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Chinas einzige Rentierzüchter erkunden nach ihrer Umsiedlung aus den Bergen eine neue Lebensweise |
Von Ji Jing · 2020-08-26 · Quelle:Beijing Rundschau |
Stichwörter: Armutsüberwindung;Ewenken | Druck |
Ein Tourist streichelt am 13. Juli ein Rentier auf einer Farm in Genhe im Autonomen Gebiet Innere Mongolei in Nordchina (XINHUA)
Vor den Reihen aus zweigeschossigen braunen Holzhäusern genießen die Älteren ihren Tee, während die Frauen drinnen damit beschäftigt sind, Brot zu backen oder traditionelles Kunsthandwerk herzustellen. Zhongnihao ist einer dieser Senioren. Sie alle gehören zur indigenen Volksgruppe der Ewenken, auch bekannt als „Chinas letztes Jagdvolk“, und haben ihr altes Leben für einen ganz neuen Lebensstil hinter sich gelassen.
Zhongnihao (79) ist glücklich, die im Norden gelegenen Berge der Autonomen Region Innere Mongolei verlassen zu haben, wo die Ewenken hauptsächlich von der Jagd lebten. Er erinnert sich an die eisigen Winter, in denen es schwierig war, an ausreichend Nahrung und Wasser zu gelangen.
In ihren neuen von der Regierung errichteten Häusern in Genhe in der Inneren Mongolei verfügen sie nun über eine Zentralheizung und fließendes Wasser.
Dekeli, eine Geschäftsfrau aus Genhe in der Inneren Mongolei, schneidert in ihrer Werkstatt am 31. Mai Kleidung im Ewenken-Stil (XINHUA)
Abschied von den Bergen
Ewenken bedeutet „Menschen, die in den Bergen leben“. Mit einer Bevölkerungszahl von weniger als 40.000 Menschen handelt es sich um eine der kleinsten ethnischen Minderheiten in China. Die Ewenken lebten meist als Jäger im Großen Hinggan-Gebirge. Dort befindet sich größte Urwald Chinas, der sich über die Innere Mongolei und die Provinz Heilongjiang im Nordosten erstreckt.
Vor der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 führten die Ewenken ein einfaches und isoliertes Leben. Ihre Kleidung bestand aus Tierfellen und sie lebten in Hütten aus Holzpfählen, deren Dächer mit Birkenrinde gedeckt waren.
1958 wurde die erste Ewenken-Gemeinde in Erguna, einer Stadt in der Inneren Mongolei, gegründet. Dies war der erste Schritt zur Modernisierung.
Im Jahr 2003 siedelten über 200 Jäger aus dem Wald in die neuen Holzhäuser in der Nähe von Genhe um. Da die Häuser in einem städtischen Gebiet liegen, bieten sich für die Migranten nun mehr Beschäftigungs- und andere Einkommensmöglichkeiten. Um sie bei der Eingewöhnung zu unterstützen, erließ die Regierung Hilfsmaßnahmen, die auch die Bedürfnisse nach Bildung und medizinischer Versorgung berücksichtigten.
Auf seinem Hof in Genhe kümmert sich Gumusen, ein junger Ewenken-Hirte, um sein Rentier. Er räuchert die Umgebung aus, um die lästigen Mücken zu vertreiben. Es gab zunächst Befürchtungen, dass die Ewenken nach ihrem Wegzug aus den Bergen nicht in der Lage sein würden, ihren traditionellen Lebensunterhalt weiter mit der Rentierzucht zu verdienen. Die Lokalregierung kam den Umsiedlern jedoch zu Hilfe und stellte 100 Millionen Yuan (14,4 Millionen Dollar) bereit, um auf Grundlage der einzigartigen Rentierzucht den Tourismus anzukurbeln.
Die Regierung stellte den Hirten zudem Transportwagen zur Verfügung, um ihnen die Umsiedlung zu erleichtern. Die Fahrzeuge sind mit Sonnenkollektoren ausgestattet, die Kühlschränke und Fernseher mit Strom versorgen können. Darüber hinaus werden den Hirten zur Unterstützung regelmäßig Dinge des täglichen Bedarfs geschickt.
Einige der Umsiedler betreiben Geschäfte mit Rentierprodukten und Gästeherbergen. Während der Hauptsaison könne er durch den Verkauf von Rentierprodukten über 1.000 Yuan (122 Euro) am Tag verdienen, berichtet Gumusen. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen der ehemaligen Jäger ist von 1.277 Yuan (156,6 Euro) im Jahr 2005 auf derzeit 20.000 Yuan (2.466 Euro) gestiegen, die Zahl der Rentiere erhöhte sich von etwa 100 vor der Umsiedlung auf fast 1.000.
Gleichzeitig stieg die durchschnittliche Lebenserwartung der Ewenken von 43 Jahren nach Gründung der VR China auf mittlerweile 75 Jahre. Mehr als 100 Ewenken sind über 80 Jahre alt.
Eine einzigartige Kultur
Dekeli lebt in Hulun Buir, einer Stadt in der Inneren Mongolei, und betreibt dort eine Werkstatt, die traditionelle Ewenken-Kleidung, ungewöhnliche Totems aus bemaltem Rentierleder und anderes traditionelles Kunsthandwerk herstellt.
Da die Ewenken keine Schriftsprache besitzen, spielen die Totems eine wichtige Rolle als Kommunikationsmittel und werden bei Ritualen wie beispielsweise Bestattungen verwendet. „Wir haben über 100 Totemmalereien erstellt und wollen sie in einem Buch zusammentragen, um sie an die jüngere Generation weiterzugeben“, erklärte Dekeli gegenüber der Nachrichtenagentur Xinhua.
Viele junge Menschen engagieren sich in der Werkstatt und verleihen dem traditionellen Kunsthandwerk neue Vitalität.
Da die Ewenken früher in lichtarmen und kalten Waldregionen lebten, lieben sie die Sonne. Accessoires aus Fell und bunten Steinen in Sonnenblumenform sind ein wichtiges kulturelles Symbol.
Auch Wuren verkauft diese Produkte, um ihr Geschäft auszubauen. Sie betreibt eine Familienunterkunft in der von Hulun Buir verwalteten Autonomen Verwaltungseinheit der Ewenken. Als sie 2005 ihre Pension eröffnete, trug sie beim Empfang der Touristen Sonnenblumen-Accessoires und stellte fest, dass die Gäste großen Gefallen daran fanden.
„Also dachte ich, warum soll ich nicht ein paar Sonnenblumen-Accessoires selbstbasteln und verkaufen? So kann ich nicht nur mein Einkommen erhöhen, sondern auch die Ewenken-Kultur verbreiten", sagte sie.
Die traditionellen Accessoires schaffen mittlerweile sogar Arbeitsplätze. 2010 investierte Wuren 600.000 Yuan (73.380 Euro) in die Gründung ihrer Werkstatt und stellte sechs Frauen aus verarmten Familien ein. „Ich stellte ihnen die Materialien zur Verfügung und sie fertigen die Accessoires zu Hause an, so dass sie sich gleichzeitig auch um ihre Familien, das Vieh und die Schafe kümmern konnten“, erzählt sie.
Anfangs fertigten sie Accessoires mit einfachen Mustern. Mit zunehmendem Geschäftserfolg wurden die Designs erneuert und erhielten mehr Verzierungen. Das Sonnenblumenmuster wird für eine breite Produktpalette von Ohrringen und Kühlschrankmagneten bis hin zu Mauspads verwendet. 2016 wurde Wuren von der Regionalregierung der Inneren Mongolei als Hüterin des immateriellen Kulturerbes der Ewenken gewürdigt.
Um die Entwicklung der traditionellen Kultur zu unterstützen, wurde 2016 in der Autonomen Verwaltungseinheit der Ewenken ein Industriepark für traditionelle Kultur gebaut. Wuren verlegte im selben Jahr ihr Geschäft dorthin. Heute hat sie 14 Mitarbeiter, von denen fünf aus armen Familien stammen. Im Gewerbegebiet sind über 100 Hüter des immateriellen Kulturerbes und Unternehmer ansässig.
Wurens Tochter Aijima kehrte nach Abschluss ihres Informatikstudiums nach Hause zurück, um ihrer Mutter beim Verkauf der Sonnenblumenartikel auf E-Commerce-Plattformen zu helfen. Jedes Jahr gehen über 10.000 Bestellungen aus dem ganzen Land bei ihnen ein.
„Traditionelle Kultur ist sehr beliebt. Ich möchte der Sonnenblumenkultur durch beständige Innovationen eine neue Dimension hinzufügen“, erklärte Aijima.
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