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Antike Werke im neuen Licht: Die Reise eines deutschen Gelehrten in die TCM |
Von Wang Ruying · 2023-11-02 · Quelle:german.chinatoday.com.cn |
Stichwörter: TCM;Deutschland | Druck |
Wenn man Professor Paul Ulrich Unschuld zum ersten Mal sieht, bekommt man sofort den Eindruck, dass er ein typischer Gelehrter ist. Er ist groß und würdevoll, trägt einen eleganten schwarzen Anzug und spricht präzise und streng. Als deutscher Medizinhistoriker, Übersetzer und Sinologe beschäftigt er sich seit Jahren intensiv mit der Erforschung der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und Pharmakologie. Inzwischen hat er bereits eine Reihe antiker chinesischer medizinischer Werke wie „Bencao Gangmu“, „Su Wen“ und „Ling Shu“ des „Huangdi Neijing“ sowie „Nan Ching“ ins Englische oder Deutsche übersetzt. Damit hat er zum medizinischen Austausch zwischen verschiedenen Ländern beigetragen.
Aus Neugier wird ein Lebenswerk
Professor Unschuld stammte aus einer Apothekerfamilie. Sein Vater betrieb eine eigene kleine Apotheke. Seine Eltern hatten viele alte Arzneibücher gesammelt. Dies führte dazu, dass er sich später entschied, Pharmazie zu studieren. In den 1960er Jahren reiste Professor Unschuld gemeinsam mit seiner Frau Ulrike Unschuld in die chinesische Inselprovinz Taiwan, um Chinesisch zu studieren. Während der Studienreise brannte er darauf zu erfahren: Was macht die historische Pharmazie in China? Mit dieser Frage begann Professor Unschuld seine TCM-Forschungen.
Ende der 1970er Jahre begann China, sich der Welt zu öffnen. Im Westen nahm das Interesse an den chinesischen medizinischen Behandlungsmethoden wie zum Beispiel Akupunktur und Moxibustion allmählich zu. Vor diesem Hintergrund wurde Professor Unschuld als Experte auf dem Gebiet der TCM häufig zu verschiedenen Vorträgen eingeladen. Dabei hat er gemerkt, dass die chinesische Medizin in Deutschland sowie anderen westlichen Ländern wenig aus historischer Perspektive verstanden wurde. Das brachte ihn auf die Idee, die alten chinesischen medizinischen Werke zu übersetzen, damit die westliche Welt die TCM besser kennen lernen konnte.
Mit dieser Entscheidung fing die Übersetzungskarriere von Professor Unschuld an. Selbst als er im hohen Alter an Krebs erkrankte, gab er sein Ziel nicht auf. Bereits in den vergangenen fünfzig Jahren hat er viele chinesische medizinische Klassiker übersetzt. Der Übersetzungsprozess war eine lange und mühsame Reise – unvollständige Texte, schwer zu überprüfende historische Namen und eine Vielzahl von Begriffen machten die Reise zu einer größeren Herausforderung. Doch Professor Unschuld konnte durch seine akribische und wissenschaftliche Haltung alle Schwierigkeiten überwinden. Am Beispiel seiner Übersetzungsarbeit von „Bencao Gangmu“ veranschaulichte er den „Ingenieursgeist“ eines Übersetzers.
„Bencao Gangmu“ ist ein Klassiker der Medizin, aber auch eine Enzyklopädie der antiken Welt. Das Buch deckt auch ein breites Spektrum der Naturwissenschaften ab, einschließlich Medizin, Botanik, Zoologie, Mineralogie, Chemie, Astronomie, Geographie, Physik und Meteorologie, was die Übersetzungsarbeit zu einem außerordentlich schwierigen Unterfangen machte.
Die englische Version von „Bencao Gangmu“, übersetzt von Professor Unschuld, University of California Press, Ausgabe 2020 (Foto: Xinhuanet)
Um dieses medizinische Werk zu übersetzen, hat Professor Unschuld in Zusammenarbeit mit mehreren chinesischen Experten zunächst ein dreibändiges Lexikon zusammengestellt, in dem sie die Terminologie in „Bencao Gangmu“ sorgfältig recherchiert haben, um die Grundlage für die anschließende Übersetzungsarbeit zu schaffen.
Zunächst kooperierte er mit Professorin Zhang Zhibin, der führenden Forscherin für chinesische Medizingeschichte und -literatur an der Chinesischen Akademie der Chinesischen Medizinischen Wissenschaften während der Arbeit am ersten Band des Lexikons. Ziel war es 4500 erwähnte Krankheiten in „Bencao Gangmu“ zu identifizieren. Später, auf Basis der von Professor Hua Linfu der Renmin-Universität gelieferten Materialien, arbeitete Professor Unschuld mit Professor Paul Buell, einem Geschichtsprofessor von der University of North Georgia in den Vereinigten Staaten, am zweiten Band zusammen, um die in „Bencao Gangmu“ genannten antiken Ortsnamen zu bestätigen. Der dritte Band wurde in Zusammenarbeit mit Professor Zheng Jinsheng, einem Forscher der Geschichte der chinesischen Pharmakologie an der Chinesischen Akademie der Chinesischen Medizinischen Wissenschaften, sowie mit Professor Buell und Frau Nalini Krik, Dozentin für chinesische Medizin am Institut für Aus- und Weiterbildung in Chinesischer Medizin, verfasst. Ziel war es, die in „Bencao Gangmu“ erwähnten Buch- und Personennamen festzustellen. Zur Unterstützung von Professor Unschulds Arbeit gewährte der chinesische Unternehmer Rong Yumin eine großzügige finanzielle Förderung.
Mit seinen unermüdlichen Bemühungen ist Professor Unschuld mittlerweile zu einer Autorität im Bereich der TCM geworden. Regelmäßig wird er zu verschiedenen Vorträgen eingeladen, um jungen Gelehrten die Übersetzungsmethoden für die traditionelle chinesische Medizin näherzubringen. Mit seinen Übersetzungswerken erhielt Professor Unschuld mehrere Auszeichnungen wie den „Besten Übersetzungspreis“ des Special Book Award of China und den „Special Shulan Medicine Award“ der Shusen-Lanjuan Academician Talent Foundation. Sein Name ist eng mit der TCM-Forschung verbunden.
Professor Unschuld hält an der Fremdsprachenuniversität Beijing einen Vortrag über die TCM-Übersetzung. (Foto: Wang Ruying)
Medizin der Antike? Die Philosophie der Menschheit!
Ist es in einer Zeit, in der die moderne Medizin so fortgeschritten ist, noch sinnvoll, die Bedeutung der altchinesischen Medizin zu erkunden und zu erforschen? Auf diese Frage antwortete Professor Unschuld in philosophischer Weise:
„Zum einen kann man aus diesen Aufzeichnungen chinesischer Ärzte von den vergangenen 2000 Jahren immer noch zahlreiche wertvolle Erkenntnisse auch für die heutige und zukünftige Medizin gewinnen. Andererseits helfen uns die medizinischen Schriften der chinesischen Antike zu verstehen, was die Anfänge der chinesischen Medizin waren.“ Nach Ansicht von Professor Unschuld ging die Entwicklung der Medizin mit dem Anfang des Rationalismus einher. „Wann kamen Ärzte und Naturkundler in China auf die Idee, eine Medizinlehre zu gründen, statt das körperliche Unbehagen auf die Götter, Geister, Dämonen oder Ahnen zurückzuführen? Es ist genau wie die antike griechische Medizin, die allein Naturgesetzlichkeit als Grundlage des Verständnisses von Lebensprozessen annimmt. Bei der chinesischen Theorie von Yin und Yang und den Fünf Elementen handelt es sich zum Beispiel um reine Naturgesetze, ohne Glauben an Gott oder Geister, Götter oder Dämonen. Das ist revolutionär.“
Professor Unschuld im Interview mit China Heute (Foto: Wang Ruying)
Die Übersetzung und Interpretation antiker chinesischer medizinischer Werke fördert auch den kulturellen Austausch. Laut Professor Unschuld ist Medizin „angewandte Philosophie auf den menschlichen Körper und Krankheiten“. Wie Menschen Krankheiten vorbeugten und behandelten, spiegele auch ihre Lebensphilosophie wider. Die Medizin aus verschiedenen Zivilisationen reflektiere ihre unterschiedlichen Denkweisen, und der Vergleich zwischen der fernöstlichen und der europäischen Medizin sei auch ein Dialog zwischen den beiden Zivilisationen. „Mein Lieblingstext ist Lingshu“, sagt Professor Unschuld, „weil darin so viel Philosophie, so viel Menschenkenntnis steckt, natürlich auch sehr viel über die antike chinesische Gesellschaft.“
TCM: ein helles Licht für die zukünftige Medizinentwicklung
Im Oktober 2015 wurde die chinesische Pharmazeutin Tu Youyou für die Entwicklung des neuen Malariamittels Artemisinin mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet. Ihre Inspiration für die Erfindung des Artemisinins stammte aus einem pharmazeutischen Werk von Ge Hong aus der Östlichen Jin-Dynastie (317-420). Inspiriert von dem alten Rezept nutzte Tu Youyou dann moderne chemisch-pharmakologische Technologien, um Artemisinin zu extrahieren. Das Malariamittel hat vielen Millionen Menschen das Leben gerettet. Auch dadurch rückte die traditionelle chinesische Medizin wieder ins Blickfeld der Welt.
Es ist jedoch noch ein weiter Weg, um der Welt die chinesische Medizin näherzubringen. Professor Unschuld räumt ein, dass es in den europäischen Ländern eine überschaubare, treue Klientel gibt, die an Akupunktur und Moxibustion glaubt und sich damit behandeln lässt. Leider ist diese Gruppe nicht von Jahr zu Jahr größer geworden. Er ist auch der Meinung, dass die alten chinesischen medizinischen Therapien von der modernen Medizin wissenschaftlich nachgewiesen werden müssen, bevor sie zur Behandlung eingesetzt werden können.
Dennoch können diese antiken Klassiker auch eine wichtige Rolle spielen. Professor Unschuld betont, dass chinesische Ärzte in der Antike alle möglichen Substanzen in der Natur in der Heilkunde angewandt und Tausende von Rezepturen niedergeschrieben haben. Heute können Menschen, ähnlich wie Tu Youyou und ihr Team, aus diesen Aufzeichnungen Hinweise für die Entwicklung neuer Medikamente bekommen. Dies war auch das ursprüngliche Ziel seiner Übersetzungsarbeit.
In den vergangenen Jahren hat die traditionelle chinesische Medizin international Anerkennung gefunden. Der in China heimische Ginkgobaum wurde in viele Länder der Welt eingeführt, und Wissenschaftler in Deutschland haben schon wertvolle Bestandteile aus dem Ginkgo extrahiert, um Krankheiten wie Alzheimer zu behandeln.
„Deshalb gibt es natürlich immer auch Forschungen darüber, wie man antike chinesische Rezepturen und antike chinesische Heilverfahren wissenschaftlich erklären und damit auch in die moderne Medizin einführen kann“, sagt Professor Unschuld. „Wie gesagt, dies betrifft nicht nur die Erfahrung aus der chinesischen Vergangenheit, sondern auch die Erfahrung aus dem alten Indien und Arabien oder auch aus der Volkskunde. Alles wird kontinuierlich untersucht, um festzustellen, ob man daraus Dinge in die moderne Medizin übernehmen kann.“
Im Laufe der Jahre hat sich Professor Unschuld stets der Verbreitung der chinesischen Kultur gewidmet. Seine Übersetzungswerke sind wegweisend, da sie sich auf strenge philologische und historische Methoden stützen und dem Originaltext treu bleiben. Mit seiner Genauigkeit hat er sich für die Übersetzung antiker chinesischer Medizinklassiker eingesetzt, mit dem Ziel, den westlichen Lesern die wahre TCM und die Weltanschauung der alten Chinesen nahezubringen.
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