Startseite >> China |
Antworten aufs Altern: Chinas Rezepte zur Bewältigung des demografischen Wandels |
Lin Bao* · 2025-09-17 · Quelle:cdd-online.com.cn |
Stichwörter: Alterung;China | ![]() |
Auch in China stehen die demografischen Zeichen auf Alterung. Chinas Babyboomer – sprich die Generation, die während des Geburtenhochs in den 1960er und 1970er Jahren zur Welt kam – gehen nun nach und nach in Rente, wodurch der Anteil der älteren Bevölkerung wächst.
Bis Ende 2024 erreichte die Zahl der Menschen „65 plus“ landesweit 310 Millionen. Das entspricht 22 Prozent der Gesamtbevölkerung und einem Plus von 3,3 Prozentpunkten im Vergleich zur siebten nationalen Volkszählung im Jahr 2020. Die Zahl der Menschen im Alter ab 65 Jahren betrug im vergangenen Jahr 220 Millionen, ein Anteil von 15,6 Prozent und ein Plus von 2,1 Prozentpunkten verglichen mit 2020.
In Bewegung bleiben: Am frühen Morgen machen diese älteren Männer im Bochishan-Park in Huai'an in der Provinz Jiangsu Frühsport. (Foto: 5. März 2025)
Die rasche Überalterung der Bevölkerung stellt Chinas Wirtschaft und Gesellschaft einerseits vor große Herausforderungen, andererseits birgt sie aber auch Chancen für wirtschaftliche Transformation und Wachstum.
China geht das Problem aktiv an und misst ihm beispiellose Bedeutung bei. Längst hat das Thema Eingang in Chinas nationale Strategien gefunden.
Die direkten Auswirkungen der demografischen Veränderungen zeigen sich hauptsächlich in den folgenden drei Bereichen: Erstens ist ein Rückgang des Arbeitskräfteangebots zu erwarten. Gemäß den Prognosen des mittleren Szenarios der „Weltbevölkerungsaussichten 2024“ der Vereinten Nationen wird Chinas erwerbsfähige Bevölkerung im Alter von 15 bis 59 Jahren von 2024 bis 2050 um etwa 270 Millionen zurückgehen, was einem durchschnittlichen jährlichen Rückgang von etwa zehn Millionen Menschen entspricht. Zweitens kündigt sich ein Wandel der Struktur von Beitragszahlern und Leistungsempfängern der Renten- und Krankenversicherung an. Der Druck auf die Kassen wächst also. Drittens wächst die Nachfrage nach Pflegedienstleistungen rapide.
Betreutes Wohnen: In diesem Shanghaier Seniorenheim leben die Bewohnerinnen und Bewohner in altersgerechten Apartments. Medizinisches Personal schaut regelmäßig nach dem Rechten. (Foto: 20. Mai 2020)
Prognosen zufolge wird die Zahl der Menschen „65 plus“ in China im Zeitraum von 2024 bis 2050 um etwa 180 Millionen anwachsen. Bei den Menschen ab 80 Jahren wird mit einem Anstieg um fast 100 Millionen gerechnet. Angesichts einer steigenden Zahl an Senioren, eines wachsenden Anteils von Hochbetagten und durch das Wirtschaftswachstum gesteigerte Ansprüche rechnen Experten in naher Zukunft mit einem Nachfrageboom bei den Pflegedienstleistungen. Doch die sozioökonomischen Auswirkungen der Vergreisung gehen noch weiter: Veränderungen bei Spar- und Konsumverhalten etwa beeinflussen letztlich das gesamte Wirtschaftswachstum. Zudem stellt der Wandel der Sozialstruktur auch höhere Anforderungen an die Social Governance.
Doch wie bereits angedeutet, birgt der Prozess auch Chancen für die wirtschaftliche Transformation und Entwicklung. Erstens ergibt sich daraus eine direkte Antriebskraft für den ökonomischen Wandel. Das schrumpfende Arbeitskräfteangebot wird zwar zwangsläufig Chinas komparativen Kostenvorteil aufgrund des Lohnniveaus allmählich schmälern, doch dies zwingt die Wirtschaft letztlich dazu, vom bisherigen extensiven Wachstumsmodell Abschied zu nehmen und sich einem qualitätsorientierten Entwicklungsansatz zuzuwenden – eine positive Veränderung. Die Organisationsweise der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung wird dadurch feiner und zielgerichteter.
Zweitens erzwingt der demografische Wandel eine Beschleunigung der technologischen Innovation und Anwendung. Um den gesamtgesellschaftlichen Wohlstand auch im Zuge der Bevölkerungsalterung für alle zu erhalten, bedarf es einerseits einer Steigerung der Produktivität, vermehrter Investitionen in Innovation und einer schnelleren Entwicklung neuer Technologien. Andererseits wird der Rückgang des Arbeitskräfteangebots die Nachfrage nach arbeitssubstituierenden Technologien erhöhen und damit deren Anwendung vorantreiben. Der Einsatz von Industrierobotern etwa hat in China in den letzten Jahren bereits deutlich zugenommen. Dieser Wandel dürfte letztlich die rasche Entwicklung der „Silberwirtschaft“ („Silver Economy“) fördern. Der Begriff meint die Gesamtheit aller Produkte und Dienstleistungen rund um das Thema Alter. Das Wirtschaftsfeld ist breit gefächert, hat lange Industrieketten, umfasst vielfältige Geschäftsmodelle und bietet enormes Potenzial.
Welch große Bedeutung China der aktiven Bewältigung der demografischen Herausforderungen beimisst, zeigt ein Papier aus dem Jahr 2019. Damals veröffentlichten das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas und der Staatsrat gemeinsam den „Nationalen mittel- und langfristigen Plan zur aktiven Bewältigung der Bevölkerungsalterung“. Er sieht klar vor, einen auf Chinas Landesverhältnisse abgestimmten Weg einzuschlagen und legt hierfür konkrete Maßnahmen in fünf Bereichen vor: die Stärkung der gesellschaftlichen Wohlstandsreserven, eine Verbesserung des effektiven Arbeitskräfteangebots, die Schaffung eines hochwertigen Angebots an Altersdienstleistungen und -produkten, die Stärkung der Innovationsfähigkeit in Wissenschaft und Technologie sowie die Schaffung eines von Fürsorge, kindlicher Pietät und Respekt gegenüber Älteren geprägten sozialen Umfelds.
Kein bisschen müde: Dieses ältere Pärchen mischt sich bei einem Ausflug zum Dongguan-Stadttor in Yangzhou in der Provinz Jiangsu unters Volk. (Foto: 11. Juni 2023)
Es geht aber nicht nur um eine bessere Versorgung der Alten, sondern auch darum, dem demografischen Trend langfristig etwas entgegenzusetzen. Zur Umsetzung der nationalen Strategie hat die Regierung in den letzten Jahren daher eine Reihe flankierender Maßnahmen auf den Weg gebracht, die unter anderem für mehr Familienfreundlichkeit sorgen sollen. Dazu zählen etwa die Einführung von Geburtsbeihilfen und allgemein zugänglicher Kinderbetreuung. Was die Senioren angeht, setzt die Regierung auf allgemein zugängliche Pflegedienstleistungen sowie deren Reform und Weiterentwicklung, eine gezielte Entwicklung der „Silberwirtschaft“, eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters und die Einführung eines Systems der privaten Altersvorsorge.
Um der Bevölkerungsalterung besser zu begegnen, ist letztlich ein ganzes Paket an Maßnahmen nötig. Erstens gilt es, eine geburtenfreundliche Gesellschaft zu schaffen, um für angemessene Geburtenraten zu sorgen. Ziel ist ein moderates Fertilitätsniveau und eine angemessene Bevölkerungsgröße. Dazu muss der gesamte Lebenszyklus in den Blick genommen werden, insbesondere mit Schwerpunkten auf Partnersuche, Geburt, Kleinkindbetreuung und Kindererziehung. Als Hebel können hier Steuererleichterungen, bessere soziale Absicherung und ausreichender arbeitsrechtlicher Schutz dienen, aber auch gezielte Unterstützung durch öffentliche Angebote und die Entwicklung von Sozialdiensten. Zentral ist es, die Kosten für Geburt, Betreuung und Erziehung faktisch zu senken, um ein geburtenfreundliches gesellschaftliches Klima zu schaffen.
Zweitens sollte China auf eine bessere Bevölkerungsqualität sowie eine zeitgemäße Qualifizierung seiner Arbeitskräfte setzen. Denn auch dies könnte entscheidend zur Bewältigung der aktuellen demografischen Herausforderungen im Land beitragen und ist daher ein wichtiges Ziel von Chinas Strategie zur Bevölkerungsentwicklung. Konkret ist geplant, nicht nur Bildungsniveau und Kultivierung der Bevölkerung zu heben, sondern auch die körperliche Verfassung sowie die geistigen und moralischen Qualitäten der Menschen umfassend zu stärken. Dazu bedarf es tiefgreifender Reformen in Schlüsselbereichen, so etwa Reformen mit Blick auf Gesundheitswesen und medizinische Versorgung, Bildungssystem, Wissenschaft und Forschung sowie Talentförderung, um das Potenzial der Menschen in aller Hinsicht zu steigern und dieses gesellschaftlich besser zu entfalten.
Musik als Medizin: Diese chinesischen Senioren haben Spaß an einem Musiktherapie-Angebot.
Drittens sollte China sein Sozialversicherungssystem mit hohem Tempo vervollständigen. Ziel ist es, Ruheständlern ein gutes Auskommen sowie eine breite gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen und damit die grundlegende institutionelle Garantie für die Bewältigung des demografischen Wandels zu schaffen. Hierfür sollte das Land sein mehrschichtiges Rentenversicherungssystem mit mehreren Säulen optimieren und sein Pflegesystem weiter ausbauen. Neben der kontinuierlichen Verbesserung des grundlegenden Rentenversicherungssystems sollten die politischen Anreize für die betriebliche und private Altersvorsorge verstärkt werden. Diese beiden Säulen sollen in Zukunft die individuelle Absicherung verbessern und die Finanzierung der Altersvorsorge fördern.
Parallel dazu gilt es nun, die Reform der grundlegenden medizinischen Versorgung planmäßig voranzubringen. Konkret arbeitet China aktuell an einer Verbesserung seines Beitragsmechanismus für die Arbeitnehmerkrankenversicherung und die Krankenversicherung für nicht erwerbstätige Stadt- und Landbewohner. Ergänzt wird dies durch einen Anreizmechanismus für langfristige Beitragszahlungen und durch ein landesweit flächendeckendes, einheitliches Langzeitpflegeversicherungssystem.
Viertens sollte sich China auf den weiteren Ausbau des Altenpflegesystems und eine verstärkte Entwicklung der „Silberwirtschaft“ konzentrieren. Hier rückt insbesondere die richtige Handhabung des Verhältnisses zwischen Pflege als öffentliche Aufgabe und Pflege als Wirtschaftszweig in den Fokus. Auf Grundlage der klaren staatlichen Aufgaben zur Sicherstellung der Grundversorgung sollte China die Rolle des Marktmechanismus in Zukunft voll zur Geltung bringen. Gesellschaftliche Kräfte werden zur Teilnahme am Angebot von Pflegedienstleistungen ermuntert, um auf diese Weise den Aufbau eines vielschichtigen sozialen Pflegesystems zu fördern. Darüber hinaus gilt es, die Wachstumspotenziale der Silberwirtschaft voll auszuschöpfen.
In diesem Kontext wird auch die innovationsgetriebene Entwicklung gestärkt und die Anwendung neuer Technologien und Modellinnovationen gefördert, um neue Konsumnachfrage unter den Älteren zu stimulieren. Durch die Einrichtung von Innovationsfonds sowie die Umsetzung von Steuer- und Gebührenermäßigungen bzw. -erlassen könnte man die Marktakteure dazu ermutigen, auf der Grundlage der neuen Markttendenzen und durch die Bereitstellung innovativer Produkte und besserer Dienstleistungen die Konsumpotenziale älterer Menschen besser zu erschließen.
Fest steht: Bei Chinas Bevölkerungsalterung handelt es sich um einen langfristigen Trend. Zum Umgang damit bedarf es entsprechend auch einer langfristigen Strategie mit konsequenten Anstrengungen.
*Lin Bao ist Forscher am Institut für Bevölkerungs- und Arbeitsökonomie der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften.
Die Meinung des Autors spiegelt nicht unbedingt die Position unserer Website wider.
LINKS: |
|
Adresse: BEIJING RUNDSCHAU Baiwanzhuanglu 24, 100037 Beijing, Volksrepublik China
互联网新闻信息服务许可证10120200001 京ICP备08005356号-2 京公网安备110102005860号