Sich für ein Jahr eine Auszeit zu nehmen, mag für junge Menschen in westlichen Ländern eine normale Sache sein. Doch das Phänomen macht sich erst seit kurzem auch in China breit. 

Vor sechs Monaten entschied beispielsweise der 24-jährige Doktorand Zhang Yangwei, sich ein Jahr von seinen Verpflichtungen und Studien frei zu nehmen, um nach Australien zu reisen. Er hat in einem Restaurant in Sydney gearbeitet, Kirschen in einem Garten bei Orange City gepflückt und in Tasmanien Teller abgewaschen. „Das beste an einem Jahr Auszeit ist es, von einer Reise zu lernen“, sagte er. Australien hat im letzten Jahr Arbeitsvisa während der Ferien für junge Chinesen ermöglicht, Zhang war einer der ersten, der von der neuen Maßnahme profitierten konnte. Das Land gewährt chinesischen Bürgern zwischen 18 und 30 Jahren 5.000 Arbeitsvisa für die Ferien. Gegenwärtig werden die Anträge der zweiten Auflage bearbeitet. Besitzer eines Visums können für sechs Monate bei einem Arbeitgeber arbeiten und bis zu vier Monate im Land studieren.

„Auszeit-Jahre werden in China zu einem Trend. Die Quote für die Arbeitsvisen während der Ferien werden innerhalb weniger Stunden bereits erreicht, wenn sie ausgeschrieben werden“, sagte Shen Ruichen, eine Doktorandin an der Beijing Foreign Studies University. Sie hat ihren gut bezahlten Job aufgegeben und will ebenfalls eine Arbeitsreise durch Australien absolvieren. Für Doktoranden ist eine einjährige Auszeit eine Alternative für Jobbewerbungen oder weiterführende Studien. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, sie reichen von internationalen Voluntariaten bis zu Austauscharbeiten gegen Unterkunft. Einige sagen, der Trend reflektiere den steigenden Individualismus und den Abenteuersinn der jüngeren Generation, nachdem China gegenüber unkonventionellen Lebensmodellen aufgeschlossener wird.

Nachdem Lu Xiaoning an einer der besten Universitäten Chinas promoviert hatte, entschloss sie sich, vier Jahre in ausländischen Ländern zu reisen und zu arbeiten, darunter Deutschland, Argentinien und Indien: „Meine Eltern waren zuerst entschieden gegen diesen Plan. Sie dachten, es wäre exzentrisch und eine Zeitverschwendung. Doch nachdem ich ihnen ein paar Bilder geschickt hatte und ihnen zeigte, wie viel Spaß ich in den Ländern hatte, die ich besuchte, dachten sie schließlich auch, dass das eine gute Idee wäre. Die jüngeren Menschen in China bevorzugen ein Leben voller Ungewissheiten und Herausforderungen. Es ist so großartig, einen Weg zu gehen, den noch niemand gegangen ist. Das ist spannender als ein Weg, den bereits alle kennen.“

Zhangs erster Job in Australien war das Kirschenpflücken auf einer Obstfarm. Jeden Tag wachte er um 6 Uhr in der Früh auf und er teilte sich ein Zimmer mit anderen Reisenden aus verschiedenen Ländern. Die Temperaturen stiegen während des Tages auf über 30 Grad. Zhang fand die Arbeit schweißtreibend, aber sie machte ihm Spaß: „Es war, als ob ich eine fremde, exotische Welt betreten würde. Es war eine prägende Episode in meinem Leben, die sich nicht wiederholen lässt. Zu Hause in China war ich nie auf einer Farm und ich habe kaum körperliche Arbeit verrichtet.“ Nach der Arbeit verbrachte Zhang seine Freizeit in einem kleinen Dorf. Er traf sich mit Freunden aus der ganzen Welt, trank mit ihnen Bier und genoss das Barbecue. Zhang schrieb in sein Tagebuch: „Jedes Mal, wenn ich von einem Ort Abschied nehmen musste, lernte ich dafür eine neue Welt kennen: verschiedene Städte, verschiedene Heimaten und verschiedene Freunde.“ Shen sagte: „Wenn es um die Karriereentwicklung an sich geht, waren die Jobs für die Zukunft vielleicht wenig hilfreich. Aber ein Auszeitjahr ist eine Kombination aus Arbeit und Reisen. Wir reisen rund um die Welt und denken darüber nach, was wir in unserem

Leben erreichen wollen und welches Leben wir führen wollen.“