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Das Xinjiang, das ich kenne: Auf eigene Faust unterwegs in Chinas Westen |
Von Uwe Behrens · 2024-01-05 · Quelle:german.chinatoday.com.cn |
Stichwörter: Xinjiang | Druck |
Nach drei Jahren Coronapandemie konnte ich im Herbst 2023 endlich wieder nach Xinjiang reisen, wo ich in der Vergangenheit lange gearbeitet hatte. Die Vorfreude war riesig. Noch bevor ich meine Reise antrat, las ich einen Bericht einer privaten Xinjiang-Reise zweier altgedienter deutscher Sinologen, Thomas Heberer und Helwig Schmidt-Glintzer. Sie waren im Mai 2023 in die Region gereist. Am 11. September 2023 veröffentlichten die beiden China-Experten einen Gastkommentar über ihre Erkenntnisse in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).
In ihrem Bericht beschreiben sie, dass sich das Leben in der Autonomen Region Xinjiang, dort wo in China verschiedene Minoritäten und Religionsgemeinschaften zusammenleben, normalisiert habe. „Aufseiten der uigurischen Bevölkerung stoßen die von der Zentralregierung angestoßenen Modernisierungen in Sachen Bildung, medizinische Versorgung und Arbeit unübersehbar auf Sympathie“, schreiben die beiden Sinologen. In den großen deutschen Medien konnte man diese Aussagen nicht lesen, eher das überholte Gegenteil. Von den einschlägigen Thinktanks wurden die beiden heftig kritisiert.
In ihrem Gastbeitrag in der NZZ schreiben Heberer und Schmidt-Glintzer weiter über die Fortschritte der vergangenen Jahre: „In die gleiche Richtung geht eine regional aufgeteilte und angepasste Entwicklungshilfe und Ressourcenbereitstellung durch chinesische Provinzen aus dem wohlhabenderen Osten des Landes. Erkennbar wird diese an modernen Berufsausbildungszentren in jedem Xinjianger Landkreis. Studierende erhalten neben kostenfreier Ausbildung monatlich 200 Yuan zur Unterstützung der Eltern. Staatlich geförderte Ansiedlung von modernen Zweigbetrieben im Agrar- und Industriesektor, die zu landesweit gültigen Mindestlohnstandards nahezu ausschließlich Uiguren einstellen müssen, soll das Beschäftigungsproblem lösen helfen.“
Ich habe 27 Jahre in Asien gelebt und als Logistikmanager für deutsche und französische Unternehmen gearbeitet, davon 17 Jahre in China und acht Jahre in Indien. Im Zuge meines beruflichen Engagements bereiste ich Xinjiang viele Male, unterhielt ein Zweigbüro in Ürümqi. Unter meinen Mitarbeitern und Kunden waren Uiguren, Kasachen, Tadschiken und Han-Chinesen. Ich lernte die Kulturen dort also hautnah kennen.
Das Xinjiang, das ich kenne
Das Autonome Gebiet Xinjiang ist geprägt von Grasland, Wüsten und Gebirgen, traditionell mit einer bescheidenen landwirtschaftlichen Nutzung. Entsprechend lagen der Wohlstand sowie der Bildungsstand der Bevölkerung lange weit unter dem anderer Regionen Chinas, insbesondere verglichen mit den industriellen Provinzen im Osten des Landes, an den Küsten. Um diese Wohlstandsunterschiede auszugleichen, aber auch um die örtlichen Bodenschätze zu erschließen, wurde seit den 1980er und 1990er Jahren verstärkt in den Aufbau von Industrie, Infrastruktur und in die Landwirtschaft investiert, was mit einem starken Zuzug von Nicht-Uiguren, vor allem Han-Chinesen, in die Provinz verbunden war.
In den 1990ern und den Nullerjahren war Xinjiang oft von terroristischen Anschlägen geplagt. Im an China grenzenden Wakhan-Korridor wurden gewaltbereite Uiguren, gemeinsam mit den Taliban, für einen religiösen Kampf ausgebildet. Später kamen vereinzelte uigurische Gruppen in Kontakt mit terroristischen Organisationen in anderen Ländern und schlossen sich sogar dem IS an. Es kam wiederholt zu terroristischen Anschlägen, ausgeübt von ultraislamistisch beeinflussten Uiguren im Autonomen Gebiet Xinjiang, auch in anderen Städten Chinas. Zahlreiche Opfer unter Zivilisten und Sicherheitskräften waren zu beklagen.
Mit einem umfassenden Maßnahmenpaket versuchte die chinesische Zentralregierung, dem entgegenzuwirken: Einerseits setzte man auf eine Erhöhung des Wohlstands und die Überwindung der Armut durch umfangreiche Investitionen in die Infrastruktur sowie in die industrielle und landwirtschaftliche Entwicklung, aber auch auf den Ausbau des Bildungssystems. Andererseits wurde auch ein Überwachungssystem zur Bekämpfung jeglicher separatistischer und terroristischer Aktivitäten aufgebaut und die Polizeipräsenz verstärkt.
Um einen eigenen Einblick in das heutige Xinjiang zu bekommen, beschloss ich, meinen für dieses Jahr im Oktober und November geplanten Familienbesuch in China zu nutzen, um einen Abstecher nach Xinjiang zu machen.
Ab nach Xinjiang – unverhofft einfach!
Im Visazentrum in Berlin bestätigte der Beamte, ich bräuchte keinerlei Genehmigung, mein Visum würde ausreichen. Ich zweifelte und erkundigte mich daher nochmals während der Anmeldung bei der lokalen Polizei in Beijing, im Stadtbezirk Tongzhou. Ich benötige keinerlei Genehmigungen, versicherte man mir auch dort, es sei denn, ich wolle ins Raumfahrtzentrum oder in die Grenzregionen zu Afghanistan oder Pakistan reisen. Ich gab vor, genau das zu wollen. In der zentralen Meldestelle des Stadtbezirkes erhielt ich schließlich nach einer kurzen Einweisung in das digitale Verwaltungsterminal, dem Scannen meines Passes, des Visums sowie dem obligatorischen digitalen Foto ein kleines Zertifikat, das mich berechtigte, in alle Kreise Xinjiangs zu reisen. Keinerlei Beschränkungen für den Zweck meiner Reise!
Im Government Service Center im Beijinger Stadtbezirk Tongzhou: Die Beantragung der Reisegenehmigung für die Grenzregion in Xinjiang läuft hier komplett digital. (Foto: 26. Oktober 2023)
Angekommen in Kashgar dann zwei weitere Überraschungen: Am Flughafen keine Sicherheitsbeamten, weder im Flughafen noch davor bei der Übernahme des Mietautos. Vor dem Hotel sprang uns dann doch noch ein „Sicherheitsbeamter“ entgegen, der Wachmann des Hotels. Er nahm uns freundlich die Koffer ab, geleitete uns zur Rezeption und brachte uns später sogar das Gepäck bis aufs Zimmer. Sein Equipment, Schutzschild und Helm, lehnten derweil in einer vergessenen Ecke der Lobby.
Am ersten Tag war ein Besuch der Altstadt mit dem berühmten Basar von Kashgar angesagt. Vor dem Eingang fanden sich am Eingang zwei wenig beschäftigte Polizisten, die freudig touristische Auskünfte gaben. Ja, es gibt Absperrungen, ähnlich wie am Wittenberg Platz, an der Berliner Gedächtniskirche. Der Basar in der Altstadt war überlaufen mit Touristen, aber leider weit und breit keine westlichen Besucher, nur „Inlandschinesen“. Das touristische Angebot, wie ich es später auch in der Altstadt von Ürümqi sehen sollte, beschränkte sich auf die üblichen kitschigen Mitbringsel. Allerdings gab es daneben auch lokale kulinarische Spezialitäten. Für Besucher gehört es quasi zum Pflichtprogramm, typische Xinjiang-Gerichte wie Jiao Ma Ji (Pfefferhuhn), Da Pan Ji (Huhn auf Nudeln) und insbesondere auch Shou Zhua Fan, Reis mit Lammfleisch, das mit der Hand gegessen wird, zu probieren. Wegen der scharfen Gewürze sind diese Gerichte gewöhnungsbedürftig. Man muss sie mehrere Male kosten, damit sich einem der wirkliche Genuss erschließt. Abends verwandelten sich einige Straßen der Altstadt in Restaurant- und Barstraßen. Es gab Popmusik, gespielt von Gruppen unterschiedlicher Ethnien. Touristen und Einheimische mischten sich. Es herrschte Wohlfühlatmosphäre.
Buntes Treiben in der Altstadt von Kashgar am 5. November 2023
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