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„Etwas Sinnvolles tun“: Ein Deutscher und seine stille Bäckerei in Changsha

  ·   2022-03-21  ·  Quelle:China Heute
Stichwörter: Uwe Brutzer;Brot;Hunan
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Uwe Brutzers Arbeitstag beginnt jeden Morgen mit der Auflistung der Zutaten, die er an diesem Tag zur Zubereitung seiner Brote und Brötchen, Kuchen und Desserts braucht. Feinsäuberlich notiert er alles auf einer kleinen Tafel in der ordentlichen Backstube seiner „Bach’s Bakery“. Während der Arbeitszeit ist es hier fast mucksmäuschenstill. Das einzige, was man hört, ist das Geräusch der Backmaschinen. Die Stille ist nicht etwa Arbeitsvorschrift. Sprechen ist hier durchaus erlaubt. Dass es dennoch so ruhig ist, liegt daran, dass in Brutzers Bäckerei fast ausschließlich Gehörlose arbeiten. Die körperliche Beeinträchtigung tut der hohen Professionalität und großen Aufmerksamkeit der Angestellten jedoch keinen Abbruch. Die Verständigung erfolgt hier fast ausschließlich in Gebärdensprache, Verständigungsschwierigkeiten unter den Kollegen gibt es also kaum.  

Die deutsche Bäckerei liegt in der Xiangchunlu-Gasse in Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan. Kunden können hier verschiedenste deutsche Backwaren – von süß bis deftig – erstehen, genauso wie Getränke. Die frisch gebackenen Brote erfreuen sich bei den Einheimischen großer Beliebtheit. Viele sind gerührt von der Geschichte des deutschen Backmeisters, der in ihrer Heimatstadt eine „stille Bäckerei” eröffnet hat. Manch einer pendelt gar quer durch die Stadt, um sich mit Backwaren einzudecken und den Deutschen und seine ungewöhnliche Initiative zu unterstützen.  

Seit einem Jahrzehnt betreibt Uwe Brutzer seine Backstube nun schon, gemeinsam mit seiner Frau Dorothee. Ziel des Ehepaares ist es, Gehörlosen einen festen Arbeitsplatz zu verschaffen, damit sie auf eigenen Beinen stehen und ein würdevolles Leben führen können.  

Uwe Brutzer und seine Frau Dorothee feierten am 18. Januar 2017 ihren 20. Hochzeitstag in ihrer „Bach's Bakery”. Auch Mitarbeiter und Freunde ließen es sich nehmen, zu gratulieren. 

Das eigene Leben mit Sinn füllen  

Uwe Brutzer ist in Karlsruhe aufgewachsen. Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Chemieingenieur in einer Pharmafabrik. Seine Frau war Grundschullehrerin. Die Eheleute hatten es gut, lebten sorgenfreien. Doch Brutzer hatte den großen Wunsch, Chinesisch zu lernen. „Ich wollte einfach etwas Sinnvolles tun, um anderen zu helfen. Und da ich mich schon immer für China interessiert habe, spürte ich, dass ich hier etwas Nützliches beitragen können würde, wenn ich nur die Sprache erlernte“, erinnert sich der ehemalige Chemieingenieur zurück.  

Brutzers Frau Dorothee unterstützte die Idee. Schon kurze Zeit später kündigten beide ihre Arbeitsstellen in Deutschland und machten sich auf den Weg nach Taiwan, genauer gesagt in die Stadt Taichung, um dort Chinesisch zu lernen. Während des Sprachstudiums sah Brutzer dann zufällig ein Werbeplakat der deutschen „Universal Relief Association“. Gesucht wurden Freiwillige für ein Wohltätigkeitsprojekt in Changsha. Ziel war es, taubstummen Kindern und Jugendlichen durch ein Sprachrehabilitationstraining zu helfen. Das Projekt bot den Brutzers genau die Chance, nach der sie gesucht hatten, um etwas Nützliches zu tun und anderen zu helfen. 2002 kam das deutsche Ehepaar schließlich nach Changsha, um sich ehrenamtlich für gehörlose Kinder zu engagieren.   

In ihren Anfangsjahren in der chinesischen Metropole boten beide einen Sprachrehabilitationskurs für taubstumme Kinder im Reha-Zentrum des Behindertenverbandes der Provinz Hunan an. Als Rehabilitationstrainer schulten sie tagtäglich hörgeschädigte Kinder und Jugendliche und brachten ihnen eine vereinfachte Aussprache bei. Brutzer erinnert sich noch an viele ehemalige Schülerinnen und Schüler, die durch das Training messbare Fortschritte erzielten und letztlich eine reguläre öffentliche Schule besuchen konnten. Die Gründen für den Erfolg: Zum einen litten die meisten der Kinder nicht an gravierender Schwerhörigkeit und zeigten großen Ehrgeiz bei der Arbeit mit den Ausbildern. Zum anderen legten auch die Eltern großen Wert auf alle Trainingskurse. Jedoch ging auch nicht immer alles glatt. Es gab leider auch Kinder, die nach dem Rehabilitationstraining noch immer die Sonderschule besuchen mussten. Trotzdem erhielten letztlich alle eine gute Ausbildung.    

Nach gut einem Jahrzehnt der Freiwilligenarbeit erkannte Brutzer mehr und mehr, dass hörgeschädigte Erwachsene oft mit noch größeren Herausforderungen konfrontiert waren als Kinder. Mangels normaler Kommunikationsfähigkeiten fiel es vielen von ihnen schwer, sich in die Erwachsenenwelt zu integrieren und unabhängig ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. 

Das brachte Brutzer auf die Idee, eine Bäckerei zu eröffnen, um diesen Menschen eine solide Ausbildung zu verschaffen. Mit diesem Traum vor Augen verließen die Brutzers 2011 das Rehabilitationszentrum und kauften einem Landsmann seine Bäckerei ab. „Wir hatten eine deutsche Konditor-Meisterin mit im Boot, die uns unterrichtete“, erinnert sich der gebürtige Karlsruher. Die deutsche Bäckermeisterin wirkte vier Jahre lang an der Ausbildung der gehörlosen Lehrlinge im Laden mit. Danach begann auch Uwe Brutzer selbst, mit den taubstummen Angestellten Brot zu backen.  

Mittlerweile hat der kleine Betrieb insgesamt fast 30 junge hörgeschädigte Lehrlinge ausgebildet. Einige von ihnen sind heute als Bäcker im Laden angestellt, andere haben eine Anstellung in anderen Bäckereien oder Hotels gefunden, einige wenige haben sich selbständig gemacht. Alle von ihnen können ihr Leben heute aus einiger Kraft bestreiten, was ihnen großes Selbstvertrauen gibt.  

„Den Schritt in die Selbstständigkeit haben natürlich nur wenige geschafft“, sagt Brutzer. Eine Bäckerei zu gründen, erfordere eben viel mehr Arbeit und Initiative als nur zu backen. Daher sei dies ohne die Hilfe von Familienmitgliedern oder Freunden für die Hörgeschädigten meist schwer realisierbar, erklärt er. 

Seinen eigenen Bäckereiangestellten bietet der Deutsche gute Arbeitsbedingungen wie eine ordentliche Sozialversicherung und ein stabiles Einkommen, selbst in den Zeiten von Corona, die auch an Brutzers Betrieb natürlich nicht spurlos vorbeigingen. 

Schnappschuss vor Schneeblumen: Die Brutzers genießen einen Wintertag in Changsha im Dezember 2021. 

Die endlose Kraft eines guten Beispiels  

„Als wir vor rund 20 Jahren nach Changsha kamen, war die staatliche Unterstützung für Hörgeschädigte bei weitem noch nicht ausreichend”, erinnert sich Brutzer. Seither habe sich allerdings vieles getan. Es gebe heute schon zahlreiche staatliche Programme für Sonderbildung und Karriereplanung. „Wir sind Zeuge dieses Wandels geworden und sehr begeistert“, sagt er. Insbesondere nach der erfolgreichen Ausrichtung der Sommer-Paralympics 2008 in Beijing habe es enorme Fortschritte bei der Behindertenbetreuung in ganz China gegeben, ergänzt er.  

Zwei Jahrzehnte lebte das hilfsbereite deutsche Ehepaar in China. Hinter der Beharrlichkeit steht auch die große Unterstützung der Familien der beiden in Deutschland. Im Laufe des Lebens soll man etwas Sinnvolles tun – diese Worte seiner Mutter haben sich Uwe Brutzer bis heute fest ins Gedächtnis eingebrannt.    

Auch von chinesischer Seite haben die Brutzers vielseitige Unterstützung erhalten. Um ein noch komfortables Umfeld zu schaffen, finanzierte ein privater Spender die Kosten für eine Renovierung. Außerdem berichteten immer mehr Medien über die Arbeit des deutschen Paares, was dem Wohltätigkeitsprojekt immer mehr Aufmerksamkeit bescherte. Und mit steigender Bekanntheit stiegen auch die Einnahmen der Bäckerei. Noch wichtiger sei es aber, betont Brutzer, dass den Leuten durch das Medienecho bewusst geworden sei, dass behinderte Menschen genauso gute Arbeit leisten können wie alle anderen Menschen, solange sie die gleichen Chancen erhalten.  

Wegen des starken Heimwehs seiner Frau entschied sich Brutzer, im Mai dieses Jahres nach Deutschland zurückzukehren. Für die Bäckerei haben sie glücklicherweise Nachfolger gefunden, ein Ehepaar aus Deutschland, das zuvor in China im Bildungsbereich tätig war. Die beiden führen die Backstube nun nach dem Wunsch der Brutzers weiter, inklusive kostenloser Ausbildung für Hörgeschädigte und ohne Kommerzialisierung des Betriebs. 

Einige Wehmutstropfen gebe es im Rückblick auf die Jahre in Changsha aber schon, gesteht Brutzer. „Hätten wir die entsprechenden Kapazitäten gehabt, hätten wir gerne noch mehr Zeit in die Ausbildung und Einstellung von Menschen mit anderen Behinderungen investiert, zum Beispiel von geistig Behinderten, die besonders große Schwierigkeiten bei der Jobsuche haben”, sagt er. Er hoffe, dass die chinesische Regierung die Unternehmen im Land in Zukunft durch gezielte Steuervergünstigungen dazu ermutige, mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Behinderte zu schaffen. 

Was die zukünftige Arbeit des Ehepaars in Deutschland angeht, sagt Brutzer, man wolle die Ausbildung von Behinderten auch in der Heimat fortsetzen, wenn sich eine geeignete Chance böte. Die Backstube in Changsha jedenfalls, trügen die beiden Deutschen für immer im Herzen, auch wenn sie nun nicht mehr selbst vor Ort sein könnten, versichert er.  

LINKS:

Adresse: BEIJING RUNDSCHAU Baiwanzhuanglu 24, 100037 Beijing, Volksrepublik China


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