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Kein Mundschutz und keine Heimquarantäne? – Warum Deutsche und andere Europäer im Kampf gegen die Epidemie manches anders machen

Von Verena Menzel  ·   2020-03-23  ·  Quelle:China heute
Stichwörter: Covid-19;Deutschland
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In seinem Weltbestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ verrät der Historiker und Philosoph Yuval Noah Harari, welcher kleine, aber feine Unterschied es uns Menschen ermöglicht hat, eine evolutionäre Erfolgsgeschichte zu schreiben. Was unterscheidet den Homo Sapiens von seinen engsten Verwandten im Tierreich, den Primaten, sowie auch allen anderen Organismen auf dieser Erde? Vereinfacht gesprochen die Kombination zweier Dinge: Erstens, die Fähigkeit in theoretisch unbegrenzt großen Gruppen in komplexer Weise zu kooperieren, und zweitens, diese Zusammenarbeit über Geschichten zu steuern, gemeinsame Erzählungen nämlich, an die alle Gruppenmitglieder gleichermaßen glauben, die ihr Handeln koordinieren und leiten und die somit Gestalt im realen Leben annehmen. Geld als allgemein anerkanntes Zahlungsmittel ist zum Beispiel eine solche „Geschichte“, aber auch Abstrakteres wie der Glaube an die Wichtigkeit internationaler Zusammenarbeit oder die Existenz einer globalen, Ländergrenzen übergreifenden Gemeinschaft sind solche menschgemachten Erzählungen, die unsere Welt gestalten, unser Handeln steuern und uns so letztlich die Fähigkeit geben, als Menschen gemeinsame Herausforderungen durch gezielte Zusammenarbeit zu bewältigen. 

Die größte gemeinsame Herausforderung, die unsere Welt aktuell in Atem hält, ist der Ausbruch des neuartigen Coronavirus und der durch dieses verursachten Lungenkrankheit Covid-19. Bisher ist die Lage noch unübersichtlich und viele nationale Einzelgeschichten scheinen sich miteinander zu verweben. Dabei braucht die Welt genau in diesem Moment mehr denn je eine gemeinsame große Erzählung, um diese Krise zu bewältigen. 

 

Verena Menzel lebt und arbeitet seit neun Jahren in Beijing. Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus hat sie in der Hauptstadt direkt miterlebt.  

Meine persönliche Covid-19-Geschichte 

Meine persönliche Covid-19-Geschichte spielt in China, genauer gesagt in Beijing, und beginnt am 21. Januar 2020, an dem Tag als ich in chinesischen Medien erstmals eindringliche Warnungen vor dem neuartigen Coronavirus wahrnehme. Danach sollte der unsichtbare Erreger meinen Alltag in Chinas Hauptstadt, in der ich seit mittlerweile neun Jahren lebe und arbeite, Schlag auf Schlag aus den gewohnten Schienen heben. Am 23. Januar, dem chinesischen Silvestertag, wird die zentralchinesische Millionenmetropole Wuhan abgeriegelt, wo auch ich gute Freunde und Bekannte habe. Es folgen schon bald weitere Städte. Auch in Beijing werden die Schutzmaßnahmen kontinuierlich verschärft und im Alltag für jeden einzelnen immer deutlicher sichtbar. Die Menschen im Supermarkt und auf der Straße tragen Atemschutzmasken, quasi ausnahmslos, ob in Geschäften – so sie denn geöffnet haben – oder öffentlichen Verkehrsmitteln – so man denn einsteigt – überall gilt Maskenpflicht. Vielerorts wird zudem die Körpertemperatur gemessen. Im Supermarkt beginnen viele Menschen, zusätzlich Schutzbrillen und Einweghandschuhe zu tragen. Alle Großveranstaltungen in der Hauptstadt sind abgesagt, Feuertopfrestaurants, Friseure und Fitnessstudios geschlossen. Mein Wohnviertel darf ich bald nur noch mit einem speziellen Passierschein verlassen und wieder betreten, Besuch von außerhalb darf nicht mehr empfangen werden.  

Die Kommunikation mit Freunden, meine Arbeit, Einkäufe, ja mein ganzer Alltag verlagert sich zunehmend von offline zu online. Genauso wie meine chinesischen Freunde gehe auch ich nur noch für die nötigsten Besorgungen vor die Tür, meide Plätze mit Menschenansammlungen, gönne mir höchstens alle zwei-drei Tage einen Spaziergang im Park. Keine Café- und Barbesuche oder Streifzüge durch urige Hutong-Gassen mehr, kein Kino und keine Kulturveranstaltungen, kein chinesisches Fondue und kein Hammelfleisch-Barbecue mehr, und auch keine Ausflüge ins Beijinger Umland – all das, was das Leben in der quirligen Millionenmetropole lebens- und liebenswert macht, liegt plötzlich auf Eis. 

Während der Chlorgeruch von Desinfektionsmittel jeden Morgen durch den Türspalt in meine Wohnung kriecht, beobachte ich durch das dicke Glas des Küchenfensters, wie die Frühlingstriebe an den Bäumen im Hof mit jedem Tag länger werden, genauso wie mein Pony, der mir mittlerweile schon die Sicht verwuchert. Wir hier in Beijing und in ganz China haben die Pausetaste gedrückt, doch das Leben geht weiter.  

Die Coronavirus-Epidemie ist in China die Geschichte einer kollektiven, landesweiten Hausquarantäne, und ich bin mittendrin. In einem Land, in dem die viel bevölkerten Bürgersteige gewöhnlich einem menschlichen Slalomparcours gleichen, wo kein Tag ohne gemeinsames Essen in großer Runde oder in vollgedrängten dampfenden Garküchen vergeht, wo es mit dem Wörtchen “renao” sogar einen oft gebrauchten Euphemismus für schwitzig-heiße und ohrenbetäubend-laute Trubel-Atmosphäre gibt, in einem Land, wie diesem, haben sich 1,4 Milliarden Menschen für den gemeinsamen Kampf gegen die Epidemie quasi in freiwillige Isolation begeben, und das schon wochenlang. 

Die Zahlen geben ihnen Recht. Dank der strengen Präventions- und Kontrollmaßnahmen geht die Zahl der registrierten Neuansteckungen mittlerweile in ganz China zurück. Zwar ist dieser Kampf zentral organisiert und verordnet, doch ich spüre, dass ihn die gesamte Gesellschaft trägt. Es ist eine gemeinsame Erzählung, und auch ich bin ein Teil von ihr. Ich bin nicht mehr nur ein Individuum in meinem Beijinger Apartment Nummer 503, sondern Teil des Häuserblocks 13, des Tuanjiehu-Wohnviertels, des Stadtbezirks Chaoyang, der Stadt Beijing. Wie sich mein konkreter Alltag gestaltet, welche Quarantäne-, Kontroll- und Präventionsmaßnahmen für mich gelten, darüber entscheidet nicht nur mein eigenes Gesundheitsbefinden und mein persönliches Verhalten in dieser Ausnahmesituation, sondern auch das aller anderen Menschen in meinem Block, in meinem Viertel, in meinem Stadtbezirk, in meiner zweiten Heimatstadt Beijing.  

Von einer virtuellen zu einer realen Erzählung 

Für die Menschen in meiner ersten Heimat, Deutschland, war Covid-19 noch bis Mitte Februar eine rein virtuelle Erzählung. Sie setzte sich zusammen aus einem Mosaik aus Faktenberichten mit sterilen Infektions- und Sterberaten einerseits und eindringlichen Bildern von Passanten mit Atemschutzmasken und medizinischem Personal in weißen Schutzanzügen andererseits. Doch lange schien all dies fest in Bits und Bites verschnürt und sicher hinter Handy- und Fernsehbildschirmen verstaut. Und auch die Sorge um mich hielt sich in der Heimat oft in Grenzen. „Wuhan ist ja zum Glück einige Flugstunden von Beijing entfernt, nicht wahr? Und falls alle Stricke reißen, kommst du einfach zurück nach Deutschland!“ In der Geschichte von ehemaligen Klassenkameraden und entfernten Bekannten, die sich nun bei mir meldeten, war China ein weitentfernter Ort, nicht nur geografisch, sondern eben auch gefühlt weit weg vom eigenen Alltag in Deutschland und Europa. Von einem Alltag, den meine Generation, die Generation Y, wie sie in Deutschland heißt, nur wohlbehütet und komfortabel kennt. Krieg und Hunger, Chaos und Mangel, das waren für uns „Post-1980er“ in Deutschland immer die Geschichten der anderen. Eine Situation wie in Wuhan? Für eine solche Geschichte gab es bis Mitte Februar in vielen deutschen Köpfen keine Schablone. 

Doch wie wir alle wissen, springt der Funke virtueller Geschichten und der durch sie geweckten Ängste und Unsicherheiten eben doch auch oft unmittelbar vom Virtuellen ins Reale über. Virtuelle Geschichten, wenn sie in den Köpfen der Menschen die falsche Wendung nehmen, wachsen sich nicht selten zu Alltagsdramen aus. Die allmähliche internationale Ausbreitung des bisher unbekannten Covid-19-Erregers über Chinas Landesgrenzen hinaus, schien online Ängste zu schüren, die schnell in reale Übersprungshandlungen mündeten. Als Folge nahmen die Ressentiments gegen Chinesen und Menschen asiatischer Herkunft in aller Welt zu, auch in meiner Heimat Deutschland. Schuldzuweisungen und diffuse Ängste, die rasch in Aggression umgemünzt werden – das ist keine neue, sondern eine alte Geschichte, die leider bei jeder Seuche wieder aufs Neue aufgewärmt wird, weiß der Historiker, Soziologe und promovierte Arzt Alfons Labisch, der obendrein langjähriger Chinakenner mit Ehrenprofessur der Beijing Foreign Studies University ist. „Heute wie früher waren es im Alltagsleben oft ,die anderen’: Juden im europäischen Mittelalter etwa, oder die Chinesen im malaiischen Südostasien. Man sucht einen Schuldigen“, sagte Labisch Anfang März in einem Interview mit deutschen Nachrichtenportal Spiegel Online. „In der modernen Medizin gibt es den Begriff der Schuld aber nicht.“ Und auch im Kampf gegen eine Epidemie globaler Tragweite im Jahre 2020 sollte es ihn nicht geben, finde ich. 

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