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Den Staffelstab weitergeben: Politik mit Augenmaß führt Dorf im Chongqinger Umland zum Wohlstand |
Von Ye Kai · 2023-07-19 · Quelle:german.chinatoday.com.cn |
Stichwörter: Chongqing;Umsiedlung | Druck |
„Herzlich willkommen, Herr Ren. In Zukunft vertraue ich Ihnen die Arbeit hier im Dorf als Parteisekretär an.“ Li Quanhua schüttelt seinem Nachfolger Ren Hongfei die Hand. „Danke für Ihre harte Arbeit der letzten zwei Jahre“, bedankt sich dieser.
Übergabe der Amtsgeschäfte: Am 9. Juni begrüßt der scheidende Parteisekretär Li Quanhua (rechts) am Dorfeingang seinen jungen Nachfolger Ren Hongfei. (Foto: Dou Yi / China Heute)
Diese Szene spielte sich am 9. Juni am Eingang des Dorfes Zhongyuan ab. Der Ort zählt zur Gemeinde Shihui im Chongqinger Stadtbezirk Qianjiang. Ren Hongfei, ein in den 1990er Jahren geborener Kader des Büros zur Wiederbelebung des ländlichen Raums im Bezirk Qianjiang, wird den scheidenden Li Quanhua ablösen. In den kommenden zwei Jahren hat Ren die Funktion des ersten Dorfsekretärs inne. Eine seiner Hauptaufgaben: den ländlichen Aufschwung in Zhongyuan fördern. Unterstützt wird er dabei von den beiden Komitees des Dorfes.
Wenn man am Eingang von Zhongyuan steht, fällt einem das dunkle Grün der fernen Hügel ins Auge, das so satt ist wie die Tinte auf einem klassischen chinesischen Landschaftsbild. Die Straße ist von üppig wuchernden Sträuchern gesäumt, die Pfahlbauten stehen feinsäuberlich aneinander gereiht. Ab und an sieht man ältere Männer mit Bambuskörben auf dem Rücken gemütlich die Straße entlangschlendern. Beim Betreten des Dorfes fallen auch die Autos der Einheimischen auf, die neben dem Fischteich geparkt sind. Wir sehen zudem nagelneue Photovoltaik-Solarzellen, die im Sonnenlicht glitzern, Kohlköpfe, die kräftig vor sich hin wachsen und Maulbeerbäume, die sich sanft in der Brise wiegen.
Es ist kaum vorstellbar, dass dieses malerische Bergdorf mit seinen guten Transportmöglichkeiten und seiner florierenden Landwirtschaft einmal ein Armutsdorf gewesen sein soll. Lange war der Ort fern der wirtschaftlichen Schnellspur. Die Wende zum Besseren begann mit einer großangelegten Umsiedlung vor mehr als einem Jahrzehnt.
Umzug in eine bessere Zukunft
Einer der Dorfbewohner, Jiao Jintao, berichtet uns, wie der Neuanfang damals vonstattenging. „Die Regierung ermutigte uns, an den Fuß der Berge zu ziehen. Doch wir waren anfangs sehr skeptisch. Meine Vorfahren lebten schließlich seit Generationen hoch in den Bergen. Es war also kaum einer bereit, zu gehen.“
Doch die Verantwortlichen hatten alle Szenarien durchgespielt und waren zu dem Schluss gekommen: Wollte das Dorf Zhongyuan den Sprung aus der Armut schaffen, konnte das nicht gelingen, wenn viele Einheimische noch immer im schwer zugänglichen Gebirge lebten. Eine Umsiedlung, und damit ein Neuanfang, erschien als einzige Option. Damals lebte rund die Hälfte der Dorfbewohner hoch oben in den Bergen. Doch dort konnten sich die Menschen mit dem Anbau von Nahrungsmitteln und Bergprodukten kaum über Wasser halten. Die Berghänge hier sind so hoch und steil, dass es selbst schwierig ist, den Berg zu Fuß hinauf- und hinunterzukommen, ganz zu schweigen in motorisierter Weise mit Autos oder Motorrädern. Fei Yuanzhong, der Sekretär der Dorfparteizelle, erinnert sich, dass eine Tour zum nächstgelegenen Markt und zurück für diejenigen, die in den entlegensten Gebieten lebten, bis zu acht Stunden in Anspruch nahm.
Hätte nicht auch eine Zugangsstraße Abhilfe schaffen können? „Zum einen ist der Bau einer Straße hier technisch extrem anspruchsvoll, zum anderen mangelte es im Dorf am Geld für die nötige Infrastruktur“, sagt Fei.
Doch auch die Alternative Umzug schien den Bergbewohnern wenig attraktiv. „Es würde doch sicher Unmengen Geld kosten, ein Haus unten am Berghang zu bauen. Wie sollte das gehen? Wir hatten kein Vertrauen in den Plan“, schildert Jiao Jintao seine damaligen Sorgen, mit denen er vielen Nachbarn aus der Seele sprach.
Doch Fei Yuanzhong glaubte fest an die Umsiedlungspläne. Jeden Tag marschierte erst fast zehn Stunden hin und zurück aus der Gemeinde, um sich mit den Bergbewohnern auszutauschen und mehr über ihr Leben zu erfahren. Da das Dorfkomitee über keine festen Büroräume auf dem Berg verfügte, diente ihm ein Schreibtisch aus der nahe gelegenen Grundschule als Arbeitstisch.
Angesichts des Zögerns der Dorfbewohner beschloss Fei Yuanzhong, dass die Parteimitglieder als erste ein Beispiel geben sollten. Sollte sich das Leben nach der Umsiedlung als besser erweisen, würden sicher andere nachziehen, so die Idee. Bald machte also Pang Yucheng, ein älteres Parteimitglied im Dorf, den Anfang in Sachen Umsiedlung.
Um den ersten Umzüglern ein angenehmes Leben zu ermöglichen, sammelten Fei und das Dorfkomitee Mittel für die Verlegung von Abwasserrohren und bauten zudem sorgfältig für jede Familie einen Stall, damit die Dorfbewohner auch in tiefer gelegenen Gefilden ihr Vieh halten konnten.
Nach seinem Umzug fand Pang Yucheng schnell einen Job als Bauarbeiter mit einem Jahreseinkommen von mehr als 30.000 Yuan. Dies erschien vielen der in den Bergen Verbliebenen eine attraktive Perspektive.
„Sekretär Fei ging damals von Tür zu Tür, um die Menschen von den Vorzügen des Umzugs zu überzeugen. Ich hatte gesehen, dass es der ersten Gruppe von Umsiedlern gut ging, also bewarb ich mich für die zweite Gruppe“, erinnert sich Jiao Jintao. Nach der Umsiedlung waren die Nachrichtenkanäle viel offener und es war für Jiao Jintaos Vater, ein Schreiner, einfacher, einen Job zu finden. Auch die Dorfklinik lag nun viel näher, sodass es im Bedarfsfall wesentlich bequemer war, Medikamente zu bekommen.
Besseres Leben nach dem Umzug: Auch diese Seniorin entschied sich für einen Neuanfang am Fuße der Berge und hat es nicht bereut. (Foto: Dou Yi / China Heute)
Dank Feis Bemühungen konnte das Dorf die Aufgabe der Umsiedlung 2014 erfolgreich abschließen. Mehr als 540 Menschen zogen im Rahmen des Projektes aus den Bergen hinunter in tiefer gelegene Areale. Doch Fei Yuanzhong und das Dorfkomitee standen bald vor einem neuen Problem: Wie konnte man die örtliche Wirtschaft ankurbeln, um den Dorfbewohnern ein wohlhabendes Leben zu ermöglichen?
Rückkehrer aus der Stadt bringen frische Ideen
Auf Initiative Feis und des Dorfkomitees entschied man sich, die Seidenraupenindustrie zu einem Aushängeschild der örtlichen Wirtschaft aufzubauen. Mittlerweile werden außerdem Nutzpflanzen wie Pfeffer und Pfirsiche mit großem Erfolg angebaut. Angesichts des schönen Antlitzes des Dorfes, der florierenden Landwirtschaft und der harmonischen Nachbarschaftsbeziehungen sahen daraufhin auch immer mehr junge Leute, die zuvor jahrelang außerhalb gearbeitet hatten, neue Entwicklungsperspektiven in der alten Heimat. Luo Daxiong, geboren 1987, war einer von ihnen.
Luo ist ein wissbegieriger junger Mann mit einer schnellen Auffassungsgabe. Während seiner Zeit als Wanderarbeiter hat er gelernt, wie man in großem Maßstab Gemüse anbaut. Mutig und mit Einfallsreichtum hatte er bereits in einer anderen Provinz eine größere Landfläche für den Gemüseanbau gepachtet. Und die Geschäfte liefen gut.
Weise ist aber auch, zu wissen, wann man aufhören sollte. „Das Marktrisiko beim Handel mit landwirtschaftlichen Massenprodukten ist sehr hoch, und die Investitionen und die Verwaltungsstrukturen in anderen ländlichen Gebieten ließen oft zu wünschen übrig“, sagt Luo. So reifte in ihm allmählich die Idee, in sein Heimatdorf zurückzukehren.
Ende 2021 beendete er sein Gemüsegeschäft außerhalb der Heimat und kehrte nach Zhongyuan zurück. Er wollte sich ganz darauf konzentrieren, in der Heimat etwas zu bewegen und so auch den Menschen hier einen guten Dienst zu erweisen. „Ich war lange Zeit weg. Aber jetzt bin ich zurück und möchte allen hier bei der wirtschaftlichen Entwicklung helfen, damit die Menschen ihr Stück vom Kuchen abbekommen“, so der Jungunternehmer.
Grün soweit das Auge reicht: Im Gewächshaus von Zhongyuan sprießt das Gemüse prächtig. (Foto: Dou Yi / China Heute)
Luo Daxiong ist nicht der einzige, der sich entschlossen hat, zurückzukehren, um sich weiterzuentwickeln. Der Rückkehrer Pang Youjun engagiert sich heute erfolgreich im Gewächshaus-Gemüseanbau; Rückkehrer Yang Guangsheng betreibt mit viel Geschick eine Schweinefarm; und Jiao Jintao hat 2020 mit der Anpflanzung chinesischer Heilkräuter im großen Stil begonnen. „Die jungen Landwirte in unserem Dorf helfen sich gegenseitig, tauschen sich aus und lernen voneinander. Ressourcen und Informationen werden geteilt“, beschreibt Jiao Jintao die Atmosphäre im Dorf.
Den Staffelstab weitergeben
„Für einen Menschen mögen zwei Jahre eine lange Zeit sein, für die Entwicklung eines Dorfes sind sie nur ein Wimpernschlag“, gibt Li Quanhua, dessen Haare bereits ein wenig grau geworden sind, bei seinem Abschied aus dem Amt zu bedenken.
In den letzten zwei Jahren hat Li viele Ressourcen zusammengeführt, um der Seidenraupenindustrie zum Aufschwung zu verhelfen. Mittlerweile hat sich die Fläche der Seidenraupenzucht im Dorf bei 53 Hektar eingependelt. Zudem hat Li während seiner Amtszeit die Hilfsfonds der Ost-West-Zusammenarbeit integriert, um 733.000 Yuan in den Bau eines 800 Quadratmeter großen Photovoltaikkraftwerks zu investieren, das jährlich 137.500 Kilowattstunden Strom erzeugen soll. Dadurch könnte das jährliche Einkommen der dörflichen Kollektivwirtschaft noch einmal um rund 70.000 Yuan steigen.
Grüne Energie vor grüner Kulisse: Das neue Photovoltaikkraftwerk von Zhongyuan erstrahlt im Sonnenlicht. (Foto: Dou Yi / China Heute)
„Natürlich gibt es auch Wehmutstropfen nach meiner Amtszeit. Die Landschaftskulisse hier ist einfach traumhaft und eigentlich ideal für die Tourismusentwicklung. Ich habe auch schon einige Finanzierungsquellen aufgetan, aber aus verschiedenen Gründen hat es mit der Umsetzung der Projekte bisher noch nicht geklappt“, sagt Li.
Allerdings dürfte Li Quanhuas Bedauern nicht allzu lange anhalten. Denn Ren Hongfei hat den Staffelstab übernommen. Und er ist sichtlich motiviert.
„Zhongyuan verfügt schon über eine relativ vollständige Infrastruktur. Als Nächstes möchte ich nun dabei helfen, die entsprechenden Verfahrensregeln zu standardisieren und geeignete Projekte an Land zu ziehen. Ich habe fest vor, Wege zu finden, um die Wirtschaft weiter anzukurbeln, das Einkommen der Landwirte zu steigern und das Erscheinungsbild des Dorfes noch schöner zu machen“, beschreibt Ren seine Pläne für die nächsten zwei Jahre. Damit trifft er auch genau die Erwartungen von Fei Yuanzhong und Luo Daxiong, ja letztlich von allen Einheimischen. Man darf also gespannt sein, was die Zukunft hier in Zhongyuan noch alles bringen wird am Fuße der Berge.
*Der Autor ist Reporter des mehrsprachigen Nachrichtenportals China.org.cn.
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