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Das Xinjiang, das ich kenne: Auf eigene Faust unterwegs in Chinas Westen

Von Uwe Behrens  ·   2024-01-05  ·  Quelle:german.chinatoday.com.cn
Stichwörter: Xinjiang
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Spannende menschliche und kulturelle Begegnungen  

Seit langem zieht mich auch die buddhistische Kultur im Reich der Mitte in ihren Bann. Deshalb lasse ich mir keine Gelegenheit entgehen, mir buddhistische Stätten und Kulturrelikte anzuschauen, wann immer ich nach China komme. Natürlich blieb dieses „Reise-Muss“ auch diesmal nicht aus. 

Am zweiten Tag stand also ein Ausflug zur Ruine der buddhistischen Pagode Mo’er an, zirka 50 Kilometer vor den Toren Kashgars in einer Steinwüste gelegen. An der Tempelruine, die übrigens gegenwärtig großräumig als Kulturerbe eingezäunt und für touristische Zwecke aufgewertet wird, trafen wir eine Gruppe ausgesprochen hübscher Uigurinnen, Tänzerinnen einer professionellen Tanzgruppe auf einem touristischen Ausflug. Fotos waren obligatorisch und viele Gespräche möglich. Die Damen waren in der Region Kashgar aufgewachsen und nach dem Besuch der Mittelschule an einer professionellen Tanzschule in traditionellem Tanz ausgebildet worden. In ihren Erzählungen spürte ich keinerlei Hemmungen, sich einem westlichen Ausländer gegenüber im Gespräch zu öffnen. Sie berichteten über ihre zweisprachige Kindheit, die Diskussionen, die es in den Familien über die neue Zeit mit den hohen Bildungsanforderungen und der Industrialisierung gab. Viele ältere Menschen verstünden all dies nicht so recht, erzählten sie. 

   

Ein maschinell abgeerntetes Baumwollfeld in der Region Kashgar (Foto: 29. Oktober 2023)  

Glauben, was man mit eigenen Augen sieht 

Unterwegs wieder eine neue Überraschung: Wir fuhren durch endlose Baumwollfelder, auf denen in Rollen gepresste, frisch geerntete Baumwolle auf ihre Abholung wartete. In der Regel endet die Erntezeit für Baumwolle in dieser Region Ende November. Das Autonome Gebiet Xinjiang der Uiguren gilt als das größte Baumwollanbaugebiet Chinas. Statistiken zufolge wurde 2022 in dieser Region eine Gesamtproduktion von 5,39 Millionen Tonnen erreicht, was mehr als 90 Prozent der landesweiten Baumwollproduktion entspricht. Auf den rund 7,07 Millionen Hektar Gesamtanbaufläche der Region sprießen heute auf mehr als 2,67 Millionen Hektar Baumwollpflanzen. 

Während meiner Xinjiang-Reise 2019 hatten wir, damals noch im regionalen Passagierzug, einst mehrere Familien getroffen, die aus dem Landesinneren nach Xinjiang gereist waren, um an den guten Verdienstmöglichkeiten während der Baumwollernte in Xinjiang teilzuhaben. Da allerdings der Baumwollanbau in Xinjiang in den letzten Jahren mechanisiert und intelligent gestaltet wurde, erfolgt die Ernte heute meistens mit modernen Erntemaschinen, die die Rohbaumwolle in Ballen pressen. Was den Anteil der maschinell gepflückten Baumwolle in der Region angeht, so lag dieser nach offiziellen Angaben im Jahr 2016 noch bei 21 Prozent. Bis zum letzten Jahr war er bereits auf 81 Prozent gestiegen.  

Bei unserem diesmaligen Besuch konnten wir die gepressten Ballen auf den Feldern sehen. Der Eindruck bestätigte den hohen Anteil der Mechanisierung. Nahe einem Dorf sahen wir auch Frauen, die Baumwolle per Hand ernteten. Es handelte sich aber um ein kleines Feld, auf dem eine Erntemaschine nicht einsetzbar war. Am Feldrand parkten PKWs deutscher Marken, mit denen die Bäuerinnen offensichtlich zum Feld fuhren.  

Digitalisierung überall: mehr Annehmlichkeiten und Sicherheit 

Während der gesamten Reise, ob in Beijing oder Xinjiang, hatte ich kaum eine Möglichkeit, mit Bargeld zu bezahlen. Alle Zahlungen, ob in Geschäften, auf dem Parkplatz oder im Fastfood-Kiosk am Rande der Autobahn, werden mit einem der digitalen Zahldienste wie WeChat Pay oder Alipay getätigt. Beim Versuch, mit Bargeld zu bezahlen, erntete ich mitleidige Blicke. 

   

Schnappschuss nach einer Unterhaltung mit Einheimischen in der Altstadt von Kashgar (Foto: 5. November 2023)  

Das digitale Zeitalter hat selbst auf dem Viehmarkt von Kashgar Einzug gehalten. Ich kenne Viehmärkte aus Indien oder der Mongolei, aber dieser hat mich doch überrascht. Alle möglichen Nutztiere mit vielen Unterrassen stehen im Angebot: Schafe, Ziegen, Rinder aller Art, Yaks, Pferde, darunter Renn- und Zugpferde, Kamele, es gab quasi alles. Gehandelt wird wie vor tausend Jahren, es wird gefeilscht, gestritten, geschimpft, gelacht – dann der Handschlag. Das Geschäft ist abgeschlossen. Es folgt der Griff zum Handy und es wird mittels QR-Codes bezahlt. Empfang über 4G- oder 5G-Netz ist hier selbstverständlich. Bargeld war kaum zu sehen, dafür aber frohe Gesichter. 

Auf der Autoreise in die Grenzregion des Kreises Tashkurgan, der an Tadschikistan, Afghanistan und Pakistan grenzt und in dem vorwiegend die tadschikische Minderheit lebt, passierten wir einen Kontrollpunkt, vergleichbar mit einer Mautstation. Bei der Einfahrt vernimmt man über einen Lautsprecher, leider nur auf Chinesisch, dass man die Fenster öffnen und in die Kameras schauen soll. Da ich die Ansage nicht verstand, aber als Fahrer am Steuer saß, wurde ich gestoppt. Über meine Reisebegleitung erhielt ich schließlich eine Übersetzung. Fenster öffnen also und in die seitlichen Kameras schauen. Kurzer Blick in die Kamera und wir konnten unsere Fahrt fortsetzen. Gesichtserkennung mit Abgleichung meiner Daten des Passes und des Visums also. Die gleiche Prozedur durchliefen aber alle Reisenden, zum Beispiel mittels Personalausweis, egal welcher Ethnie oder Nationalität sie angehörten. Das war übrigens die einzige Kontrolle während unseres viertägigen Aufenthaltes in dieser Grenzregion. Bei der Anmeldung im Hotel erfolgte, wie in den meisten Regionen der Welt, noch eine Registrierung, auch hier allerdings digital mittels Fotos, sprich papierlos. 

Die digitale Vernetzung einschließlich Gesichtserkennung ist flächendeckend, trägt aber zur Vereinfachung und Beschleunigung jeglicher Verwaltung bei. Es kann darüber diskutiert werden, ob das für westliche Demokratien angebracht ist. 

Neue Chancen in einer neuen Ära 

Als der neue Eisenbahngrenzübergang Alashankou / Druschba zwischen China und Kasachstan eröffnet wurde, organisierte ich gemeinsam mit den chinesischen Beamten in Xinjiang über das neue Terminal die Abwicklung der ersten Container von China nach Europa. Ich bin froh, an der lokalen Entwicklung teilhaben zu können. Vor zehn Jahren stellte Chinas Staatspräsident Xi Jinping der Welt die Seidenstraßeninitiative vor. Bei meiner jüngsten Reise habe ich die Bedeutung dieses Mammutprojekts erneut und hautnah begriffen, und zwar in der Kreisstadt Tashkurgan, wo wir zeitweise übernachteten. 

Diese Stadt war über zweitausend Jahre der zentrale Ausgangspunkt der historischen Seidenstraße über das Pamir-Gebirge gewesen. Hier rasteten die Karawanen der Händler mit ihren Kamelen und den kostbaren Waren aus China sowie aus der Gegenrichtung, nämlich Asien und Europa. Auch der während der Tang-Dynastie lebende chinesische Mönch Xuan Zang, der wesentlichen Anteil an der Verbreitung des Buddhismus in China hatte, lehrte in dieser historischen Stadt. Ein wahrhaft historischer Fleck also, vergleichbar mit griechischen oder römischen Sehenswürdigkeiten. 

Tashkurgan ist heute ein Touristenmagnet. Mit zunehmendem Bewusstsein für die traditionelle Seidenstraße als Chinas antike Verbindung zur Welt wuchs auch das touristische Interesse. Bereits vor der Coronapandemie strömten die Besucher nach Tashkurgan und lösten einen Bauboom aus. Ein neues Museum, neue Hotels und Restaurants eröffneten. In diesem Jahr erreichten die Besucherzahlen Rekordwerte. Nicht nur die Touristen profitieren von diesen Möglichkeiten, sondern auch die lokale Bevölkerung. Die Restaurants bieten lokale Spezialitäten an. Feuertopf, Hotpot mit Yak-Fleisch, muss man hier probiert haben. Eines Abends hatten wir die Gelegenheit, mehr Einzelheiten über die schnelle Entwicklung zu erfahren. In Gesprächen erfuhren wir, dass der Zuzug von Touristikunternehmen auch für die lokale Bevölkerung viele neue Chancen eröffnete. Arbeitsplätze in den Restaurants und Hotels, Jobs als Reiseführer, aber auch neue Stellen in den neu eröffneten Kindergärten und Schulen. Das gesamte Leben hat sich hier im letzten Jahrzehnt merklich gewandelt. 

   

Im Kashgar Museum: Gruppenfoto mit einer Schulklasse nach vorangegangenem Gespräch (Foto: 4. November 2023)  

Als pensionierter Logistikmanager wollte ich mir das Museum des Kreises Tashkurgan und das Museum der Seidenstraße in Ürümqi anschauen. Das neue futuristische Kulturzentrum Ürümqis schließt ein Theater, eine Konzerthalle, Kongressräume und das Museum ein. Es ist ein Highlight der modernen Architektur des 21. Jahrhunderts. In einer umfassenden Ausstellung über die Kulturgeschichte Zentralasiens und des westlichen Teils Chinas konnte ich Besucher aller Alters- und jeglicher Volksgruppen sehen. Mein besonderes Interesse erregten die Schulklassen, die gekommen waren. Ich konnte mich unter sie mischen, die Führung durch die Lehrer in Chinesisch und Uigurisch verfolgen. In angeregten Gesprächen im gebrochenen English der Schüler erfuhr ich, dass in der Unterstufe zweisprachig in den jeweiligen Sprachen der Minderheiten – Uigurisch oder Tadschikisch – unterrichtet wird, in den Oberstufen dann nur noch in Mandarin. Zu Hause sprechen die Kinder meist in ihrer ethnischen Sprache. Die jungen Menschen erzählten mir, ihre Nachbarn stammten aus Shanghai, oder aus Kuqa, oder aus Tashkurgan. Die lokale Regierung versucht bei den Wohnungsvergaben (bzw. Verkäufen), Cluster einzelner Volksgruppen zu verhindern und so eine weitgehende Mischung zu erreichen.  

Einmal sehen ist besser als hundertmal hören 

Kurzum: Die Dörfer, die wir während all der Fahrten durch das Autonome Gebiet passierten, machten alle einen wohlstandsgesicherten Eindruck. Feste Häuser in gutem Zustand mit Elektrizitätsanschluss, Kühe, Schafe, Pferde auf den Weiden, Traktoren und Motorräder sowie Elektroroller vor den Häusern. Armut und Rückständigkeit sieht anders aus. Die hatte ich vor 30 oder noch vor 20 Jahren gesehen. Mir war das ländliche Xinjiang als eine rückständige Region mit schlechten Straßen, ärmlichen Dörfern, vielen Kamelen, Pferden und Eseln in Erinnerung. Keine Touristen, keine Hotels. Da hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine gewaltige Veränderung vollzogen. Nach meiner Stippvisite kann ich mit gutem Gewissen die oben zitierten Aussagen der beiden Sinologen bestätigen. Die Doppelstrategie der chinesischen Regierung scheint Erfolge zu zeigen. Von einer Unterdrückung irgendeiner Minderheit, auch der Uiguren, konnte ich während der gesamten Reise nichts erkennen. Im Gegenteil! Ich sah zufriedene Menschen, neue Wohnviertel, neue Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten und moderne Fabriken. All unseren Journalisten im Westen kann ich nur empfehlen, selbst eine Reise nach Xinjiang zu unternehmen und sich vor Ort mit eigenen Augen ein Bild zu machen. 

*Uwe Behrens ist langjähriger Chinakenner und war 27 Jahre unter anderem in China und Indien als Logistikmanager tätig. 

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