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Reise nach Westen: Wie Xinjiang dank gezielter Kooperation wirtschaftlich aufholt |
Von Yang Shuangshuang und Wang Ran · 2024-03-20 · Quelle:german.chinatoday.com.cn |
Stichwörter: Xinjiang | Druck |
Schon frühmorgens geht es für Hankiz Ablimit zu Semesterbeginn los. Von ihrem Zuhause in der Präfektur Aksu im Süden Xinjiangs nimmt die 18-Jährige den Zug nach Urumqi, Hauptstadt Xinjiangs. Dort heißt es dann noch einmal umsteigen, nämlich in den Zug nach Bole in Nordwest-Xinjiang. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht ist die junge Frau unterwegs, bis sie dort angekommen ist.
Bole, das ist die Hauptstadt der Autonomen Präfektur Bortala. Der Ort beherbergt die einzige formale Hochschuleinrichtung der gesamten Präfektur – das Polytechnikum Bortala. Und Hankiz ist an dieser Hochschule eingeschrieben. Insgesamt zehn Fakultäten zählt die Einrichtung. Die meisten Lehrkräfte kommen nicht aus Xinjiang, sondern von außerhalb, genauer gesagt aus der Provinz Hubei in Zentralchina.
Denn Hubei ist eine von 19 Regionen auf Provinzebene, die an Chinas nationalem Hilfsprogramm für Xinjiang teilnehmen und die Region beim Aufbau von Kapazitäten in verschiedenen Bereichen unterstützen. In jahrelangen Bemühungen wurde dieser wirksame Unterstützungsmechanismus geschaffen. Er greift Xinjiang umfassend unter die Arme, vor allem in Bezug auf Fachkräfte, Technologie, Verwaltung und Finanzmittel. So wird den Menschen aller ethnischen Gruppen dabei geholfen, grundlegende Probleme in ihrem Leben zu lösen, etwa in Sachen Beschäftigung, Bildung und Wohnen. Außerdem zielt das Konzept darauf ab, die Entwicklung lokaler Industrien zu unterstützen, die sich für die lokalen Bedingungen in Xinjiang besonders gut eignen.
Die achtzehnjährige Hankiz Ablimit simuliert den Verkauf von Produkten per Livestreaming in einem Smart-Studio. (Foto: Yang Shuangshuang)
Knowhow verbreiten
„Mein Hauptfach ist E-Commerce. Nach dem Abschluss möchte ich Moderatorin in einem Livestreaming-Format zur Produkt-Promotion werden“, erzählt uns Hankiz, die gerade mit ihren Klassenkameraden eine Livestreaming-Verkaufssession in einem Studio simuliert.
Die Business School des Polytechnikums in Bortala wird vom Polytechnikum Wuhan und dem Huanggang Polytechnic College unterstützt und hat unter anderem Kooperationsbeziehungen zu bekannten Unternehmen wie dem E-Commerce-Riesen JD.com aufgebaut. Laut Ju Shouyong, Vizepräsident des Polytechnikums von Bortala, wurden seit 2005 insgesamt 335 Lehrkräfte von über 50 Hochschulen und Berufsakademien in Hubei an seine Hochschule entsandt, um dort zu unterrichten. Das Polytechnikum zähle derzeit rund 15.000 Studierende und über 600 Lehrkräfte. 21 dieser Lehrkräfte stammten aus Hubei.
Einer davon ist Zhang Yao. Eigentlich unterrichtet er am Huanggang Polytechnic College. Es sei bereits das vierte Mal, dass er im Rahmen des Unterstützungsprogramms hier in Xinjiang im Einsatz sei. „Ich betrachte Xinjiang längst als meine zweite Heimat“, sagt er und lächelt. Das Bortala Polytechnic College begann in der ersten Jahreshälfte 2015, ein E-Commerce-Programm im Bereich Tourismus anzubieten. Zhang kam zu dieser Zeit erstmals an die Hochschule und unterrichtete damals drei Kurse für das Programm. Es folgten weitere Lehraufenthalte in den Jahren 2017, 2021 und zuletzt 2023.
In dieser Zeit erlebte Zhang nicht nur die Entwicklung des Polytechnikums mit, sondern auch, wie starke freundschaftliche Bande zwischen Hubei und Xinjiang wuchs. Einen Meilenstein für die Zusammenarbeit markierte die dritte zentrale Konferenz über die Arbeit in Xinjiang im Jahr 2020. Bei ihr wurde das Programm zur Unterstützung Xinjiangs von einem einseitigen Unterstützungsmechanismus zu einem neuen Kooperationsmechanismus weiterentwickelt.
Schlüsselerlebnisse ändern Lebenswege
In der Lager- und Logistikabteilung des Unternehmens Kashgar Jiangguoguo Agricultural Science and Techonology, oder kurz Jiangguoguo, herrscht an diesem Tag rege Betriebsamkeit. „Im Durchschnitt versenden wir täglich gut 7000 Kisten Obst an in- und ausländische Kunden, wobei die Zahlen in letzter Zeit stark angestiegen sind. Zu Fest- und Feiertagen kommen schon mal 10.000 Kisten pro Tag zusammen“, sagt Liu Zhiying, Geschäftsführer des Unternehmens.
Jiangguoguo wurde 2015 in der Millionenstadt Kashgar, tief im Nordwesten Chinas, gegründet. Die Produktpalette der Firma reicht von Trockenfrüchten, saisonalem Frischobst und Snacks bis zu Getränken. Die Waren verkaufen sich gut, und das landesweit. Seit 2023 streckt das Unternehmen seine Fühler nun auch ins Ausland aus, vor allem auf die Märkte Belgiens und Pakistans. Für 2023 wurde der Gesamtumsatz auf mehr als 350 Millionen Yuan beziffert.
Das Unternehmen ist ein Paradebeispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung verschiedener ethnischer Gruppen. Warum, das weiß Chen Wenjun zu berichten, der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens. Er kam im März 2015 als Mitarbeiter der Guangdong Construction Group im Rahmen des Xinjiang-Hilfsprojekts nach Kashgar. „Ich habe die Menschen hier als unglaublich ehrlich und gutherzig erlebt, und vor allem außergewöhnlich hilfsbereit. Ein einschneidendes Ereignis war für mich persönlich die Nacht des 30. Juni 2015“, erinnert sich der Unternehmer zurück.
An jenem Abend erlitt Chens Auto in einer abgelegenen Gegend eine Panne. Zwei uigurische Jugendliche halfen ihm beim Abschleppen, mit einer Engelsgeduld. Die Aktion dauerte geschlagene sieben Stunden. Geld wollten die beiden dafür partout nicht. „Sie sagten zu mir: ,Kumpel, wir glauben, wenn wir in Zukunft Schwierigkeiten haben, wirst du uns sicher auch helfen.‘ Daran erinnere ich mich noch ganz genau“, sagt Chen.
Für Chen war diese Erfahrung wie eine Offenbarung. Die große Hilfsbereitschaft veränderte Chens Wahrnehmung der Region und schlussendlich sogar seinen Lebensweg. „Eigentlich wollte ich nur eins, zwei Jahre in Kashgar bleiben und dann zurück in die Heimat. Doch nach dieser Nacht beschloss ich, hier zu bleiben und den Einheimischen beim Verkauf ihrer Spezialitäten wie Obst und Gemüse zu helfen“, so Chen. Noch im November desselben Jahres gründete er Jiangguoguo.
Ein Blick in die Verpackungs- und Versandhalle der Abteilung für Lagerlogistik von Jiangguoguo (Foto: Wang Ran)
Rückblickend steht fest: Chens Bemühungen der letzten acht Jahre haben sich für alle Beteiligten ausgezahlt. Das Unternehmen half den örtlichen Obstbauern, ihre Pflanzen zu veredeln, auf rund 300 Hektar. Außerdem bot die Firma den Landwirten lukrative neue Absatzkanäle. Insgesamt habe man über die Jahre über 100.000 Tonnen lokale Agrarprodukte angekauft und weiterverkauft, so Chen, was 50.000 Landwirten ein höheres Einkommen beschert habe. Es wurden zudem mehr als 800 Schulungen mit insgesamt mehr als 50.000 Teilnehmern abgehalten. Man unterzeichnete Kooperationsvereinbarungen mit 76 Genossenschaften, die es 3500 Menschen ermöglichten, eine Beschäftigung in ihrer Nachbarschaft zu finden. 146 landwirtschaftliche Haushalte sind heute Anteilseigner des Unternehmens. An sie flossen über die Jahre Gewinnbeteiligungen in Höhe von 1,4 Millionen Yuan.
Derzeit beschäftigt Jiangguoguo gut 400 Mitarbeiter, 360 davon gehören ethnischen Minderheiten an, also 90 Prozent der Belegschaft. Abdureim Kamili, ein aus Kashgar stammender Landwirt aus dem Kreis Shufu, ist Teamleiter der Abteilung für Lagerhaltung und Logistik. Nach seinem Schulabschluss hatte er zunächst in der Heimat Landwirtschaft betrieben, was ihm nur etwa 10.000 bis 20.000 Yuan pro Jahr einbrachte. Vor viereinhalb Jahren dann führte ihn ein Freund an die Arbeit bei Jiangguoguo heran. Aufgrund seiner hervorragenden Leistungen wurde er schon in seinem zweiten Jahr Anteilseigner des Unternehmens. Drei Jahre nach seinem Eintritt beförderte man ihn zum Leiter eines Teams von 18 Mitarbeitern. Heute hat er ein Monatseinkommen zwischen 4000 und 5000 Yuan, in der Hochsaison kann es auch schon mal auf 7000 bis 8000 Yuan anwachsen.
Auf die Frage, wie der neue Job, das Engagement des Unternehmens und die Anstrengungen der Regierung sein Leben in den letzten Jahren verändert haben, sagt Kamili: „Früher wohnte ich in meinem Heimatdorf. Mittlerweile habe ich zudem eine Wohnung in Kashgars Innenstadt und mir ein Auto angeschafft. Meine Tochter geht in der Stadt zur Schule. Mein Leben hat sich ganz klar verbessert!“
Einscheren auf den Weg zum Wohlstand
Auf dem Pamir-Plateau, in einer Höhe von mehr als 3300 Metern über dem Meeresspiegel, glitzern knapp 78.000 Photovoltaik-Module im Sonnenlicht, und dass, obwohl es bereits sechs Uhr abends ist. Was wir hier sehen, ist die erste von der Regierung eingerichtete Solarenergie-Anlage zur Armutsbekämpfung in Xinjiang – das Photovoltaik-Kraftwerk Shenzhen Energy Futa.
Das Kraftwerk mit einer Fläche von 42,3 Hektar befindet sich im Autonomen Kreis Tashkurgan der Tadschiken, der zur Präfektur Kashgar gehört. Mit einer durchschnittlichen Höhe von mehr als 4000 Metern ist der Landkreis reich an Lichtressourcen. Über 4400 Stunden im Jahr scheint hier die Sonne. Genau wegen dieser einzigartigen geografischen Lage investierten der Stadtbezirk Futian von Shenzhen (Provinz Guangdong) und die Shenzhen Energy Group im Jahr 2017 in den Bau des besagten Kraftwerks. Die Erlöse aus der Stromerzeugung fließen seither in die gezielte Bekämpfung der Armut vor Ort.
Das Solarkraftwerk Shenzhen Energy Futa liegt auf einer Höhe von über 3300 Metern. Es ist die erste Photovoltaik-Anlage zur Armutsbekämpfung in Xinjiang. (Foto: Wang Ran)
Laut Yan Yuzhi, dem Sicherheitsingenieur der Station, habe sich der Bau alles andere als einfach gestaltet. Der häufige Sauerstoffmangel der Höhenlage habe die Arbeiten merklich erschwert. Angesichts des langen Winters habe man zudem nur sechs Monate pro Jahr an der Anlage bauen können, so der Ingenieur. Trotz der widrigen Bedingungen konnte der Bau schließlich dennoch innerhalb nur eines Jahres abgeschlossen werden. Am 31. Mai 2018 ging das Kraftwerk offiziell ans Netz. Bislang habe die Anlage mehr als 200 Gigawattstunden Strom produziert, so Yan, mit einem Jahresdurchschnitt von 40 Gigawattstunden ohne Stromrationierung.
Nach dem derzeitigen Strompreis im Rahmen des Programms zur Armutsbekämpfung belaufen sich die durchschnittlichen Gewinne und Steuern, die jedes Jahr auf diese Weise erwirtschaftet werden, auf rund 10,23 Millionen Yuan. Der gesamte Bilanzgewinn wird seit der Inbetriebnahme an die Regierung übertragen, die ihn komplett zur gezielten Armutsbekämpfung nutzt. Den Verantwortlichen zufolge fließen die Gelder in lokale Fonds für Bildung, die medizinische Versorgung von Schwerstkranken und die Unterstützung armer Haushalte. Der gemeinnützige Betrieb soll 20 Jahre lang laufen. Ziel ist es, so mehr als 16.000 Menschen aus etwa 4000 Familien zu unterstützen.
Zudem trägt das Kraftwerk vor Ort auch einen kleinen Teil zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Derzeit zählt man neun Angestellte, zwei davon Einheimische. Xarwana Marwanjang ist eine der beiden heimischen Mitarbeiter. Im September 2020 engagierte man sie als Betriebs- und Wartungsingenieurin.
Der Einstieg in den Bereich neue Energien sei für sie anfangs eine große Herausforderung gewesen, erzählt sie, doch sie habe seither viel gelernt. Durch kontinuierliches Selbststudium und mithilfe von Mentoren und Schulungen hat sich die 27-Jährige ein beträchtliches Maß an Fachwissen angeeignet und meistert nun den täglichen Betrieb, Wartung, Inspektion und andere Aufgaben mit Bravour. Noch wichtiger aber sei, dass der Job die junge Ingenieurin sehr erfülle, wie sie sagt. „Ich empfinde die Arbeit hier als sehr sinnvoll, da ich durch meine Tätigkeit einen kleinen Beitrag zur Entwicklung meiner Heimatstadt leisten kann“, sagt sie. Das sei für sie das Größte.
*Wang Ran ist Reporterin bei www.china.com.cn.
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