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Chinas Global-Governance-Initiative als Chance für Europa |
| Ole Döring · 2025-10-27 · Quelle:german.china.org.cn |
| Stichwörter: GGI;Europa |
Zehn Jahre nach der Vorstellung des Konzepts der Globalen Governance hat China seine Vorstellungen von internationaler Ordnung mit der neuen Global-Governance-Initiative (GGI) weiterentwickelt. Das Programm knüpft an kulturelle Traditionen ebenso wie an aktuelle geopolitische Herausforderungen und zielt darauf, eine gerechtere, ausgewogenere Weltordnung zu fördern.
Die Geschichte des chinesischen Konzepts der Global Governance ist ein Beispiel für Chinas Willen, die seiner Kraft und Bedeutung entsprechende weltweite Verantwortung zu übernehmen. Dieses Projekt wird zudem ständig überprüft, um vom Gelingen oder aus Fehlern zu lernen und es bei Bedarf weiterzuentwickeln oder zu ergänzen. Zehn Jahre, nachdem Xi Jinping 2015 das Konzept verkündet hatte, brachte er die Öffentlichkeit nun am 1. September mit der Global-Governance-Initiative (GGI), auf dem „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit Plus“-Treffen in Tianjin, auf den aktuellen Stand.
Die fünf Grundgedanken der GGI wurzeln in der Tradition chinesischer politischer Kultur. Sie bieten ein Zusammenspiel bewährter Herangehensweisen, die ihrerseits fortlaufend an die Anforderungen ihrer jeweiligen Zeit angepasst werden können. Diese Leitgedanken beinhalten in meiner Lesart:
Erstens die Garantie gleicher gesellschaftlicher und politischer Souveränität aller Staaten; zweitens die rechtsstaatsförmige Regelung internationaler Angelegenheiten; drittens Multilateralismus und Interessenausgleich als Instrumente für die allgemeine Entwicklung von Wohlstand und Frieden;
viertens soll jede politische Arbeit immer dem Wohl aller Menschen dienen; fünftens gilt der pragmatische Imperativ des Praktischen: „mit Klugheit auf reale Herausforderungen reagieren!“
Aus diesem inhaltlichen Programm heraus entfaltet China mit seinem historisch weiter und kulturell tieferen Blick die Gesamtarchitektur seiner internationalen Politik wie ein Kleeblatt: Das GGI ist im Zusammenspiel mit der Globalen Entwicklungsinitiative (GDI), der Globalen Sicherheitsinitiative (GSI) und der Globalen Zivilisationsinitiative (GCI) das vierte derartige Angebot Chinas an die Weltgemeinschaft.
Diese Entwicklung lässt sich aus der Erfahrung Chinas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erklären. Für China spielen die Vereinten Nationen bis heute eine maßgebliche Rolle beim globalen Interessen- und Machtausgleich. Für das Gründungsmitglied China stand zu Beginn 1945 der gemeinsame Schutz aller Staaten durch eine übergeordnete Instanz vor gewaltsamen Eingriffen in die Souveränität im Mittelpunkt. Die Lage unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs verlangte nach einem überparteilichen Garanten gegen koloniale Gelüste, vor allem der Siegermächte Sowjetunion und USA, die auch in Ostasien ihre zunehmenden Spannungen neu organisierten. Aus Chinas Sicht erinnerte die „Operation Beleaguer“ an die eigene Verletzlichkeit gegenüber rücksichtslosen Fremdinteressen: Das Marine Corps der USA nutzte die inneren militärische Auseinandersetzungen Chinas (1927 – 1949) und besetzte zwischen 1945 und 1949 die Provinzen Hebei und Shandong. Anlass war, die Überwachung der Heimsendung von 600.000 japanischen Soldaten.
Eigentlich ging es den USA darum, die Volksbefreiungsarmee vom Sieg über Chiang Kai-shek und von der Machtübernahme abzuhalten. Nach der Gründung der Volksrepublik China am 1. Oktober 1949 blieben den USA vor allem Japan und Korea, um sich in der Region dauerhaft einzurichten und ein Netzwerk militärischer Einrichtungen zu unterhalten, mit denen sie ihre Interessen durchsetzen wollen. Seit dem Ende der Sowjetunion um 1990 haben die USA zunehmend deutlich eine Strategie der unilateralen Hegemonie verfolgt und China als Rivalen oder sogar Feind ausgemacht. Dazu wurde auch Europa politisch, kulturell und wirtschaftlich geschwächt, so dass eine unabhängige eurasische Entwicklung erschwert wird. Vor diesem Hintergrund stabilisiert China den Grundauftrag der UN mittlerweile durch eigene Global-Initiativen.
Europa kann unter diesen Bedingungen weiterhin viele Anlässe und Wege nutzen, um China als strategischen Partner zu gewinnen, der seine Souveränität aus eigenem Interesse begünstigt. Die Grundlagen europäischer Innenpolitik können ein Lernfeld für chinesisch-europäische Zusammenarbeit bilden.
Im Westfälischen Frieden von 1648 wurde Europas Einheit aus Vielfalt als politisches Organisationsmodell etabliert. Die Ordnung wurde säkular und rational. Mit der Erfindung der Nachhaltigkeitsidee trat ein Jahrhundert darauf das Prinzip des langfristigen, global vernetzten und schonenden Wirtschaftens in die westliche Welt ein. Im 19. Jahrhundert schuf eine Allianz aus sozialreformerischen Ansätzen gegensätzlicher Interessen schließlich den ökonomischen Gedanken der Solidarität – als nicht karitatives, sondern interessen- und kompetenzbasiertes System gesellschaftlicher Stabilität. All dies ist analog zu der heutigen chinesischen Governance-Agenda: sowohl durch die jahrzehntelangen Projekte, „vom Westen zu lernen“ als auch aus eigenen traditionellen Wurzeln.
Auch die erklärten Leitlinien europäischer Weltpolitik entsprechen denen Chinas: „Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit, Förderung von Frieden und Stabilität“ sind gerade dadurch verbindlich und verbindend, dass sie jeweils eine Vielfalt von Auslegungs- und Geltungsoptionen erlauben. Europas Problem liegt allerdings im Versäumnis, sich spätestens in der Situation gefestigten Wohlstands und Friedens aktiv um eben diese Vielfalt von Möglichkeiten zu kümmern und die dazu nötigen Voraussetzungen vorzuhalten. Stattdessen wurden entsprechende Ansätze der interkulturellen Kompetenzentwicklung unter Hinweis auf das vermeintliche „Ende der Geschichte“ (Fukuyama, 1989) weggewischt. Faktisch hat China spätestens vor zehn Jahren die Rolle übernommen, die Europa zuvor gespielt hatte, Initiativen für eine zeitgemäße Weiterentwicklung der Regeln und Organisationsformen der Vereinten Nationen zu ergreifen.
Heute können die ordnungspolitischen Fragen Chinas und Europas nur gemeinsam beantwortet werden, am besten mit möglichst vielen und starken weiteren Ländern und Regionen, wie sie zum Beispiel in der offenen BRICS-Kooperation organisiert sind. Die zentrale Aufgabe kommt dabei der Diplomatie zu, die durch massives und tiefes wechselseitiges Lernen unterfüttert wird, um Verstehen und Verständigung in den Gesellschaften zu verankern: sie muss von einer Diplomatie der Kulturen zu einer Kultur der Diplomatie werden. Zur ersten haben Deutsche entscheidend beigetragen, mit Persönlichkeiten wie von Bismarck, Brandt oder Genscher; eine Kultur der Diplomatie verbindet die charakterlichen Voraussetzungen der Menschen mit der Fähigkeit und dem Willen, solide Grundlagen für das Zusammenleben im 21. Jahrhundert zu schaffen. Auch wenn Wirtschaft, Technologie und Politik die Rahmenbedingungen des Zusammenlebens bereitstellen – es sind die Menschen, die durch Austausch und Kooperation für Frieden und Wohlstand sorgen. Sprache, Verstehen, Bildung und Begegnung benötigen neue Anstrengungen, Programme und Räume, um den Herausforderungen der heutigen Zeit gerecht zu werden.
Mit Blick auf Deutschland enthält die 50-jährige Erfolgsgeschichte europäischer Friedenskultur und ihr Scheitern wertvollen Stoff für gemeinsames Lernen. Mit Blick auf China wird diskutiert, ein neues Wissenssystem mit chinesischen Charakteristika zu schaffen. Ein solcher Ansatz kann segensreich sein, braucht aber einen langen Atem. Denn auch im Bildungs- und Wissenschaftssystem haben die USA seit den 1990er Jahren eine hegemoniale Monostruktur weltweit durchgesetzt und sich in diesem Zuge auch Chinas Bedarf an institutionellen Modellen zunutze gemacht. Besonders das deutsche Bildungssystem als Anker für Qualität und Innovation wurde dabei marginalisiert. Das geht so weit, dass man die gegensätzlichen Bildungskulturen Deutschlands und der USA in einen „westlichen“ Topf wirft.
In einem am 17. Juli veröffentlichten und viel diskutierten Interview der China International Communications Group Asia-Pacific sagte Zheng Yongnian, Dekan der Fakultät für öffentliche Ordnung der Chinesischen Universität Hongkong (CUHK) in Shenzhen, dass der westliche Diskurs die gesamte Welt lange Zeit dominiert habe und die meisten Intellektuellen in diesem Rahmen ausgebildet worden seien. Infolgedessen habe China sich Mühe gegeben, seine Stimme international zu erheben. Mit seiner Forderung nach einer stärkeren Selbstbesinnung auf eigene kulturelle Bildungsressourcen Chinas greift Zheng die Äußerungen Xis während eines Besuchs an der Renmin-Universität China im April 2022 auf, der dort die Schaffung eines „autonomen chinesischen Wissenssystems“ forderte, das auf nationaler Erfahrung und kulturellem Selbstbewusstsein basiert.
Damit unterstützt Zheng indirekt den Gedanken, auch Europa möge kulturell wieder zu sich selbst finden. Besonders zur Schlüsselfrage moderner Dienstleistungswirtschaften, der nachhaltigen Pflege der Bereiche Arbeit und Bildung, sind in Europa 150 Jahre praktische und theoretische Einsichten vorhanden, die man gemeinsam ausbauen und mit chinesischem Wissen verbinden kann. Denn Global Governance kann nur in der fruchtbaren Verbindung kultureller Vielfalt gedeihen.
Ole Döring ist habilitierter Philosoph und promovierter Sinologe. Er arbeitet zwischen Berlin und China an der Verständigung der Kulturen. Er hat eine Vollprofessur an der Hunan Normal University in Changsha inne, ist Privatdozent am Karlsruhe Institut für Technologie und Vorstand des Instituts für Globale Gesundheit Berlin. Die Meinung des Autors spiegelt die Position unserer Webseite nicht notwendigerweise wider.
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