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Gewichtiges Problem: Chinas Kampf gegen die Pfunde |
Von Su Li · 2023-08-28 · Quelle:german.chinatoday.com.cn |
Stichwörter: Übergewicht;China | Druck |
Auch in China nimmt die Zahl übergewichtiger Menschen zu. Lösen lässt sich das Problem nur, wenn alle an einem Strang ziehen, Regierung, Öffentlichkeit, Familien und der Einzelne. In den letzten Jahren haben die Verantwortlichen bereits ein umfassendes Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht.
Kilos stemmen gegen die Pfunde: Ein junger Mann beim Krafttraining in einem Abnehmcamp von Golden Times Fitness in Zhengzhou im Jahr 2017.
„Ich fing an, das Abendessen wegzulassen. Manchmal wurde ich nachts so hungrig, dass ich im Bett weinte. Glauben Sie mir, ein Mann kann vor Hunger in Tränen ausbrechen (…). Wenn ich das Gefühl hatte, nicht mehr durchhalten zu können, habe ich mich nackt vor den Spiegel gestellt und meinen Körper betrachtet. (…) Wenn ich zum Essen eingeladen wurde, sah ich nur zu, wie meine Freunde alles in sich reinschaufelten. Ich selbst nahm keinen Bissen zu mir. Natürlich war es schwierig. Um der Versuchung zu widerstehen, zückte ich mein Portemonnaie und schaute mir ein Foto von mir mit meinem Idealgewicht an.“
Diese Zeilen sind Teil des Berichts eines jungen Chinesen über seinen Kampf gegen die Pfunde. Er trug ihn jüngst in einer Fernsehsendung in Tianjin vor. Die Worte des jungen Mannes rührten das Publikum einerseits zu Tränen, an anderer Stelle zauberten sie ihm ein Lächeln auf die Lippen. Viele erkannten sich in dem Erfahrungsbericht wieder.
Der Kampf gegen überschüssige Pfunde ist in China ein aktuelles und besorgniserregendes Phänomen, das im Fernsehen und online immer wieder thematisiert wird. Denn: Auch im Reich der Mitte wird Fettleibigkeit mehr und mehr zum Problem.
Einem Bericht über Ernährung und chronische Krankheiten aus dem Jahr 2020 zufolge, der sich auf Daten aus den Jahren 2015 bis 2019 bezieht, waren in diesem Zeitraum 34,3 Prozent der über 18-Jährigen in China übergewichtig und 16,4 Prozent fettleibig, zusammengenommen also mehr als die Hälfte der Bevölkerung. In der Gruppe der 6- bis 17-Jährigen sah das Bild auch nicht rosiger aus. Hier lag der Anteil bei 19 Prozent. Bei Kindern unter sechs Jahren waren es 10,4 Prozent.
Durchgeführt hat die Studie Chinas Gesundheitskommission. 600 Millionen Bewohner des chinesischen Festlands wurden in die Erhebung einbezogen. Das Ergebnis: China hat ein Gewichtsproblem quer durch alle Altersgruppen, und das sowohl in den Städten als auch auf dem Land. Die Misere geht zudem mit einer Häufung chronischer Krankheiten wie Bluthochdruck, Diabetes und erhöhtem Cholesterinspiegel einher.
Der Report offenbart einen Trend zur stetigen Gewichtszunahme bei der Bevölkerung. Ein ähnlicher Bericht aus dem Jahr 2014 ergab, dass 32,7 Prozent der Erwachsenen und 41,6 Prozent der älteren Menschen in China übergewichtig waren, was einem Anstieg von 0,6 bzw. 1,8 Prozent gegenüber 2010 entsprach. 10,5 Prozent bzw. 13,9 Prozent der beiden Bevölkerungsgruppen waren fettleibig, ein Plus von 0,6 bzw. 0,9 Prozent gegenüber 2010.
Noch vor wenigen Jahrzehnten war Übergewicht für die meisten Chinesen ein Fremdwort. Als die Volksrepublik China 1949 gegründet wurde, betrug die Getreideproduktion 113,2 Milliarden Kilogramm pro Jahr, also gerade einmal 209 Kilogramm pro Person. Die Menge reichte kaum aus, um die Menschen im Land ausreichend, geschweige denn gesund zu ernähren. Drehen wir die Uhren vor bis ins Jahr 2022: In jenem Jahr erreichte Chinas Getreideproduktion 686,85 Milliarden Kilogramm und überschritt damit das achte Jahr in Folge die 650-Milliarden-Kilogramm-Marke.
Gesund und fettarm: In dieser Cafeteria auf dem Campus der Universität für Chinesische Medizin Changchun bedienen sich Studierende am Buffet für leichte Kost.
Neben Getreide sind heute in China auch alle anderen Grundnahrungsmittel wie Speiseöl, Gemüse, Obst und Fleisch ausreichend verfügbar. Dies hat zu erheblichen Veränderungen in den Ernährungsgewohnheiten der Menschen geführt. Laut einem McKinsey-Bericht von 2022 wurden in der Volksrepublik im Jahr 2021 fast 100 Millionen Tonnen Fleisch konsumiert, doppelt so viel wie in den USA (aber nur halb so viel pro Kopf gerechnet). Noch 50 Jahre zuvor verzehrten die Chinesen nur 3,3 Kilogramm Fleisch pro Jahr bzw. 0,5 Kilogramm pro Monat. Diese Menge entsprach nur einem Siebtel des Weltdurchschnitts.
Die Teller sind heute stärker und reichhaltiger gefüllt, die Bewegung dagegen ist weniger geworden. 1949 lebten fast 90 Prozent der Chinesen auf dem Land, bestellten die Felder oder züchteten Vieh. Bis 2018 war dieser Anteil auf 40,42 Prozent geschrumpft. Zudem ist die landwirtschaftliche Produktion heute weit weniger arbeitsintensiv. Der Grad der umfassenden Mechanisierung liegt etwa beim Anbau von Weizen, Mais und Reis mittlerweile bei 97, 90 bzw. 85 Prozent. In den Städten hat der technologische Fortschritt zu einer stärkeren Automatisierung in Fabriken geführt. Und höhere Einkommen bedeuten, dass sich mehr Menschen einen fahrbaren Untersatz wie ein Auto oder ein Motorrad leisten können und sie weniger mit dem Fahrrad fahren. Auch die Verbreitung elektronischer Kommunikations- und Unterhaltungsgeräte, allen voran das Smartphone, heizt den Bewegungsmangel weiter an.
All diese Faktoren tragen zum wachsenden Taillenumfang der Chinesen bei -und einem Anstieg gewichtsbedingter Gesundheitsprobleme. Laut dem 10. IDF Diabetes Atlas von 2021 stieg die Zahl der Chinesen mit Diabetes im letzten Jahrzehnt von 90 Millionen auf 140 Millionen. Damit ist China heute trauriger globaler Spitzenreiter. Chinas Gesundheitsausgaben für die Krankheit sind zudem die zweithöchsten der Welt.
„Innerhalb von vier Jahrzehnten hat sich die Häufigkeit von Diabetes in China verzehnfacht. Und die Zahlen klettern weiter. Das gilt im Übrigen auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Grund: eine schleichende Zunahme der Übergewichtigen, vor allem bei jungen Menschen“, sagt Shen Yueliang, Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Zhejiang. „Dies stellt ein Gesundheitsrisiko dar, das die Aufmerksamkeit der gesamten Gesellschaft verdient“, sagt er.
Und tatsächlich löst die Situation sowohl bei den Bürgern als auch bei der Regierung wachsende Besorgnis aus. Auf der Pressekonferenz zur Veröffentlichung des neuesten nationalen Berichts über Ernährung und chronische Krankheiten aus dem Jahr 2020 räumte Zhao Wenhua, leitender Ernährungswissenschaftler des Chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -prävention, ein, dass weit verbreitetes Übergewicht und Fettleibigkeit eine Begleiterscheinung der gesellschaftlichen Entwicklung seien und eng mit dem Lebensstil und dem individuellen Verhalten der Menschen zusammenhingen. Gegen dieses Problem vorzugehen, bedürfe der gemeinsamen Anstrengungen von Regierung, Gesellschaft, Familien und jedes Einzelnen, sagte er.
Die Regierung hat bereits in zahlreichen Bereichen konkrete Maßnahmen ergriffen. Sie setzt unter anderem auf den Bau neuer Fuß- und Radwege, Sportanlagen und Parks. Ende 2021 gab es in ganz China 3,97 Millionen Sportstätten mit einer Gesamtfläche von mehr als 3,4 Milliarden Quadratmetern, 2,41 Quadratmeter Sportfläche pro Einwohner also. Dies entspricht einem Anstieg von 134,3 Prozent (Fuß- und Radwege), 71,2 Prozent (Sportanlagen) bzw. 65,1 Prozent (Parks) gegenüber 2013. Zusätzlich startete die Regierung zahlreiche öffentliche Aufklärungskampagnen, um die Menschen für eine gesündere Lebensweise zu sensibilisieren, beispielsweise durch einen Verzicht auf übermäßig salzige, süße oder fettige Speisen.
2021 veröffentlichten die Nationale Gesundheitskommission und die Hauptsportverwaltung Chinas gemeinsam einen Leitfaden zur körperlichen Betätigung, der spezielle Empfehlungen für sechs Altersgruppen sowie für Menschen mit chronischen Krankheiten enthält. Auch wurden weitere nationale Pläne eingeführt, um eine bessere Ernährung und eine gesunde Lebensweise zu fördern.
Fitness gegen Fett: Zhao Chunyu, der 200 Kilogramm auf die Waage bringt, trainiert 2021 in einem Abspeckzentrum in Changchun in der Provinz Jilin. Aufgrund seines Übergewichts leidet der 25-Jährige an zahlreichen gesundheitlichen Problemen.
In Chinas Nationalem Ernährungsplan (2017–2030) werden verschiedene Maßnahmen aufgeführt, um das Problem anzugehen, darunter ein landesweites Ernährungsmonitoring, die Umstellung traditioneller Kochmethoden sowie die Einrichtung von Restaurants und Kantinen für gesunde Ernährung. Der Rahmenplan „Gesundes China 2030“ sieht den Aufbau eines Netzes öffentlicher Sportanlagen vor, das Kreise, Gemeinden und Dörfer abdeckt. Jeder Stadtbewohner soll in 15 Minuten zu Fuß eine Sportstätte von Zuhause aus erreichen können, so der Plan. Alle Sportanlagen sollen zudem kostenlos oder zu erschwinglichen Preisen zugänglich sein.
Besonderes Augenmerk richtet China auf Übergewicht bei den Kleinsten. Im Jahr 2020 veröffentlichten sechs zentrale Behörden einen gemeinsamen Plan zur Prävention und Bekämpfung von Fettleibigkeit bei Kindern. Darin werden Eltern, Schulen, medizinische Einrichtungen und die Regierung dazu angehalten, ihrer jeweiligen Verantwortung bei der Bewältigung dieses Problems nachzukommen. Es wird das Ziel formuliert, den jährlichen Anstieg der Übergewichts- und Fettleibigkeitsraten bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 0 bis 18 Jahren zwischen 2020 und 2030 um 70 Prozent gegenüber dem Niveau von 2002 bis 2017 zu senken.
2021 gab das Bildungsministerium ein Rundschreiben zur Verbesserung des Gesundheitsmanagements von Grund- und Sekundarschülern heraus. Darin werden Schulen, die über geeignete Einrichtungen verfügen, aufgefordert, jeden Tag eine Sportstunde abzuhalten und ihren Schülern mindestens eine Stunde Outdoor-Aktivitäten innerhalb und außerhalb des Schulgeländes zu ermöglichen. Der Verkauf von zuckerhaltigen Snacks und Getränken sowie deren Bereitstellung in den Kantinen der Grund- und Mittelschulen werden eingeschränkt.
Jüngste Richtlinien und Maßnahmen zur Gewährleistung ausreichenden Schlafs für den Nachwuchs tragen ebenfalls dazu bei, die Fettleibigkeit in dieser Gruppe zu verringern. Ein Rundschreiben des Bildungsministeriums aus dem Jahr 2021 empfiehlt zehn Stunden Schlaf pro Tag für Grundschüler, neun Stunden für Schüler der unteren Stufen der Mittelschulen und acht Stunden für Oberstufenschüler. Um dieses Ziel zu erreichen, werden unter anderem eine Kontrolle des Umfangs der Hausaufgaben und eine strengere Regulierung von Onlinekursen und Computerspielen vorgeschlagen.
Im vergangenen Sommer starteten die Bildungskommission und andere Behörden des Bezirks Daxing im Süden Beijings ein gezieltes Programm zur Gewichtskontrolle. Dabei wurden über 300 übergewichtige oder fettleibige Grundschüler rekrutiert. Über einen Zeitraum von drei Monaten boten Ernährungsberater und andere Experten eine Echtzeitüberwachung, individuelle Analysen, maßgeschneiderte Maßnahmen und entsprechende Ratschläge an. Das Ergebnis war sofort sichtbar: Mehr als 60 Prozent der jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen am Ende des Programms einige Pfunde ab. Für sie und ihre Familien sind langfristige Vorteile zu erwarten.
Um das Problem anzugehen, waren Leute wie die Mutter von Zheng Hao, einer neunjährigen Teilnehmerin des Programms in Daxing, die mit Übergewicht kämpft, bereit, mehr Mahlzeiten selbst zu kochen, anstatt Essen vom Lieferdienst zu bestellen. Sie nutzten außerdem einen Ölspender und eine antihaftbeschichtete Bratpfanne, um den Ölverbrauch zu reduzieren. Andere Eltern beobachteten, dass ihre Kinder weniger Süßigkeiten zu sich nahmen und sich stärker sportlich betätigten. Bürger und politische Entscheidungsträger sind sich einig, dass das Problem des Übergewichts angegangen werden muss, und zwar nachhaltig und Schritt für Schritt.
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