalen Depression.
Trotz der weiten Verbreitung von Depressionen weiß die Öffentlichkeit in China bisher nur wenig über die Krankheit, sagen Experten. Viele verwechseln das Leiden mit schlechter Laune, übertriebener Empfindlichkeit oder tun die Beschwerden gar schlichtweg als Einbildung ab. Einige der Befragten gehen davon aus, dass Depressionen nur bei den Menschen auftreten, für die selbst die Befriedigung der Grundbedürfnisse ein Problem darstellt.
Das Bewusstsein schärfen
Die wachsende mediale Aufmerksamkeit hat dazu beigetragen, das psychische Leiden zu entmystifizieren. Auch staatliche Werbekampagnen und Aktionen einschlägiger Einrichtungen und Aktivistengruppen helfen dabei, Missverständnisse auszuräumen und die Menschen für die Thematik zu sensibilisieren.
Anlässlich des jährlich am 10. Oktober begangenen Welttages der psychischen Gesundheit initiierte Chinas Nationale Gesundheitskommission 2022 eine Veranstaltungsreihe unter dem Motto „Ein besseres Umfeld schaffen – Zusammen für mehr psychische Gesundheit“. Zu den Veranstaltungen im Rahmen der Aktion zählten unter anderem kostenlose Vorträge in öffentlichen Krankenhäusern, Schulen und Wohnvierteln, die darauf abzielten, mehr Verständnis für die Bedürfnisse des psychischen Wohlbefindens zu schaffen, ebenso wie ein unterstützendes Umfeld in Privathaushalten, Schulen, am Arbeitsplatz und in den Wohnvierteln.
Auch Werbung von gemeinnützigen Organisationen auf populären Social-Media-Plattformen trägt zur öffentlichen Aufklärung bei. So sind Kurzvideos über die Überwindung psychischer Probleme und die Unterstützung der Betroffenen etwa auf Bilibili, Tencent und Youku zu sehen. Während der Sommerferien organisierten Grund- und Mittelschulen im ganzen Land Psychologieschulungen für ihre Lehrkräfte, um deren Fähigkeiten zur Früherkennung psychischer Probleme bei Schülerinnen und Schülern zu verbessern und bei Bedarf die notwendige Hilfe zu leisten.
Lu Lin, Mitglied der Chinesischen Akademie der Wissenschaften und Präsident des Sechsten Krankenhauses der Pekinguniversität, erklärte auf einer Pressekonferenz der Nationalen Gesundheitskommission im Jahr 2022, dass die Zahl der Depressionsfälle in China in den letzten Jahren stetig zugenommen habe. Er führt dies auf zwei Faktoren zurück: erstens auf die zunehmenden Unsicherheiten, die durch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen, höhere Arbeitsbelastung und Naturereignisse wie Corona oder Naturkatastrophen entstehen und die die Menschen emotional derart belasten, dass Depressionen entstehen; und zweitens auf die Tatsache, dass die Regierung und eine wachsende Zahl von Einwohnern ein größeres Bewusstsein für dieses Gesundheitsproblem haben und daher mehr Fälle erkannt werden.
Kunst schafft Bewusstsein: Am 10. August 2021 eröffnete in Shanghai eine besondere Ausstellung. Die Idee: Das Bewusstsein für psychische Gesundheit durch Kunstwerke fördern. 80 Künstler beteiligten sich daran.
Maßnahmen ergreifen
Statistiken der WHO zeigen, dass Depressionen und Angststörungen weltweit schätzungsweise zwölf Milliarden Fehltage pro Jahr verursachen, was einem Produktivitätsverlust von einer Billion US-Dollar entspricht. In China belaufen sich die Kosten in dieser Hinsicht jährlich auf 49,4 Milliarden Yuan. Eine von der WHO geleitete Studie zeigt, dass jeder US-Dollar, der in die Ausweitung der Behandlung von Depressionen und Angststörungen investiert wird, einen Ertrag von vier US-Dollar in Form einer besseren Gesundheit und damit einer höheren Arbeitsfähigkeit bringt.
Eine Studie unter Chinesen im Alter von 30-79 Jahren, die an Depressionen leiden, hat gezeigt, dass etwa ein Drittel – nämlich 43,31 Prozent der Männer und 31,35 Prozent der Frauen – weder öffentliche Unterstützung noch Psychotherapie in Anspruch nehmen und dass weniger als zehn Prozent der Betroffenen Medikamente einnehmen. Dieses Phänomen ist in Entwicklungsländern nicht ungewöhnlich.
Doch ein Wandel ist bereits im Gange. Dazu passt auch, dass die Regierung in ihrem Aktionsplan „Gesundes China 2019-2030“ der Verbesserung des psychischen Wohlbefindens der Bevölkerung ein eigenes Kapitel widmet. Als Folgemaßnahme formulierte die Nationale Gesundheitskommission 2020 einen Arbeitsplan zur Prävention und Behandlung von Depressionen, der vorsieht, gezielt Schlüsselaufgaben anzupacken. Dazu zählen: die Ausweitung der öffentlichen Aufklärung durch behördenübergreifende Zusammenarbeit; die Ausweitung von Screening und Bewertung in Krankenhäusern, Nutzung von Online- und Offline-Ressourcen durch Forschungszentren und Hochschuleinrichtungen; Ausbau der Frühdiagnose- und Behandlungskapazitäten, Einrichtung von mehr psychiatrischen und psychologischen Abteilungen in allen Arten von Krankenhäusern, einschließlich TCM-Kliniken, und die Verbesserung der Ausbildung von nicht-psychiatrischen Ärzten im Hinblick auf psychische Erkrankungen; die Intensivierung der Intervention bei vorrangigen Gruppen wie Jugendlichen, werdenden und frischgebackenen Müttern, Senioren und Menschen in stark belastenden Arbeitsverhältnissen; die Einrichtung von mehr Beratungsstellen und der Aufbau professioneller Teams, die für die Bewältigung psychologischer Krisen ausgerüstet sind.
Im Juli dieses Jahres haben das Bildungsministerium und 16 weitere Behörden einen gemeinsamen Aktionsplan (2023-2025) zur Förderung und Verbesserung der psychischen Gesundheit von Schülerinnen und Schülern veröffentlicht. Darin heißt es, dass bis 2025 bis zu 95 Prozent der chinesischen Schulen Vollzeit- oder Teilzeitpsychologen beschäftigen und 60 Prozent der kommunalen Bildungseinrichtungen psychologische Dienste anbieten werden. Der Plan sieht außerdem vor, dass die Schulen Psychologie in ihren Lehrplan aufnehmen, die Ausbildung von Psychologen und die psychologische Forschung intensivieren sowie Gemeindearbeiter und Freiwillige dazu ermutigen, jungen Menschen psychologische Beratung anzubieten.
Der Mangel an Psychiatern und psychiatrischen Fachkliniken hat bisher die medizinische Versorgung der Patienten in China erschwert. Daten des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -prävention zeigen, dass es Ende 2005 in der ganzen Volksrepublik gerade einmal 572 Anbieter psychiatrischer Dienste und nur rund 16.000 Psychiater gab. Seitdem wurden jedoch deutliche Fortschritte erzielt.
Die Nationale Gesundheitskommission teilte auf einer Pressekonferenz im August 2022 mit, dass die Zahl der Psychiater in China bis Ende 2021 auf 64.000 gestiegen ist – ein Plus von 173 Prozent gegenüber 2012. Denn in den letzten Jahren hat man vorrangig Psychiater, Allgemeinmediziner und Kinderärzte ausgebildet. Inzwischen gibt es in rund 80 Prozent der chinesischen Kreise (und kreisfreien Städte) mindestens ein psychiatrisches Fachkrankenhaus oder eine psychiatrische Abteilung an einem allgemeinen Krankenhaus.
Noch viel zu tun
Doch Fakt ist: In China besteht nach wie vor ein Ungleichgewicht bei der Verteilung der medizinischen Ressourcen, einschließlich derjenigen für die Psychiatrie. Deutlich wird dies an den großen Unterschieden zwischen einzelnen Regionen sowie zwischen Stadt und Land.
Im Juli 2022 kündigte die Nationale Gesundheitskommission deshalb die Einrichtung eines Nationalen Zentrums für psychische Störungen an. Es besteht aus führenden Fachkliniken in Beijing, Shanghai und Changsha in der zentralchinesischen Provinz Hunan. Viele Psychiater begrüßten diesen Schritt, da die Einrichtung eine Vorreiterrolle einnehmen und den Fortschritt in anderen Regionen fördern dürfte. „Das neue Zentrum wird zweifelsohne Chinas Gesamtkapazitäten für die Diagnose und Behandlung psychiatrischer Störungen verbessern und das Ungleichgewicht bei der Verteilung medizinischer Ressourcen wirksam ausgleichen“, erklärt Lu Lin in diesem Zusammenhang.
Die Behandlungskosten sind einer der Gründe, warum manche Menschen mit Depressionen davor zurückschrecken, medizinische Hilfe zu suchen. Nicht selten fallen Kosten von einigen hundert Yuan bis zu 10.000 Yuan oder mehr pro Monat an, wobei die genauen Beträge stark variieren, je nach den individuellen Umständen, den medizinischen Bedürfnissen und dem Versicherungsschutz der Patienten.
Viele Antidepressiva sind zwar von der grundlegenden Krankenversicherung abgedeckt, über die inzwischen mehr als 95 Prozent der chinesischen Bevölkerung verfügen. Einige Präparate allerdings nicht. Ein junger Patient namens Bin berichtet, dass der Eigenanteil bei einer Änderung der Verschreibung schon mal von zehn auf hundert Prozent ansteigen kann. Psychologische Beratung ist sogar noch teurer: Die Sitzungen, die Bin in den letzten Jahren besucht hat, seien mit 100 bis 300 Yuan pro Stunde zu Buche geschlagen, umgerechnet rund 13 bis 38 Euro. Andere zahlten gar das Dreifache oder noch mehr, erzählt er.
Einige Juristen und politische Berater, die an den „Zwei Tagungen“ – den jährlichen Tagungen des Nationalen Volkskongresses (NVK) und der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (PKKCV) – teilnehmen, haben in den letzten Jahren deshalb vorgeschlagen, die Psychotherapie in den Leistungskatalog der Grundkrankenversicherung aufzunehmen, um Betroffene zu entlasten. Auf der NVK-Tagung im Jahr 2023 brachte etwa Zhong Can, ein Abgeordneter und Arzt aus dem autonomen Gebiet Guangxi der Zhuang, das Thema erneut auf die Agenda.
Es ist inzwischen anerkannt, dass Depressionen eine chronische Erkrankung darstellen, deren Ursachen in einem Mix aus physiologischen, psychologischen und gesellschaftlichen Faktoren zu suchen sind und die über einen längeren Zeitraum hinweg mit einem mehrgleisigen Ansatz behandelt werden müssen. Um sinnvolle Fortschritte im Kampf gegen das Volksleiden zu erzielen, ist es nötig, ein gesellschaftsweites Betreuungs- und Unterstützungssystem einzurichten, das die Kräfte von Einzelpersonen, Familien, Erziehern, Arbeitgebern und der Regierung sowie von öffentlichen und nichtstaatlichen Organisationen erfolgreich bündelt.
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