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Wie Chinas Volksdemokratie funktioniert |
Von Zhang Weiwei · 2021-05-10 · Quelle:Beijing Rundschau |
Stichwörter: Volksdemokratie;China | Druck |
Als König Johann Ohneland im Jahre 1215 der Magna Carta zustimmte, um mit dem rebellischen Adel Frieden zu schließen, diente die Königliche Satzung zur Sicherung der Eigentumsrechte der Edelleute. Die Vorherrschaft der Privilegierten ist seitdem ein Merkmal der westlichen Demokratie.
Als sich der austro-amerikanische Nationalökonom Joseph Schumpeter im Jahre 1942 für ein elitistisches System stark machte, führte er das Argument ins Feld, dass angesichts der Unfähigkeit des gemeinen Mannes, in politischen Fragen intelligente Entscheidungen zu treffen, es notwendig sei, die Regierungsführung Politikern anzuvertrauen, die aus kompetitiven Wahlen hervorgehen sollten. Diese Theorie hat im Westen breite Anerkennung gefunden.
Aus chinesischer Perspektive ist diese Art von Demokratie jedoch bestenfalls eine verfahrenstechnische Demokratie, die weit von substanzieller oder wahrer Demokratie entfernt sein mag. Die westlichen Demokratien stehen heute vor vielfältigen Herausforderungen, angefangen bei einem auf der Stelle tretenden Lebensstandard, einer gespaltenen Gesellschaft, über eine vom Geld regierte Politik bis hin zu wachsendem Populismus und der Notwendigkeit ernsthafter Reformen zur Erfüllung der Erwartungen der Bürger.
Neuer Ansatz
Im Gegensatz dazu hat China eine lange und wechselvolle Erfahrung mit der sogenannten Volksdemokratie. Die Niederlage im Opiumkrieg (1840-42), den die Briten gegen China geführt haben, leitete ein Zeitalter langdauernder Instabilität ein. Kolonialmächte drangen nach China ein und erzwangen die Zahlung hoher Reparationen. Die Dinge wendeten sich auch nach der Revolution von 1911, welche die Abdankung der Qing-Dynastie (1644-1911) bewirkte, nicht zum Besseren. Bedingt durch die Abwesenheit einer starken Zentralmacht, führten Warlords, jeweils unterstützt von imperialistischen Mächten, gegeneinander Krieg um die Herrschaft. Das Land versank im Bürgerkrieg, dem Millionen von Menschen zum Opfer fielen.
Die meisten Patrioten, die den Weg der nationalen Wiedergeburt beschritten, waren sich darin einig, dass die Chinesen die Herren ihres Landes sein sollten. Aber eine Lösung der Probleme war bis Ende der 1910er Jahre nicht in Sicht, als die Oktoberrevolution in Russland erfolgreich war und die Gründung der Sowjetunion zur Folge hatte. Dies brachte die fortschrittlichen Kräfte in China auf den Pfad des Marxismus-Leninismus. Sie erkannten, dass die Arbeiterklasse und die Bauern zum Kampf gegen die Warlords und die imperialistischen Mächte mobilisiert werden mussten, um die nationale Einheit und Unabhängigkeit zu erlangen.
Bei Gründung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) im Jahre 1921 war die Mehrheit ihrer Mitglieder marxistisch orientierte Intellektuelle. Drei Jahre später bildete die KPCh eine Koalition mit der nationalistischen Kuomintang-Partei (KMT) gegen die Warlords. Innerhalb der KPCh gab es zwei Strömungen. Während die eine einen Kurs der Anpassung an die KMT betrieb, stellte die andere die städtische Arbeiterschaft in den Mittelpunkt und vergaß darüber die Bauernschaft. Nach einer Säuberungswelle der KMT zerbrach 1927 das Bündnis zwischen Kommunisten und Nationalisten.
Aufgrund seiner Untersuchungen in den ländlichen Gebieten seiner Heimatprovinz Hunan kam Mao Zedong zu der Einsicht, dass die Partei nicht nur auf die Arbeiter setzen sollte, sondern in erster Linie auf die Bauern, welche die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stellten. Er rief die KPCh dazu auf, sich an die Bauernschaft zu wenden, ihre Bedürfnisse zu erkennen und ihre Lebensumstände zu verbessern.
Am Ende des Langen Marsches, einem strategischen Ausweichmanöver gegen die Umklammerung durch Truppen der KMT, erreichte die Rote Armee unter Führung der KPCh die Provinz Shaanxi. Mao sprach sich für eine Regierung aus, in der nicht nur Arbeiter und Bauern vertreten sein sollten, sondern die ganze Nation. Er verband seine Massenlinie mit Wladimir Iljitsch Lenins Demokratischem Zentralismus zu einem Zentralismus auf demokratischer Grundlage oder „vom Volk für das Volk“ mit Demokratie unter zentraler Führung. Es entwickelte sich eine Volksdemokratie mit spezifisch chinesischen Eigenschaften.
Es gab einige Umwege, wie die „Kulturrevolution“ (1966-76), während der vielfach das Recht mit Füßen getrampelt wurde. Diese Umwege lieferten eine harte Lektion, dass eine echte Volksdemokratie auf Rechtsstaatlichkeit gegründet sein muss.
Breite Repräsentation
Heute gründet die Volksdemokratie in China auf drei Institutionen: a.) die Führung durch die Partei, b.) das Volk als Herr des Landes, und c.) die gesetzesgemäße Verwaltung des Staates. Der Zweck dieser Ordnung besteht darin, das Volk als Herr des Landes zu etablieren, während die beiden anderen Faktoren als eine doppelte Garantie für diese Ordnung fungieren.
Die KPCh übernimmt die Führungsrolle, da sie die übergeordneten Interessen des Volkes vertritt. Dieses System leitet sich aus der langen Tradition einer „vereinheitlichten Führungsinstanz“ her, wie sie sich seit der ersten Reichsgründung in China im Jahre 221 v. Chr. entwickelt hat. Hinzu tritt eine Führungsstruktur auf meritokratischer Grundlage unter dem Prinzip der „Auswahl und Wahl“, welche sicherstellt, dass die Besten und Fähigsten das Land regieren.
Unter den Bedingungen gegenwärtiger Politik verhindert die Führung der Partei wirkungsvoll tumben Populismus, geldbestimmte Politik oder Versuche des Westens, in China eine „Farbrevolution“ zu inszenieren. Die Vorstellung, dass das Volk ein Land regieren könnte, ohne eine Organisation, die Führungskraft bereitstellte, ist naiv. Wahlen müssen organisiert, Abläufe installiert und Eingriffe von außen verhindert werden. Alle diese Aufgaben werden von der KPCh wahrgenommen, einer politischen Institution mit mehr als neunzig Millionen Mitgliedern. Eine Institution auf breiter Basis, die sich großer Zustimmung erfreut und sich dem öffentlichen Wohl verschrieben hat.
Was die die gesetzesgemäße Verwaltung des Staates betrifft, so ist zuvörderst die strikte Einhaltung der Verfassung erforderlich. Anders als die Magna Charta, die die Interessen der Reichen und Wohlhabenden priorisiert, legt die Chinesische Verfassung fest, dass der Staat dem Volke dienen muss und „Das grundlegende Wirtschaftssystem zeichnet sich durch ein Nebeneinander von überwiegendem Gemeineigentum und anderen Eigentumsformen aus.“ Der Staat muss sowohl öffentliche Eigentumsrechte wie auch private Eigentumsrechte schützen. Mehr als neunzig Prozent aller Haushalte Chinas verfügen heute über privates Eigentum, was schon für sich selbst betrachtet eine bemerkenswerte Errungenschaft ist.
Der Untergang der Sowjetunion war für die Mehrheit der Chinesen eine furchteinflößende Lektion darüber, wie wichtig die Volksdemokratie für den Schutz ihrer Interessen ist. Aufgehetzt durch den Westen, entschied sich die Sowjetunion im Februar 1990 der Führung durch die Kommunistische Partei zu entsagen, und in der Folge das Gemeineigentum abzuschaffen. Die Konsequenzen waren zerstörerisch. Das Land verfiel und der Wohlstand des Volkes wurde geplündert. Was folgte, waren gesellschaftliches Chaos und ein spürbarer Anstieg der Arbeitslosenzahlen und der Sterberate.
In China sorgt die doppelte Garantie dafür, dass das Volk der Herr des Landes ist und die grundlegenden Interessen der Menschen ihren Ausdruck finden und geschützt werden. Volksdemokratie ist nicht nur eine Garantie für das Eigentum des Volkes, sondern auch für eine Reihe von Institutionen. Angefangen von der konsultativen Demokratie auf jeder Ebene des politischen und gesellschaftlichen Lebens Chinas, über die weltweit umfangreichste Anwendung von Meinungsumfragen für die Entwicklung politischer Maßnahmen, dem Internet als Forum der öffentlichen Meinung, bis hin zu demokratisch institutionalisierten Entscheidungsprozessen beim Zustandekommen der Fünfjahrespläne für das ganze Land und verschiedene Regionen. Jeder Fünfjahresplan durchläuft hunderte Beratungsrunden auf allen Ebenen des Staates und der Gesellschaft.
Chinas Erfolg verdankt sich der Qualität seines Entscheidungsfindungsprozesses und der Effektivität seiner politischen Umsetzung, was den chinesischen Staat im Vergleich zum westlichen Modell weitaus empfänglicher macht für die Bedürfnisse der Bevölkerung, wie sich in Chinas entschiedenem Kampf gegen COVID-19 erwiesen hat. Das chinesische Modell hat dafür gesorgt, dass die Mehrheit der Chinesen von Chinas dramatischem Aufstieg profitiert. Das Land hat die rasanteste Anhebung des Lebensstandards seiner Bevölkerung in der Geschichte der Menschheit erlebt.
Das chinesische Modell ist nicht perfekt, aber es ist der amerikanischen Demokratie in vieler Hinsicht überlegen. Chinas höchstes Gesetzgebungsorgan und die lokalen Volkskongresse beschäftigen sich mit Fragen, die für eine breite Öffentlichkeit von unmittelbarem Interesse sind. Von der Krankenversicherung bis zum Rentensystem und zum Umweltschutz, und das alles ohne die Beeinflussung durch von Lobbygruppen, wie sie im US-Kongress gang und gäbe ist.
Es erstaunt daher nicht, dass die Ipsos-Umfragen der letzten fünf Jahre wiederholt gezeigt haben, dass rund neunzig Prozent der Chinesen glauben, dass sich ihr Land auf dem rechten Weg befindet, während weniger als die Hälfte der Menschen in den Vereinigten Staaten und Großbritannien dasselbe von ihrem eigenen Land denken.
Der vom Marktforschungsunternehmen Dalia Research erstellte Democracy Perception Index 2020 zeigt, dass 73 Prozent der Chinesen der Meinung sind, dass China eine Demokratie ist, während dies in den USA lediglich 49 Prozent von ihrem Land glauben. Was für eine interessante und sich verändernde Zeit, in der wir leben!
Der Autor ist Direktor des China-Instituts der Fudan Universität in Shanghai
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