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Hongkong heute – eine Stadt zwischen Zuversicht und äußerer Einmischung |
Von Helmut Matt · 2019-11-28 · Quelle:Beijing Rundschau |
Stichwörter: Hongkong | Druck |
Unruhen, Gewalttaten und politische Agitation eskalieren in zunehmendem Maße. Rechtsstaatlichkeit und gesellschaftlicher Konsens geraten immer stärker in Bedrängnis – bis hin zu konkreter Gefährdung der persönlichen Sicherheit der Einwohner. Was ist los in Hongkong im Herbst 2019?
Mein erster Kontakt mit Hongkong weist zurück auf die frühen Jahre meiner Kindheit – eine Zeit fern von Globalisierung, Internet, Handy und E-Mail. Als unser Englischlehrer am Gymnasium damals in der Klasse fragte, ob jemand Interesse an einer Brieffreundschaft mit einem englischsprachigen Mädchen aus Hongkong habe, war ich der Erste, der seine Hand hob. Noch am selben Abend schrieb ich – in eher wackeligem Englisch – meinen ersten Brief an Dansi Chan – so hieß das Mädchen. Ich stellte mich höflich vor, schrieb ein paar freundliche Zeilen, legte ein Foto und eine Ansichtskarte des Dörfchens bei, in welchem ich aufgewachsen war. Es dauerte auch nicht allzu lange, bis ich den ersten Brief aus dem fernen Hongkong in meinen Händen hielt – auf der Briefmarke, die rechts oben auf dem Umschlage klebte, prangte das Bild der britischen Königin Elisabeth. Viele Briefe, Ansichtskarten, Fotos und kleine Geschenke folgten diesem ersten Kontakt. Ich lernte so manches über das Leben und die Menschen in diesem fernen Teil der Erde. Dansi, ein englisch und kantonesisch sprechendes Schulmädchen aus dem geschäftigen Stadtteil Kowloon, vermittelte mir ein vielfältiges Spektrum an Eindrücken von einer fernen, aus meiner Perspektive durchaus exotischen Kultur.
Ich erfuhr vom Leben zwischen Nachtmärkten und Wolkenkratzern, war begeistert von den Fotos des Peaks, den entrückenden Bildern und Beschreibungen von Victoria Harbour und den bunten Ansichtskarten, auf denen das alltägliche Leben in der Weltmetropole abgebildet war. Das pulsierende Treiben einer modernen Großstadt einerseits, die konfuzianischen Traditionen andererseits, dazu die Lieder beliebter Stars der Hongkonger Popmusik-Szene – all das war mir gänzlich neu, inspirierte mich, brachte den geheimnisvollen Duft der weiten Welt in mein kleines, stilles Schwarzwalddörfchen, öffnete meinen Horizont und beflügelte mein Denken und mein Weltbild.
Diese frühe Brieffreundschaft war für mich so etwas wie ein Schlüssel, ein Initialerlebnis, das meiner Vorstellungskraft neue Dimensionen öffnete. Zugleich erwachten mit dieser Brieffreundschaft meine Faszination und meine Empathie für die Menschen, die Kultur, die Geschichte und Gegenwart Chinas im Allgemeinen sowie Hongkongs im ganz Besonderen.
Wie das Leben oft so spielt – ich verlor den Kontakt zur Freundin meiner Jungendjahre. Was blieb ist eine ansehnliche Sammlung von Briefmarken, Briefen, unvergessenen Erinnerungen – und mein ausgedehntes Interesse für China und die Chinesen. Vieles hat sich seitdem verändert auf der Erde. China hat sich von einem Entwicklungsland zu einer der bedeutendsten Wirtschaftsmächte der Welt entwickelt. Das Vereinigte Königreich hat seine einstige Kronkolonie im Jahr 1997 aufgegeben und Hongkong konnte dahin zurückkehren, wohin es schon immer gehörte. Zusammen mit Macao wurde die Stadt zu einer der beiden Sonderverwaltungszonen Chinas. Durch Deng Xiaopings Idee von „einem Land, zwei Systemen“ verblieb ein hohes Maß an Autonomie bei der Stadtregierung von Hongkong. Während sich das politische und wirtschaftliche Erscheinungsbild der Stadt kaum veränderte, brachte die Heimkehr ins Land der Väter den Bürgern Hongkongs auf lange Sicht Sicherheit und Wohlstand und wurde zugleich eine wichtige Quelle nationaler Identifikation.
Vor noch nicht allzu langer Zeit konnte ich in einer deutschen Zeitung lesen, dass sich in Hongkong bedeutende nationale Symbole wie die Nationalflagge, das Staatswappen oder die Nationalhymne stetig wachsender Beliebtheit erfreuten und dass immer mehr Hongkonger Bürger stolz auf Ihre chinesische Staatsangehörigkeit seien. Und in der Tat: Die weitgehende politische und wirtschaftliche Autonomie sowie die offenen Märkte der prosperierenden Wirtschaftsregionen Guangdong und Chongqing verhalfen Hongkong zu mehr Wachstum und Wohlstand als je zuvor – dies obwohl Experten aus der westlichen Welt einen humanitären und ökonomischen Exodus vorausgesagt hatten. Die konsequente Anwendung der Theorie Deng Xiaopings von einem Land mit zwei Systemen halte ich für eine ganz ausgezeichnete Lösung und zugleich ein Musterbeispiel für den politischen und ideologischen Pragmatismus der chinesischen Zentralregierung.
Doch was ist inzwischen geschehen? Statt Tatkraft, Prosperität und gesellschaftlichem Zusammenhalt dominieren gewalttätige Aktionen und Unruhen weitgehend das öffentliche Erscheinungsbild der Metropole. Wer die Berichterstattung westlicher Medien aufmerksam verfolgt, dem drängt sich in immer stärkerem Maße der Verdacht auf, dass all das, was derzeit Hongkong, seine Bürger und die ganze Region in Atem hält, zumindest von außen in hohem Maße gefördert wird – wenn nicht gar hineingetragen worden ist. Die sehr einseitige Berichterstattung der westlichen Medien, die kritiklose Parteinahme für die Protestierenden, die weitgehend fehlende Distanzierung von deren Nötigungen, Gewalt und Zerstörung lassen vermuten, dass es durchaus externe Gründe für diese mangelnde Objektivität geben könnte. Als anschaulichen Indikator für externe Einmischung und Einflussnahmen kann beispielsweise die Verabschiedung des „Gesetzes über Menschenrechte und Demokratie in Hongkong“ durch den US-Senat erachtet werden. Es ist kaum nachvollziehbar, mit welcher Legitimation die USA sich in die inneren Angelegenheiten der Sonderverwaltungszone einmischen und dadurch die Unruhen weiter anheizen.
Nicht Eskalation und Ausweitung der Gewalt, sondern Augenmaß und Dialogbereitschaft sollten das Gebot der Stunde sein. In der kritischen Situation dieser Tage zeigt sich, dass die Menschen in Hongkong ein zunehmendes Bedürfnis nach Ruhe und Deeskalation verspüren und ein Ende der Gewalttaten und Unruhen sowie die Wiederherstellung von Recht und Ordnung herbeisehnen. Es ist bereits erkennbar, dass mehr und mehr Bürger Hongkongs bereit sind, sich aktiv gegen die Gewalt zu stellen und an der Wiederherstellung der gesellschaftlichen Ordnung mitzuwirken.
Einen Ausweg aus der gegenwärtigen Lage könnte die jüngste Initiative des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping aufzeigen. In seiner Stellungnahme bezog Xi einerseits klar Position zugunsten der ordnenden und stabilisierenden Kräfte in der Sonderverwaltungszone. Zum anderen stellte er klar, dass das Prinzip „Ein Land, zwei Systeme“ das adäquateste Mittel für die Verwirklichung der langfristigen Stabilität sowie der Prosperität in dem Gebiet darstelle und dass die Regierung der Sonderverwaltungszone strikt im Rahmen ihres Grundgesetzes die Umsetzung dieser Richtlinien fortsetzen werde.
In der Hongkonger Zeitung „Wen Wei Po“ hieß es in diesem Zusammenhang, dass die Rede des Staatspräsidenten Xi nicht nur eine große Unterstützung für die Administration der Sonderverwaltungszone, sondern auch einen riesigen Ansporn für die Bürger Hongkongs und eine ernsthafte Warnung an die Gewalttäter und die Drahtzieher bedeute. Man habe dadurch große Zuversicht sowie die Hoffnung auf ein baldiges Ende von Gewalttaten und Unruhe gewonnen.
Ich denke, es wäre im Interesse aller Beteiligten und Bürger Hongkongs, Gewalt und Unruhen zu beenden und auf die Ebene von Recht und Gesetz zurückzukehren. Nicht in immer stärker entfesselter Eskalation liegt der Schlüssel für Hongkongs Schicksal, sondern in Dialogbereitschaft und konstruktiver Offenheit aller Seiten. Je länger sich die Konfrontation hinzieht, desto schwieriger wird eine Rückkehr zur sachlichen Diskussion. Xi Jinpings Rede hat der Hoffnung auf ein Ende von Gewalttaten und Unruhe neue Nahrung gegeben. Alle Seiten sollten jetzt die Gelegenheit nutzen, aufeinander zuzugehen und sich die Hand zum Dialog zu reichen.
Der Autor ist ein freier Schriftsteller. Die Ansichten des Autors entsprechen nicht zwangsläufig denen der Beijing Rundschau.
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