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Konfuzius besser verstehen

Elke Lütke-Entrup  ·   2024-03-07  ·  Quelle:german.china.org.cn
Stichwörter: Konfuzius;Sinologie
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In einer Welt, die von sozialen Medien geprägt ist, bleibt die Weisheit Konfuzius' allgegenwärtig. Die häufigen Zitate des chinesischen Philosophen hinterlassen auch heute noch Spuren in unserem täglichen Leben. Prof. Dr. Hans van Ess, ein renommierter China- und Konfuzius-Experte, Lehrstuhlinhaber für Sinologie und Vizepräsident an der Ludwig-Maximilians-Universität München, hat vor kurzem eine neue Übersetzung der Gespräche des Konfuzius vorgelegt. China.org.cn erkundet in einem exklusiven Interview, ob diese Neuinterpretation uns im deutschsprachigen Raum ermöglicht, Konfuzius besser zu verstehen, und welche Bedeutung dies für unsere moderne Welt hat.
 

Professor Hans van Ess, seit 1998 Lehrstuhlinhaber für Sinologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, interpretiert Konfuzius‘ Lehren in ihrem historischen Zusammenhang und deutet Schlüsselbegriffe neu. 

China.org.cn: Prof. van Ess, Ihr neues Buch über die Gespräche von Konfuzius verspricht eine einzigartige Perspektive auf die chinesische Kultur. Es gibt jedoch schon zahlreiche, viel zitierte Konvolute zu den Lehren des Konfuzius. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, nun ein weiteres Werk dazu zu verfassen? 

Prof. Dr. Hans van Ess: Ich bin überzeugt, dass bisherige Übersetzungen zu wenig Gebrauch von chinesischer Literatur und chinesischen Kommentaren gemacht haben, in denen die einzelnen Sprüche des Konfuzius kontextualisiert worden sind. Es gibt viele Parallelstellen zu Konfuziussprüchen und -dialogen, die man kennen muss, um die Texte richtig interpretieren zu können. Zudem sind Sprache und Terminologie, in welche die Gespräche bisher übersetzt worden sind, stark von einer westlichen Tradition beeinflusst, die dem alten China natürlich fremd war. Man muss die alten Schichten freilegen.

Durch Ihre Übersetzung wollen Sie eine Brücke zwischen westlichen Denkwelten und der chinesischen Kultur schlagen. Welche Aspekte betonen Sie dabei, und wie könnten diese zu einem authentischen Kulturaustausch beitragen? 

Zunächst ist es wichtig, dass westliche Leser zu verstehen beginnen, dass die einzelnen Sprüche und Dialoge aus den Gesprächen des Konfuzius nicht das Ziel haben, abstrakte Philosophie zu betreiben, sondern dass sie in die Lebenswelt des Konfuzius eingebettet waren und dass die Gespräche deshalb ein Lehrtext sind. Aus diesem kann man sehr viel über den zwischenmenschlichen Umgang im alten China lernen, der auch heute noch relevant ist. Ich glaube zum Beispiel, dass es falsch ist, wenn man „Menschlichkeit“ zu einer der Haupttugenden des Konfuzius erklärt. Das chinesische Wort „ren“, das oft mit „Menschlichkeit“ übersetzt wird, heißt viel mehr, und es ist wichtig, andere Bedeutungsschattierungen einzufangen. Oft geht es eher um Sensibilität im Umgang mit anderen, eine Sensibilität, die man lernen kann, und die zeigt, wie wichtig diese menschlichen Komponenten in der chinesischen Alltagskultur sind.

Wie kann Ihrer Meinung nach ein besseres Verständnis der philosophischen Lehren von Konfuzius dazu beitragen, allgemein das Verständnis zwischen Deutschland und China zu fördern? 

Eine gute Kenntnis eines für die chinesische Kultur so zentralen Buches wie der Gespräche des Konfuzius sollte Voraussetzung für jeden sein, der viel mit China zu tun hat, denn daraus lernt man Grundlagen des chinesischen Denkens. Gerade deshalb ist es so wichtig gewesen, die Gespräche neu und anders zu übersetzen, als das in Deutschland und anderen Ländern europäischer Sprachen geschehen ist. Man muss die Übersetzung der Gespräche ein Stück weit „rücksinisieren“, damit ein besseres Gefühl sowohl für die Verschiedenheit als auch für die Gemeinsamkeit der Kulturen aufkommt.

Wie beeinflusst die Sprache das Verständnis zwischen der deutschen und der chinesischen Kultur, insbesondere im Kontext Ihrer Forschung zu den Gesprächen von Konfuzius? 

Sprache ist ein ganz zentraler Gegenstand meiner Arbeit. Sprachliche Missverständnisse sind schon im deutsch-chinesischen Alltag der Grund für zahlreiche Probleme, von denen Menschen, die sich der Sprachproblematik nicht bewusst sind, oft meinen, sie seien kulturell bedingt. Die Terminologie des Konfuzius muss neu verstanden werden, damit ein interkultureller Dialog überhaupt erst möglich wird.

Könnten Sie konkrete Beispiele aus den Gesprächen von Konfuzius hervorheben, die relevante Einsichten für die heutigen deutsch-chinesischen Beziehungen bieten? 

Ja. Konfuzius sagte: „Wenn der Mensch nicht weit im Voraus denkt, dann wird er unweigerlich bald schon Sorgen haben.“ So ein Satz zeigt sehr schön, wie sehr Konfuzius meinte, dass langfristiges Vorausplanen wichtig sei. Ich denke, dass in der deutschen Politik die kurzfristigen Ängste vor einem mächtigen China im Augenblick das langfristige Planen guter Beziehungen überlagert haben. Wir Deutsche sollten dies im Sinne von Konfuzius überdenken und uns klarer darüber werden, wie wir langfristig zu einem harmonischen und für beide Seiten vorteilhaften Miteinander kommen.

Wie kommt es zu Fehlinterpretationen von Konfuzius‘ Lehren in der westlichen Welt? Medien zufolge scheint der Konfuzianismus zum Beispiel den Grundstein für Produkt- und Markenpiraterie zu legen: Nachahmen verdiene Anerkennung, in der originalgetreuen Kopie zeige sich der Respekt gegenüber dem Urheber. 

Letztlich denken die meisten Menschen eher kurzfristig. Sie haben ein Problem – in diesem Fall Produktpiraterie – und suchen sich dann eine leichte Erklärung. Die „andere Kultur“ ist eben eine solche leichte Erklärung. Man braucht dann nicht länger darüber nachzudenken, dass es eigentlich viel naheliegendere Erklärungen gibt – zum Beispiel das immense Gefälle zwischen deutschem Reichtum und chinesischer Armut, das noch vor rund einem Jahrzehnt vielerorts bestand.

Wie könnten diese Fehlinterpretationen künftig vermieden werden? 

Dagegen hilft nur Aufklären – und ich hoffe, dass auch Neuübersetzungen mit mehr Kontext helfen, so dass ein Satz wie Gespräche 7.1, in dem es heißt „ich überliefere nur und schaffe nicht selbst“, nicht mehr so leicht missverstanden werden kann.

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