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China in zweitausend deutschen Worten

Von Wolfgang Kubin  ·   2022-06-13  ·  Quelle:China Heute
Stichwörter: Deutschland;China
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Berlin war und ist eine offene Stadt, bereit für alles Fremde, so hatte ich im Juni 1985 die Gelegenheit, fünfzehn chinesische Schriftsteller zu den dortigen Festspielen einzuladen. Darunter u.a. Zhang Jie, Zhang Kangkang, Fu Tianlin, Bai Xianyong. Meine Studenten und ich übertrugen. Wir wurden über Nacht zu Übersetzern und Dolmetschern der Gegenwartsliteratur aus China. Es war wie ein Rausch. Ich konnte dergleichen einmal in Bonn wiederholen. Eine Delegation von zehn Autoren kam an den Rhein für eine Woche chinesischer Literatur: u.a. Mo Yan, Wang Anyi, Zhang Chengzhi. Die Hörsäle der Universität waren brechend voll. Wir erlebten ein noch größeres Fest als in Berlin! Alles wollte und mochte die neueste Literatur aus dem „Reich der Mitte“. Und dann?  

Ach, dann hatte ich längst Berlin verlassen und war Professor für Chinesisch an dem uralten Seminar für Orientalische Sprachen über dem Rhein geworden. Ich hätte an der Freien Universität Hochschullehrer werden können, aber nur für eine gewisse Zeit. Die Universität Bonn bot dagegen eine Lebensstellung und ließ mich auch nicht mehr gehen. So hatte ich ein Heim für eine Pekingerin und für zwei gemeinsame Söhne mit ihr zu bieten. Wir leben heute am Ende des Siebengebirges in einem eigenen Haus. Unsere vielen Bücher bedürfen einer geziemenden Unterkunft, sie verweigerten sonst ihren Dienst. Und was ist mit den zahlreichen reißenden Bächen und mit all den übermütigen Singvögeln im Umkreis? Sie bieten mir eine Welt des Tao Yuanming. Wir leben in Holzlar verborgen hinter Zäunchen und Bäumchen. Kinder spielen überall, auch chinesische. Man fährt Rad, wir brauchen kein Auto. Seltene Blumen blühen wild in den Straßen, von dem Volk launisch gepflanzt. 

Was wurde aber aus all den eifrigen Literaturübersetzern der 80er Jahre? Ach, sie wanderten ab, als China reich und mächtig wurde. Sie wollten Geld verdienen oder sich politisch betätigen. Nur wenige vermochte das viele Geld nicht zu locken. Ich konnte daher noch mit meinen besten Studenten meine Lu Xun-Ausgabe 1994 in sechs, sieben Bänden herausbringen, sie verkauft sich bis heute. Ich war auch in der Lage, nach gut dreißig Jahren meine Geschichte der chinesischen Literatur in zehn Einzelwerken zu vollenden. Doch schon zuvor hatte ich entschieden, nun für China und mich nur noch als Einzelkämpfer tätig zu sein. Kollegen erwiesen sich als unzuverlässig, sie sprangen von Projekten ab und ließen mich ihre Bücher schreiben, kassierten aber vorher Ruhm und Gelder ein. 

   

In seiner Freizeit treibt Wolfgang Kubin gern Sport. Unser Foto zeigt ihn unterwegs mit dem Velo. 

Seit meiner Emeritierung schreibe und übersetze ich nur noch allein. Emeritierung? Formal ja, an der Universität Bonn. Doch ich unterrichte und promoviere weiterhin chinesische Studentinnen, denn ich bin Professor auf Lebenszeit. Nach acht Jahren als Senior Professor am Beiwai (Beijing Foreign Studies University) lehre ich heute zusätzlich an der Universität Shantou in derselben Position. Wegen Corona manchmal im Internet von Bonn aus, trotz Corona manchmal vor Ort unter den Bergen.  

Ob Peking oder Shantou, ob Qingdao oder Ji’nan, wo ich ebenfalls lange gelehrt habe, sie alle waren Orte meiner Lyrik, meiner Essayistik, meiner Erzählungen, nicht nur meiner Wissenschaft oder Übersetzung. 

Woran denke ich heute, momentan in Bonn – kein Flugzeug oder zu teuer –, wenn ich an Peking denke? An den Tempel des Schlafenden Buddha unter den Duftenden Bergen. Ich habe viel dort geweilt und viel dort über ihn geschrieben. Und sonst? Denke ich an Erguotou, meinen Herzensschnaps, an Huashengmi (eine Schale mit Erdnüssen), an Jiaozi (Maultaschen mit Knoblauch, Ingwer, Chili und Sojasoße). Und im Falle von Shantou? An das brasilianische Fußballspiel mit den Dozenten und Studenten, an Bülbül, die nicht müde werden durch den riesigen Park zu fliegen und mich bei meiner Lektüre unter den Bäumen sowie an den Seen zu begleiten, an Pingguo guniang, die immer mit einem Apfel in den Unterricht kommt, an Beiguo guniang, die sich gern mit ihren Kommilitoninnen ins vorzügliche Restaurant namens „Beiguo“ (Nördliche Lande) einladen lässt. Kann das Leben mehr Sehnsucht als in China sein, als in China zu sein? 

Als ich letztens durch die Duftenden Berge von Peking streifte, befiel mich Wehmut. Vor fünfzig Jahren fuhr ich mit dem Rad dorthin, heute steigt man dort aus der U-Bahn aus. Die roten Blätter finden Herbstens so mühelos ihr reiches Personal. Ich habe sie selbst nie gesehen. Nur im Traum kann ich sie erreichen. Wie in einem chinesischen Gemälde, welches ganz Traum ist und Schlaf, Schlaf der Ewigkeit. Das ewige China eine Mär der „Orientalisten“? Weit gefehlt! Der Schlafende Buddha würde protestieren! Wie recht er hat! Darum bedarf er meiner, um zu uns zu sprechen, so wie er einst zum Qianlong-Kaiser gesprochen hat. Dessen absichtlich falsch geschriebenes Zeichen hängt im Tempel noch an der Wand! Zum Erstaunen der Besucher. Wer sind wir, fragen wir demütig uns. 

*Wolfgang Kubin ist emeritierter Professor für Sinologie in Bonn sowie Übersetzer und Schriftsteller. Er hat mehrere Jahre als Seniorprofessor deutsche und chinesische Geistesgeschichte in Peking und Shantou gelehrt. 

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