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Kein Mundschutz und keine Heimquarantäne? – Warum Deutsche und andere Europäer im Kampf gegen die Epidemie manches anders machen

Von Verena Menzel  ·   2020-03-23  ·  Quelle:China heute
Stichwörter: Covid-19;Deutschland
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Mittlerweile blicken meine Landsleute nicht mehr ins ferne China, sondern ins nahe Italien, wo sich in diesen Tagen die Corona-Ereignisse überschlagen. Ganze Regionen wurden zur Sperrzone erklärt, Schulen und Kindergärten landesweit geschlossen, die Menschen dazu aufgerufen, zuhause zu bleiben. Ausgerechnet Italien hat es in Europa bisher am härtesten getroffen, das EU-Land, welches als einziges in Reaktion auf die Ereignisse in China schon früh auf Abschottung setzte und alle Direktflüge in und aus dem Land einstellte. Dass Italien nun trotzdem stark von der Epidemie betroffen ist, beweist nur umso deutlicher, dass sich Viren nicht um irgendwelche Ländergrenzen scheren.  

Aus kollektiver oder aus individueller Warte?  

Auch in Deutschland steigen in diesen Tagen die Fallzahlen. Und meine Corona-Geschichte ist nun eine andere als noch Anfang Februar: Jetzt sind es nicht mehr die besorgten Nachrichten von Familie und Freunden aus meiner Heimat, die mich erreichen, sondern die besorgten Nachfragen von chinesischen Kollegen und Freunden, die wissen möchten, wie es meiner Familie in Deutschland geht. Diesmal schauen die Chinesen durch ihre Bildschirme nach Europa und ins ferne Deutschland und fragen sich und mich: Warum bleiben die Deutschen immer noch nicht zu Hause? Warum finden mancherorts noch immer Konzerte und Theateraufführungen statt, gehen die Leute in Bars und Restaurants? Weshalb gibt es in Deutschland noch keine bundesweite Heim- und Telearbeit, warum gab es lange keine landesweiten Schulschließungen und keine allgemeinen Einschränkungen der Mobilität? Und überhaupt: Warum beginnen zwar auch die Deutschen in diesen Tagen Nudeln, Sagrotan und Klopapier aus den Supermarktregalen zu hamstern, ziehen aber beim Gang vor die Tür noch immer keine Atemschutzmaske auf? 

Ich kann es nur so erklären: Weil diese Epidemie in deutschen Köpfen scheinbar eben doch anders erzählt wird. Auch in Deutschland sind die Menschen natürlich tief besorgt, was sich nicht zuletzt in den ausgeräumten Nudel- und Klopapierregalen in den Läden zeigt. Doch anders als in China mit seiner kollektivistisch-ganzheitlichen Denktradition und Kultur sowie seiner zentralistischen Regierungsform wird bei uns in Deutschland noch immer bevorzugt aus der Perspektive des Individuums und des Föderalismus gedacht und gehandelt. 

 

Toilettenpapier? Fehlanzeige! Dieser Kunde hatte in einem Supermarkt im Berliner Zentrum am 12. März das Nachsehen. In vielen deutschen Supermärkten werden mittlerweile neben haltbaren Lebensmitteln auch Reinigungsmittel und Klopapier stark nachgefragt. 

Während man sich in China angesichts landesweit verordneter Heimquarantäne schnell mit der Frage beschäftigte, wie sich Berufs- und Schulalltag möglichst rasch und effizient online organisieren lassen und dafür im Blitztempo auch flexible und kreative Lösungen fand, diskutiert man in der deutschen Öffentlichkeit sowie auch in anderen Teilen Europas dieser Tage Fragen wie: Unter welchen Umständen darf der Staat überhaupt ganze Städte abriegeln? Und: Dürfen die Behörden mir wirklich eine Zwangsquarantäne verordnen und inwiefern muss ich mich als einzelner dann auch daran halten?  

Die individuelle Reise- und Versammlungsfreiheit gilt den Deutschen wie auch vielen anderen Europäern in ihren nationalen Erzählungen als hohes Gut, das es auch angesichts einer Ausnahmesituation wie der aktuellen Corona-Epidemie nicht leichtfertig aufzukündigen gilt. Gleiches gilt für Deutschlands föderale Strukturen und seine dezentralisierten Entscheidungsprozesse, die im deutschen Selbstverständnis, das noch immer stark von der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg geprägt ist, eine wichtige Rolle spielen. So sind unter anderem für das Gesundheits- und Bildungswesen wichtige Entscheidungen in Deutschland nicht Bund- sondern Ländersache. Zwar sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am 9. März die Empfehlung aus, landesweit alle Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern bis auf Weiteres abzusagen, doch das letzte Wort hierüber haben im föderalen deutschen System noch immer die einzelnen Bundesländer. So blieb Jens Spahn nur der direkte Appell an die einzelnen Bundesbürger: „Wägen Sie ab, was Ihnen im eigenen Alltag so wichtig ist, dass Sie darauf in den nächsten zwei bis drei Monaten nicht verzichten wollen.“ Er vertraue darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger in diesen Zeiten kluge Entscheidungen für sich und ihre Liebsten träfen, so der Minister. Heimarbeit oder nicht, das Zurückschrauben von Sozialkontakten oder nicht – in der nationalen Erzählung der Deutschen soll das – so lange wie eben möglich – Entscheidung des Einzelnen bleiben. 

Aus den vier Wänden meiner Beijinger Heimquarantäne betrachtet, die ich wie viele Chinesen landesweit quasi seit dem 23. Januar nur noch sporadisch verlassen habe, mag der Blick auf die derzeitige Handhabung in Deutschland und anderen europäischen Staaten für Unverständnis und teils auch Unmut sorgen. Dass hier in China 1,4 Milliarden Menschen seit Wochen die Wohnung hüten und dafür sowohl persönlich als auch gesamtvolkswirtschaftlich zurückstecken, hat der Weltgemeinschaft kostbare Zeit geschenkt für eine bessere Vorbereitung und effizientere Eindämmung der Epidemie. Es wäre nicht nur schade, sondern könnte sich im Rückblick auch als großer Fehler erweisen, wenn die Menschen in Europa diesen in China hart erkämpften Zeitvorsprung nun für das private Vergnügen des Besuchs eines Bundesligaspiels oder einer munteren Karnevalssitzung vergeuden.  

 

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn appellierte an Deutschlands Bürger, sich nicht mit Schutzkleidung einzudecken, sondern diese für Ärzte und Pflegekräfte zu lassen. 

Doch der prominente deutsche Virologe und Leiter der Virologie an der Berliner Charité, Professor Dr. Christian Drosten, der zu den gemeinsamen Entdeckern des SARS-Virus im Jahr 2003 gehörte, gibt diesbezüglich in einem Interview zu bedenken: „Theoretisch geht es nicht, in unserem sozialen System die gleichen Maßnahmen wie in China schematisch zu übernehmen. Denn unsere Gesellschaft, unser System und unsere Justiz sind anders als die in China.“ Dennoch erachtet der renommierte Virologe die von China getroffenen Gegenmaßnahmen als sehr gezielt und erklärt, man könne und müsse der chinesischen Regierung und dem chinesischen Volk für ihren großen Einsatz und Gemeinschaftsgeist danken. 

Warum tragen die Deutschen keinen Mundschutz? 

Was noch hinzukommt im Falle der deutschen Corona-Erzählung ist, dass Bevölkerung wie Experten eben noch immer oft durch eine „nationale Brille“ auf das Geschehen blicken. Das nationale Gesundheitssystem sei in der Begegnung der Covid-19-Epidemie gut aufgestellt, urteilen Experten wie beispielsweise der Chef des Weltärztebundes Deutschland, Frank Ulrich Montgomery, in einem Interview mit einem deutschen TV-Sender am 9. März: „Unser Gesundheitswesen, unsere Prävention, unsere Erkennungsmaßnahmen funktionieren. Das deutsche Gesundheitswesen ist hervorragend ausgerichtet. Wir kriegen das hin!“ Gleichzeitig hat Deutschland zeitweise den Export medizinischer Schutzausrüstungen generell verboten, auch in andere Mitgliedsstaaten der EU wie das schwer von der Coronakrise betroffene Italien, wo es bereits über tausend Todesfälle und mehr als Zwangzigtausend Infizierte gibt und das die EU um Hilfe in der Bewältigung seiner nationalen Gesundheitskrise gebeten hat. Hier zeigt sich, dass die öffentliche Corona-Erzählung in Deutschland, wie in so manch anderem Land Europas und der Welt, eben doch noch als nationale Erzählung begriffen wird, die nur bis zu den eigenen Ländergrenzen Gültigkeit zu besitzen scheint. 

 

Bundeskanzlerin Angela Merkel rief zur Einheit im Kampf gegen die Epidemie auf.  

Wie stark unsere nationalen Geschichten zur Problembewältigung selbst im Falle einer weltweiten gemeinsamen Herausforderung, wie wir sie derzeit mit der Corona-Epidemie erleben, noch immer von einander abweichen, zeigt sich auch gut am Beispiel der Verwendung von Atemschutzmasken. Mundschutze sind in China mittlerweile an vielen Stellen des öffentlichen Lebens - etwa in Geschäften, an Flughäfen und Bahnhöfen, aber auch in vielen Büros – fest vorgeschrieben. Sie gelten in der Volksrepublik als Teil der grundlegenden Vorbeugungsmaßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Epidemie. In Deutschland hingegen sieht man außer medizinischem Personal in den Krankenhäusern niemanden, der im öffentlichen Raum oder sonst irgendwo eine Atemschutzmaske oder einen medizinischen Mundschutz trägt.  

Zum einen hat das mit der Knappheit an Masken in Deutschland und anderen europäischen Staaten zu tun, da diese überwiegend aus ausländischer, oft chinesischer Produktion stammen. Deshalb betonen deutsche Verantwortungsträger wie Joachim Odenbach, der Sprecher der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), dass für gesunde Menschen Maßnahmen wie gründliches Händewaschen mit Seife, Abstandhalten und eine Husten- und Nies-Etikette zum Schutz vor einer Ansteckung mit Covid-19 vollkommen ausreichten. Auch Bundesgesundheitsminister Spahn appellierte an Deutschlands Bürger, sich nicht mit Schutzkleidung einzudecken, sondern diese für Ärzte und Pflegekräfte zu lassen. Im Notfall behalte sich der Bund vor, Schutzmasken und -kleidung zu beschlagnahmen, heißt es.  

Zum anderen wird Atemschutzmasken in vielen westlichen Ländern eine andere Bedeutung zugeschrieben als in vielen Teilen Asien. In Deutschland steht eine Atemmaske schlicht und ergreifend für Kranksein. TV-Arzt Johannes Wimmer erklärt den deutschen Zuschauern in einer Talkshow: „Einen Mundschutz zu tragen, dient in erster Linie dem Zweck, andere nicht anzustecken. Die ganz einfachen Masken bringen aber gar nichts, die beruhigen nur.” Professioneller Mundschutz könne zwar helfen, „aber den tragen Sie nicht stundenlang“, so Wimmer. Dass auch vermeintlich gesunde Menschen eine Schutzmaske tragen, wirkt auf die meisten Menschen in meiner Heimat mehr als befremdlich. Menschen mit Atemschutzmasken im öffentlichen Raum? Das käme gefühlt einer Apokalypse gleich. In Asien sind Mundschutze dagegen auch in normalen Zeiten allgegenwärtig – als Kälteschutz im Winter, als Filter bei hoher Luftverschmutzung, aber auch als stylische Alltagstarnung für Prominente oder praktische Sichtbarriere für Schminkfaule.  

 

Vorräte einkaufen ja, aber ohne Atemschutzmaske. Unser Bild zeigt Kunden in einem Berliner Supermarkt am 12. März. 

Ausverkauft sind Schutzmasken auch in Europa trotzdem, und zwar schon seit Wochen. Eine gute Freundin in der Schweiz, die an einer chronischen Autoimmunkrankheit leidet, hat sich schon im Februar nach einem Telefonat mit mir mit ein paar Masken aus der Apotheke eingedeckt. Sie steht nun vor dem Dilemma, dass ihre besondere Schutzbedürftigkeit aufgrund ihrer Vorerkrankung nicht so recht in die europäische Schutzmaskenerzählung passen will. Denn wer in Deutschland oder der Schweiz in diesen Tagen mit Mundschutz vor die Tür geht, erntet verächtliche Blicke, wenn er nicht gar bezichtigt wird, Krankenhäusern ihre dringend benötigte Schutzausrüstung vorzuenthalten. Bisher hat meine Freundin aus „Maskenscham“ also noch kein einziges ihrer Exemplare auf der Straße aufgesetzt und stattdessen bei ihrem Arbeitgeber Homeoffice beantragt.  

Letztlich zeigt sich am Beispiel Deutschlands und auch mit Blick auf das Vorgehen anderer europäischer Staaten, dass uns im Hinblick auf die globale Coronakrise noch immer nicht das gelungen ist, was uns als Menschheit doch offensichtlich als Spezies in unserer Zivilisationsgeschichte so erfolgreich gemacht hat: nämlich uns auf eine gemeinsame Erzählung zu besinnen, um gemeinsame Herausforderungen zu bewältigen. Im Falle einer weltweiten Epidemie wie der aktuellen Covid-19-Krise muss diese Erzählung meiner Ansicht nach ganz eindeutig eine globale sein. Hier bilden wir alle tatsächlich die in China oft formulierte weltweite Schicksalsgemeinschaft. In dieser Krise kann sich kein Land mit gutem Gesundheitssystem in Sicherheit wähnen, solange auch nur in einem anderen Staat das Virus unkontrolliert wütet. Nicht China, Südkorea, Italien oder Iran haben sich eine Covid-19-Grippe eingefangen, sondern die Weltgemeinschaft als Ganzes. Und wir werden dieses Problem als Menschheit nur bewältigen können, wenn wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Vielleicht auf Wegen mit nationalen Besonderheiten, doch mit einem gemeinsamen Ziel vor Augen und ohne alte Geschichten der Schuldsuche aufzuwärmen. So auch das Fazit von Virologe Drosten: “Wir sollten uns nicht weiter mit Aufgeregtheiten und Schuldzuweisungen aufhalten. Solche Diskussionen sind schlicht Zeitverschwendung. Stattdessen müssen alle Ressourcen darauf konzentriert werden, die Ausbreitung von Covid-19 einzudämmen. Eine Pandemie ist eine absolute Ausnahmesituation, in der alle improvisieren müssen – Verantwortliche, aber auch die Bevölkerung.” 

Vielleicht erweist sich diese Krise letztlich ja auch als eine Chance, uns vor Augen zu führen, dass wir schon längst zu einer großen Welt- und Schicksalsgemeinschaft zusammengewachsen sind, in der jeder mit jedem verbunden, alles mit allem verwoben ist. Ganz persönlich kann ich das am Beispiel meiner Mutter verdeutlichen, die an Bluthochdruck leidet und deshalb regelmäßig Medikamente einnehmen muss. Als sie Mitte Februar, als sich in Deutschland noch kaum jemand groß über die Coronakrise in China sorgte, in die Apotheke ging, sagte man ihr, das Präparat, das sie gewöhnlich einnehme, sei derzeit leider nicht lieferbar. Warum? Nun, wichtige Bestandteile dafür stammten nicht aus Deutschland, sondern aus China, und ohne sie ließe sich das Medikament als Ganzes derzeit nicht herstellen. 

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