In Hangzhou können Gourmets typische Gerichte in allen vier Jahreszeiten essen, die so verschieden sind, wie die Gesichter des Westsees. Im Frühling zum Beispiel gehen die Menschen zum Westsee, um  die Weiden zu betrachten, die im Wind wehen, und den singenden Goldamseln zuzuhören. Im Sommer können sie sich am Duft der Lotusblüten erfrischen. Im Herbst wird der Vollmond über dem stillen See die Seele des gestressten Städters besänftigen. Und im Winter, besonders nach einer verschneiten Nacht, kann niemand einem Spaziergang an der berühmten „durchbrochenen Brücke" widerstehen. So wie der See seinen Besuchern die verschiedensten Szenarien bieten kann, so haben auch die Restaurants in Hangzhou zu jeder Jahreszeit verschiedene Gerichte auf ihrer Speisekarte. Sie benutzen dazu immer die Zutaten aus der Saison.  

Einige Zutaten gibt es jedoch in jeder Jahreszeit. Eine davon, an der man nicht vorbeikommt, ist die Bambussprosse. Nur die Art der Sprossen und ihre Frische unterscheiden sich von Jahreszeit zu Jahreszeit. Die Köche benutzen unterschiedliche Kochmethoden, um die verschiedenen Aromen der Sprossen herauszukitzeln.

Gepökeltem Schweinefleisch mit gekochten Bambussprossen

Ein köstliches Essen im Frühling sollte immer mit einer Schüssel Gepökeltem Schweinefleisch mit gekochten Bambussprossen serviert werden. Wie ein frisch aufgetauter Teich im Frühling kann dieses Gericht die Sinne beleben, die im Winterschlaf gewesen sind. Im Frühling sind die Bambussprossen am zartesten. Der Kaiser der Tang-Dynastie (618-907), Taizong, hat diese zarten Sprossen dazu benutzt, ein herrliches Festessen für seine Minister zuzubereiten.  

Für das Gepökelte Schweinefleisch mit gekochten Bambussprossen werden die extrem zarten Pflanzen aus den Bergen mit Schweinelachs und frischem Schweinebauch zusammen gekocht. Die Brühe sieht leicht aus und schmeckt so köstlich, dass die Gäste sich die Lippen lecken. Sie werden drei verschiedene Geschmacksrichtungen herausschmecken: zunächst nimmt man den Geruch des Schweinelachs wahr, dann den Geschmack der zarten Sprossen und zuletzt schmeckt man den Schweinebauch. Es ist als würde man einen Berg besteigen und komplett verschiedene Aussichten am Fuß, beim Aufstieg und am Gipfel des Berges genießen. 

Um ein wirklich wundervolles Essen zu kreieren, müssen die Zutaten zueinander passen und ihre besten Eigenschaften hervorheben.  Gepökeltes Schweinefleisch mit gekochten Bambussprossen ist dafür ein gutes Beispiel. 

Obwohl die Bambussprossen im Sommer nicht so zart sind wie im Frühling, kann man sie immer noch dafür benutzen, eine Suppe mit Shrimps zu kochen. Eine solche Suppe ist so alltäglich, dass man sie in der Kantine oder bei der Feldarbeit bekommen kann.  Wie der Lotusduft am Westsee, erfrischt diese Suppe, nachdem man in der unerbittlich heißen Sonne war.  

In dieser Region ist es üblich, dass die Frauen für ihre Männer Wein bereitstellen, damit sie mit Freunden und Nachbarn zusammen trinken können, wenn sie nach Hause kommen. Der Wein, den sie trinken, wird zu Beginn jeden Jahres aus roten Wachsmyrten gemacht. Die Männer sitzen in ihren Westen oder oberkörperfrei in ihren Stühlen und prahlen und plaudern mit einem Becher Wein in ihren Händen. Eine Schüssel Bambussprossensuppe mit Shrimps würde sie effektiver abkühlen. In dieser Jahreszeit ist die Bambussprosse nicht die Hauptzutat, trotzdem ist sie ein wichtiges Element, denn ohne die Sprossen wäre die Suppe viel gewöhnlicher. 

Wenn keine frischen Sprossen zur Verfügung stehen, kann man die Suppe auch mit getrockneten Bambussprossen zubereiten. Getrocknete Sprossen schmecken am besten mit Sommergemüse wie Luffa oder Kürbis. Zhou Zouren, ein Schriftsteller aus Zhejiang, schrieb einmal: „Wie wohltuend ist es, eine Schüssel Kürbissuppe im Sommer zu essen."

Wenn der Herbst kommt, wird frischer Bambus sehr selten. Trotzdem sorgen pfiffige Hausfrauen dafür, dass ihre Teller nicht langweilig aussehen. Wenn sie aus der Schule zurückkommen, werden die Kinder in die Küche schleichen und nachsehen, was im Topf köchelt. Normalerweise werden sie eine Ente finden, die bereits seit Stunden im Wasser kocht, wahrscheinlich auch mit Schinken und Kräutern. Wenn sie mit Essstäbchen das Essen durchsuchen, werden sie wohl auch getrocknete Bambussprossen finden. 

Im Sommer schneiden die Mütter die Sprossen, kochen sie und bestreuen sie mit Salz. Nachdem sie abgekühlt sind, werden die Scheiben in Gläser getan, um sie bis zum Herbst aufzubewahren, wenn es weniger Zutaten gibt. Im Herbst werden sie zum Beispiel in einer Entensuppe gekocht. Die gesalzenen Bambussprossen werden in Wasser eingelegt, um das Salz zu verdünnen. Der ursprüngliche Geschmack zusammen mit dem Salz wird das Beste aus den anderen Zutaten herausbringen, wie zum Beispiel dem Schinken. So sollen die Sprossen „Herrlichkeit" zum Essen hinzufügen. Obwohl sie nicht die Hauptrolle spielen, sind sie unverzichtbar für das Gelingen der besten Suppe. 

Westsee im Winter

Im kalten Winter sind frische Bambussprossen wieder zu kaufen. Wie ein „Superman" erwecken sie die Gerichte im dumpfen Winter zum Leben. Winterbambus kann geschmort werden und als Hauptspeise oder als Gewürz für Fleisch aufgetischt werden. Er passt am besten zu gepökeltem Schwein oder zu Ente. Wenn man Schichten von Schwein und Bambus übereinander legt und sie dämpft, dann wird das ganze Haus bald von einem köstlichen Duft erfüllt sein. Sojasauce ist ebenso wichtig für dieses Gericht. Es gibt viele Saucenwerkstätten in Zhejiang, die qualitativ hochwertige Sauce herstellen, die rot, pur und mild ist und einen wundervoll komplexen Geschmack hat. 

Diese Mischung von salzigen und leckeren Zutaten ist üblich in der Küche von Hangzhou. Bambussprossen sind die geeignete Zutat für die Gerichte aller Jahreszeiten. Sie bringen einen reichen Geschmack auf den Teller und unterstreichen die magischen Aromen der anderen Zutaten. 

Das ist vielleicht die Essenz der Hangzhouer Küche. Bambussprossen, andere Delikatessen aus den Bergen und wilde Kräuter spielen alle eine Rolle in den köstlichen Gerichten. Es ist vergleichbar mit einem Spaziergang am Westsee. Man genießt die sich stetig ändernden Aussichten.