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Leopold Leeb – Wie ein Professor aus Österreich den Chinesen Latein näherbringt |
Von Zhang Hong · 2017-10-10 · Quelle:CHINA HEUTE |
Stichwörter: Leopold Leeb;Österreich;Latein | Druck |
Wahlheimat China? Für viele eine ferne Vorstellung. Einer, der sich dafür entschieden hat, seinen Lebensmittelpunkt langfristig ins Reich der Mitte zu verlegen, ist der Österreicher Leopold Leeb. Der 50-Jährige lebt seit nunmehr 22 Jahren in Beijing. In der Hauptstadt der Volksrepublik lehrt er Altphilologie, vor allem Latein, als Professor an der renommierten Renmin-Universität. Vor kurzem hat Leeb das chinesischsprachige Buch „Wǒ de língdū“ („Hauptstadt meiner Seele“) veröffentlicht. Es ist eine Essaysammlung, die seine hautnahe und liebevolle Beziehung zu der kulturträchtigen Metropole beschreibt. Er selbst bringt seine eigenen drei „Schätze“ in diese Liebesbeziehung ein – Latein, Altgriechisch und Hebräisch – und gibt der Stadt damit etwas zurück, für all die schönen Momente, die sie ihm beschert hat.
Leebs Büro auf dem Campus der Renmin-Universität ist schlicht eingerichtet. Auf dem mit einer karierten Tischdecke versehenen Schreibtisch stapeln sich die Lehrbücher. Auf der Tafel an der Wand steht der chinesische Sinnspruch „Vollbringe ausschließlich Gutes und denke nicht an zukünftigen weltlichen Gewinn“ geschrieben. Ein Aphorismus, der Leebs Lebenseinstellung nur allzu gut trifft.
In China gibt es noch immer nur wenige Menschen, die Latein lernen bzw. unterrichten. Viele der Bücher, die Leeb in den vergangenen Jahren in China veröffentlicht hat, stehen weniger mit seiner Liebe zu seiner Wahlheimat als mit seinem Fachgebiet in Zusammenhang. „Es sind keine Verkaufsschlager“, sagt Leeb und lacht. Aber dennoch habe die lateinische Sprache im Reich der Mitte großes Potential, so der Philologe. Finanzielle Interessen seien ohnehin keine Triebfeder hinter seiner Lehrtätigkeit in China. Ganz wie der Sinnspruch an der Tafel in seinem Büro besagt, geht es Leeb eben nicht um „zukünftigen weltlichen Gewinn“.
In seiner Essaysammlung beschreibt der gebürtige Hollabrunner allerlei Bewundernswertes über Beijing und nimmt verschiedene Facetten des chinesisch-europäischen Kulturaustausches unter die Lupe. Im Gespräch mit „China heute“ spricht er immer wieder von „seinem Beijing“ und unterstreicht damit seine tiefe Zuneigung zu der quirlig-rauen Millionenmetropole im Nordosten des Landes.
Leeb ist Sprössling eines Bauarbeiters und einer Ärztin und erblickte im Jahr 1967 das Licht der Welt. Die Eltern engagierten sich drei Jahre als Freiwillige in Afrika. Es war auch ihrem Einfluss zu verdanken, dass in Leeb schon von Kindesbeinen an das Fernweh wuchs. Mit 18 Jahren fasste er dann den Entschluss, selbst für einen Freiwilligeneinsatz nach Afrika zu gehen, um seine eigenen Werte zu verwirklichen.
Doch eine zufällige Schicksalsfügung sollte ihn letztlich nach Ostasien führen. Im Alter von 21 reiste er allein nach Taiwan und kam erstmals mit den Langzeichen der chinesischen Schrift in Berührung, was seine bis heute untrennbare Leidenschaft für China entfachte. Drei Jahre später kehrte er nach Österreich zurück, wo er sein Masterstudium im Fach Chinesisch und chinesische Philosophie zu Ende führte. Nur wenige Zeit später zog es ihn aber wieder nach Asien.
Früher wie heute ist der Akademiker von der chinesischen Sprache und der Philosophie des Landes fasziniert. Den Klassiker „Gespräche“ von Konfuzius kennt er wie seine eigene Westentasche und zitiert den alten Meister bei unserem Interview immer wieder treffsicher. Zwar sei er mittlerweile auch weltlichen lokalen Genüssen wie der berühmten Peking-Ente und dem lokalen Yanjing-Bier zugetan, seine Verbundenheit zu Stadt, Land und Leuten wurzle aber letztlich eher auf ideeller Ebene.
Im Rahmen seiner Promotion an der Peking-Universität verfasste er am Lehrstuhl des renommierten Philosophen Tang Yijie eine Doktorarbeit zum Thema chinesische Philosophie. Danach folgten viele Vorschläge und auch Angebote, seine Muttersprache Deutsch in Beijing zu unterrichten. Doch letztlich entschied sich der promovierte Philosoph dafür, sich einer neuen beruflichen Herausforderung zu stellen, nämlich der, den Chinesen die europäische Altsprache Latein näher zu bringen.
Zum Vergleich der großen östlichen und westlichen Traditionen sagt Leeb: „Wir werden nie wirklich qualifizierte Weltbürger sein, da jeder stets mehr oder weniger auf ein bestimmtes Gebiet spezialisiert ist. Niemand wird von daher dem Anspruch gerecht werden können, mit einem absolut objektiven Blick allumfassend die Traditionen des Westens und des Ostens in ihrer Gesamtheit kennen zu lernen oder zu verstehen.“
In seine selbst gewählte berufliche Tätigkeit investierte Leeb lange Jahre großen Engagements. Die lateinische Sprache gelangte bereits vor 700 Jahren erstmals ins Reich der Mitte und sie bildet die Herkunft und Wurzel vieler englischer Vokabeln, wie der Philologe erklärt: „Zwischen dem lateinischen und dem englischen Wortschatz gibt es viele semantische und orthografische Gemeinsamkeiten. Von daher hat Latein beispielsweise im Vergleich zum Sanskrit, ebenfalls eine der klassischen Sprachen, die vielen europäischen Sprachen in etymologischer Hinsicht zugrunde liegt, viel bessere Entwicklungsperspektiven in China.“
Immer mehr Chinesen gelangten heute zu der Erkenntnis, dass der Wert klassischer Sprachen neu bewertet werden müsse, da diese einen wertvollen Einblick in die europäische Kultur und die westlichen Wissenschaften gewährten. „Mit Hilfe der über die Beschäftigung mit der Sprache gewonnenen neuen Kenntnisse der Fremdkultur lassen sich im Anschluss auch Reflexionen über die eigene Kultur anstellen“, so Leeb. So könnten die Menschen über das Sprachstudium einen neuen, interkulturellen Blickwinkel entwickeln und ihre interkulturelle Kompetenz stärken, sagt er. „Völlig ohne Kenntnisse der klassischen Sprachen wird man es in der englischen Sprache meines Erachtens nicht weit bringen, da eine gründliche sprachliche Analyse so immer wieder auf Grenzen des etymologischen Wissens stoßen wird“, so der Sprach- und Kulturvermittler.
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