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Plattformwirtschaft im Aufwind: China strebt gesunde und nachhaltige Entwicklung der Branche an |
Yang Shuangshuang · 2023-10-25 · Quelle:german.chinatoday.com.cn |
Stichwörter: Plattformwirtschaft;China | Druck |
„Plattformwirtschaft ist eine neue, technologiegestützte Online-Wirtschaftsform, deren wichtigsten Produktionsfaktor Daten bilden. Als Motor des Ganzen fungiert Informationstechnologie neuer Generation und tragende Säule ist die notwendige Netzwerkinfrastruktur.“ So bringt Ma Xiaobai die neue Wirtschaftsform der Plattformwirtschaft auf den Punkt. Ma ist stellvertretende Direktorin des Forschungsbüros des nationalen Unternehmensforschungsinstituts, das zum Entwicklungsforschungszentrum des Staatsrates gehört.
Der Begriff der Plattformwirtschaft ist in China bereits seit einigen Jahren bekannt und seit einiger Zeit in aller Munde. In der Volksrepublik zählen unter anderem Tencent Holdings, die Alibaba-Gruppe und Meituan zu den bekanntesten Plattformunternehmen. Regional betrachtet tut sich insbesondere die Provinz Zhejiang in diesem Wirtschaftszweig hervor. Statistiken zufolge gibt es dort mehr als 300 Onlinehandelsplattformen, auf denen mehr als zehn Millionen Shops betrieben werden.
Die Weichen für diese Entwicklung wurden bereits vor rund 20 Jahren gestellt, als man 2003 in der Provinz eine Initiative zum Aufbau eines „digitalen Zhejiangs“ startete. Ein zentraler Bestandteil des Vorstoßes war die aktive Entwicklung des elektronischen Handels. Vor diesem Hintergrund erblickte im Mai 2003 auch ein Branchenneuling das Licht der Welt, den heute jeder kennt: Taobao, die Online-Einkaufsplattform des Mutterkonzerns Alibaba. Nicht einmal ein halbes Jahr später folgte AliPay, das Onlinebezahlsystem der Alibaba Group, genauer gesagt im Oktober. 2003 war auch das Jahr des SARS-Ausbruchs in China. Die Epidemie sollte unverhofft zu einem Katalysator für Online-Transaktionen werden. Das Transaktionsvolumen auf Taobao kletterte aufgrund der Epidemie in nur wenigen Monaten auf mehr als 34 Millionen Yuan. 2003 gilt daher als Geburtsstunde der Plattformwirtschaft in China.
Im Zuge der Digitalisierung haben sich die inhaltlichen Felder und auch die Formen des neuen Wirtschaftszweigs zunehmend diversifiziert. Heute erstreckt sich die Plattformwirtschaft auf alle Lebensbereiche. Offiziellen Zahlen zufolge steuerten Chinas Konsumausgaben in der ersten Jahreshälfte 2023 77,2 Prozent zum nationalen Wirtschaftswachstum bei. Dabei beliefen sich die Umsätze des Online-Einzelhandels auf 7,16 Billionen Yuan, ein Plus von 13,1 Prozent gegenüber 2022. Die Wachstumsrate des E-Commerce lag damit um 4,9 Prozentpunkte höher als die des herkömmlichen Einzelhandels.
Im Bild: Die „China Cross-Border E-Commerce Fair“ in Shenzhen am 18. August 2023
Neue Chancen ergreifen
In den letzten Jahren ist eine neue Technologiewelle in Form von künstlicher Intelligenz über den Globus geschwappt. In diesem Kontext drängen alle führenden IT-Unternehmen darauf, sich neu aufzustellen, was große Chancen für eine hochwertige Entwicklung der Plattformwirtschaft bietet.
Der größte Durchbruch in der KI im vergangenen Jahr habe in der rasanten Entwicklung der generativen KI gelegen, repräsentiert durch ChatGPT, sagt Ma Xiaobai. Der Kern dieser Plattform bestehe in Algorithmen zur Erleichterung von Mensch-zu-Mensch-Verbindungen. Aus Mas Sicht bringt diese Entwicklung viele Vorteile: „Die generative KI erweitert die Anwendungsszenarien der KI erheblich. Auch dürfte sie die Effizienz und das Niveau der Mensch-Computer-Interaktion heben und die Servicefähigkeiten der Plattformwirtschaft für Kunden aus unterschiedlichen Ländern effektiv verbessern“, so die Expertin.
Konkret schlagen sich die Vorzüge von KI in folgenden Aspekten nieder: Dank des deutlich verbesserten Verständnisses der Bedürfnisse und des Verhaltens der Nutzer bietet KI präzisiere, stärker personalisierte und diversifizierte Dienstleistungen und Produkte an. Durch eine genaue Berechnung von Nachfrage und Angebot lassen sich zudem Bestand, Logistik und Preisgestaltung dynamisch anpassen. Außerdem wird ein branchen- und regionenübergreifender Datenaustausch möglich. Auch kollaborative Innovationen, etwa durch eine Kombination von Technologien wie Cloud Computing, Internet of Things (IoT) und Blockchain, werden einfacher.
Angesichts des rasanten technologischen Wandels springen immer mehr Internetriesen auf den KI-Zug auf. Ein Beispiel hierfür ist NetEase, eines der führenden chinesischen IT-Unternehmen. Auf der im Juli abgehaltenen Konferenz zur Entwicklung einer hochwertigen Plattformwirtschaft in der Provinz Zhejiang offenbarte Ding Lei, Vorsitzender und CEO von NetEase, dass auch sein Unternehmen in Zukunft verstärkt auf KI setzen wolle. Dies belegen auch einige Zahlen, die Ding anführte. So hat NetEase in den letzten drei Jahren mehr als 40 Milliarden Yuan in die Erforschung und Entwicklung von KI investiert. Geplant sei, ein zu 100 Prozent selbst entwickeltes Spitzentechnologie-System aufzubauen. „Wir wollen uns in den Schlüsselbereichen gegenüber der internationalen Konkurrenz behaupten, ja ihr sogar einen Schritt voraus sein“, beschreibt der Unternehmenschef seine Ambitionen.
Um ein umfassendes Bild über die Entwicklung der Plattformunternehmen im Land zu erlangen, hat Chinas Nationale Entwicklungs- und Reformkommission jüngst einen Bericht über typische Investitionsprojekte veröffentlicht. Ihm zufolge haben Plattformunternehmen ihre Investitionen in Bereichen wie technologische Innovation und Stärkung der Realwirtschaft weiter aufgestockt. Im ersten Quartal 2023 erhöhten Chinas Top-10-Plattform-Konzerne ihre Investitionen in Bezug auf die Marktkapitalisierung deutlich, etwa durch autonome Investitionen oder Investitionen durch Tochtergesellschaften. Deutlich zugenommen hat auch der Anteil ihrer Investitionen in Bereichen wie Chips, autonomes Fahren, neue Energien und Landwirtschaft. Hier gab es ein Plus von 15,6 Prozent im Jahresvergleich.
Transparente und regelmäßige Aufsicht
Jede Münze hat zwei Seiten. So ist es auch bei der Plattformwirtschaft. Parallel zur rasanten Entwicklung der Branche steigt auch das Risiko der Monopolbildung, weshalb Chinas Regierung die Branche seit 2019 unter besondere Aufsicht stellt. Zuallererst wurden Maßnahmen ergriffen, um eine unkontrollierte Kapitalexpansion zu verhindern. Anschließend setzte man ein Ampelsystem zur Einordnung der Kapitalmarktaktivitäten ein, um explosionsartiges schädliches Wachstum zu unterbinden. Letztlich etablierte die Regierung ein System zur kontinuierlichen Aufsicht und Regulierung der Branche.
Laut Ma Xiaobai handelt es sich dabei um einen langfristigen Mechanismus, der nach dem Ende des jeweiligen Berichtigungszeitraums angewendet werde. Er ziele darauf ab, ein umfassendes, mehrstufiges, vielschichtiges und systematisches Aufsichtssystem zu schaffen, das sich an die schnelle Entwicklung und die Veränderungen der Branche anpasse. Um dies zu erreichen, sei es erforderlich, so Ma, die Koordinierung und Kooperation verschiedener Behörden zu verstärken, die bestehenden Gesetze, Vorschriften und Normen zu verfeinern sowie die Instrumente und Methoden der Aufsicht zu erneuern. Ziel sei es, eine genaue und wirksame Kontrolle und Regulierung zu erreichen.
In diesem Zusammenhang wurde vor kurzem auch ein Seminar zur Plattformwirtschaft unter Vorsitz des chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang abgehalten. Li hörte sich dabei auch die Einschätzungen und Vorschläge von Unternehmensvertretern zur Förderung der Plattformwirtschaft an und rief dazu auf, eine gut regulierte, gesunde und nachhaltige Entwicklung der Branche zu fördern.
Eine solche Entwicklung, sagt Ma, bedürfe nun einer Optimierung des Entwicklungsumfeldes, einer Förderung der Innovations- und Entwicklungsfähigkeiten der Plattformunternehmen und einer Verbesserung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Dafür schlägt sie vor, die Plattformbetreiber weiter zu ermutigen, ihre Stärken in Sachen Daten und Kapital voll auszuspielen, die Erforschung und Entwicklung von Schlüsseltechnologien zu beschleunigen und hier möglichst rasch Durchbrüche zu erzielen. Ferner gelte es, die Betriebskosten aller Akteure zu senken und bestehende Zugangsbeschränkungen zu beseitigen bzw. zu regulieren. Plattformunternehmen sollten dazu ermutigt werden, wissenschaftliche und technologische Innovationen, Innovationen mit Modellcharakter und eine branchenübergreifende Integration durchzuführen. Nicht zuletzt sei es vonnöten, Plattformunternehmen dabei zu unterstützen, ihre Produkte und Dienstleistungen auf den Weltmarkt zu bringen und sich an der Formulierung internationaler Regeln zu beteiligen.
Eintritt auf den internationalen Markt
Auf der Zentralen Wirtschaftskonferenz Ende 2022 hatte China bereits angekündigt, dass man heimische Plattformunternehmen gezielt dabei unterstützen wolle, ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Auf diese Weise will man zusätzliches Wirtschaftswachstum generieren, Arbeitsplätze schaffen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit fördern. Damit gab die Regierung die neue Marschroute für die heimischen Plattformunternehmen vor.
Digitale Plattformen kennen weder zeitliche noch räumliche Grenzen. Sie verbinden Nutzer weltweit direkt miteinander, wodurch die Kosten und Unwägbarkeiten grenzüberschreitender Transaktionen wegfallen.
Am 27. Juli veröffentlichte das Institut für Markt- und Preisforschung der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission seinen Bericht „Chinesische Unternehmen auf dem Weg nach Übersee 2023 – Der Weg zur Globalisierung chinesischer Plattformunternehmen“. Das Papier zeigt, dass nach Huawei, Midea, Haier, ZTE und anderen großen Firmen, die einst mit traditionellen Methoden Fuß auf ausländischen Märkten fassen konnten, nun auch immer mehr kleine und mittlere Unternehmen (KMU) daran arbeiten, sich mit Hilfe digitaler Plattformen tief in die globale Industriekette zu integrieren und sich so auf den Überseemärkten zu behaupten.
Zu nennen ist hier beispielsweise der Zahlungsdienstleister WorldFirst von Ant Financial der Alibaba Group. Mit dem technologiebasierten „One-Stop-Service“ des Unternehmens werden Dienstleitungen wie das Empfangen und Tätigen von Überweisungen sowie das Verwalten, Einlösen und Verleihen von Geldbeträgen über einen einzigen Account realisiert, was es vielen Klein- und Kleinstunternehmen ermöglicht, mit ihren Geschäften leichter ins Ausland zu expandieren. Derzeit streckt die Firma ihre Fühler in mehr als 70 Länder und Regionen der Welt aus und kooperiert mit mehr als 120 ausländischen E-Commerce-Plattformen. Insgesamt profitieren bereits über eine Million Händler weltweit davon.
Die Liste der chinesischen Unternehmen, die im globalen Wettbewerb aktiv sind, ist lang. Liu Yuanchun, Präsident der Shanghai University of Finance and Economics und ehemaliger Vizepräsident der Renmin-Universität, sagt, worauf es nun ankomme, wenn man mit den großen Playern aus Europa und den USA mithalten wolle, sei Möglichkeiten auszuloten, wie Unternehmen mit digitalen Plattformen Innovationen im Bereich der Technologie und des Geschäftsmodells erreichen könnten. Daher gelte es für führende Plattformunternehmen aus China, in Zukunft gezielt die Weichen für bahnbrechende technologische Innovationen zu stellen und durch die tiefe Integration von Technologie, Talenten, Bildung und Industrie erfolgreich ihre Plattformwirtschaft aufzubauen.
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