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Pekingoper im Popgewand: Die 416 Girls Group auf Erfolgskurs |
Von Huang Yuhao · 2023-04-20 · Quelle:german.chinatoday.com.cn |
Stichwörter: Pekingoper | Druck |
Die Mitglieder der 416 Girls Group (von links nach rechts): Zhu Huan, Yang Xi, Bian Jingting, Cheng Xiaochen und Zhu Jiayin
Sie kommen aus verschiedenen Zipfeln Chinas und haben ganz unterschiedliche Hintergründe. Eines aber verbindet sie, nämlich die Zahl 416. Denn dies war die Nummer des Schlafsaals, der den fünf jungen Musikerinnen zugewiesen wurde, als sie sich als aufstrebende Sängerinnen an der Shanghaier Theaterakademie einschrieben. Heute trägt ihre Band diese Glückszahl im Namen. Die 416 Girls Group ist in China zu einer Gesangssensation geworden.
Doch der ungewöhnliche Bandname ist nicht das Einzige, was diese Girls Group besonders macht. Auch was den musikalischen Stil angeht, beschreiten die fünf Chinesinnen einen eher ungewöhnlichen Weg und setzen damit neue Maßstäbe. Denn sie interpretieren moderne Lieder im Stil der Pekingoper. Auf diese Weise haben die Trendsetterinnen der traditionellen Kunstform zu neuer Beliebtheit verholfen, insbesondere beim jungen Publikum.
Die Pekingoper hat lange historische Wurzeln und ein reiches Figurenrepertoire. Große Meister wie der Virtuose Mei Lanfang sind untrennbar mit der chinesischen Oper verbunden und haben sie einst einem breiten Publikum nähergebracht. Doch unter Chinas Jugend erlitt die Kunstform lange einen Popularitätsknick. Einer der Hauptgründe: wegen des stark stilisierten Gesangs ist meist nur schwer verständlich, was die Schauspieler singen. Doch wenn die 416 Girls Group ihre Popsongs im Opernstil schmettert, können die Fans jede Zeile mitsingen. Der selbst für die chinesische Popwelt exotische Stil der Girlband verleiht den Stücken einen exotischen Reiz. Die Musikclips, in denen die fünf jungen Musikerinnen Opern- und Pop-Elemente gekonnt kombinieren, gehen regelmäßig landesweit viral und ernten Millionen Klicks.
Auftakt: Die Band findet zusammen
Was Zhu Jiayins Lebensweg letztlich in den Schlafsaal 416 führte, war eine Aufführung, die sie sich mit neun Jahren angesehen hatte. Ihr Großvater hatte sie zu einer Aufführung von „Die betrunkene Konkubine“ mitgenommen, ein berühmtes Pekingoper-Stück um die Lieblingskonkubine eines Kaisers der Tang-Dynastie (618-907). Die Handlung ist rasch erklärt: Die Konkubine Yang Yuhuan, die den Kaiser bei einem Bankett erwartet, muss erfahren, dass dieser es vorgezogen hat, sich mit einer anderen Konkubine zu vergnügen. Vor Wut und Verzweiflung betrinkt sich die bildschöne Yang Yuhuan hemmungslos. Das Stück zeigt die große Verletzlichkeit der Nebenfrau, trotz ihrer großen Schönheit.
Fasziniert von Yangs Grazie und der gesamten Aufführung stand für die junge Zhu Jiayin mit einem Mal fest, dass sie Pekingopergesang erlernen wollte. Nach zweijährigem Proben trat das junge Mädchen in die Chinesische Opernschule ein, die der Shanghaier Theaterakademie angegliedert ist. Zu drei ihrer Mitschülerinnen entwickelte Zhu mit der Zeit eine enge Freundschaft. Daraus sollten ihre heutigen Bandkolleginnen werden.
Zhus Mitstreiterinnen kamen sogar noch früher mit der Pekingoper in Kontakt. Schon mit zarten fünf Jahren bekam Cheng Xiaochen mit, wie das Kind eines Verwandten den Operngesang erlernte. Sie war schnell Feuer und Flamme. Yang Xi begann im Alter von sechs Jahren mit dem Opernsingen, da ihre Eltern die Pekingoper liebten und glaubten, dass diese traditionelle Kunstform ein guter Begleiter auf dem Weg des Heranwachsens war, besser als regulärer Musik- oder Tanzunterricht. Bian Jingtings Großvater war hingegen ein großer Fan der klassischen westlichen Oper. Schon in ihren Kindertagen begann er, die kleine Bian im Operngesang zu unterrichten. Als sie an einem Wettbewerb teilnahm, fragte ein Lehrer sie, ob sie Interesse hätte, sich die Pekingoper anzueignen, die sich von der westlichen Oper deutlich unterschied. Bian zögerte nicht lange. Später schafften die vier talentierten Mädchen alle den Sprung an die Shanghaier Theaterakademie. Zhu Jiayin folgte krankheitsbedingt ein Jahr später als ihre Kommilitoninnen.
Das fünfte Bandmitglied, Zhu Huan, wechselte von einem Pekingoper-Club an einer anderen Schule an die Shanghai Theaterakademie und stieß so als letzte im Bunde dazu.
Zweiter Akt: Singen
Vielleicht gäbe es die 416 Girls Group gar nicht, wenn ihre Mitglieder nicht im heutigen digitalen Zeitalter leben würden. Für die Generation, die nach 2000 geboren wurde, sind die sozialen Medien aus dem Alltag nicht wegzudenken. Junge Künstlerinnen üben, singen, treten auf und laden dann Videoclips von ihrer Performance oder ihrem Training auf ihrem Social-Media-Profil hoch.
Im Jahr 2021, als Bian Jingting, Yang Xi, Cheng Xiaochen und Zhu Huan nach ihrer Abschlussvorstellung in ihr Wohnheimzimmer 416 zurückkehrten, sprudelten sie immer noch vor Energie und wollten ihr fabelhaftes Make-up nicht abnehmen. Also legten sie spontan eine improvisierte Show auf dem Treppenabsatz hin, sangen ein Lied und nahmen es auf. Kurz nachdem sie den Clip online gestellt hatten, ging er viral und wurde auf mehreren Plattformen ein Hit. Die Resonanz inspirierte die jungen Frauen. Rund fünf Monate später nahmen die Mädchen gemeinsam einen weiteren Song auf, der noch mehr Aufmerksamkeit erregen sollte. Schon bald wurden sie als 416 Girls Group bekannt und veröffentlichten weitere Videos. Das Internet wurde zu ihrer neuen Bühne.
Der Onlineerfolg veranlasste eine Musikfirma, sie unter Vertrag zu nehmen. Die Gruppe veröffentlichte daraufhin Originalsongs, die Texte aus der Pekingoper enthielten und die Merkmale der spezifischen Dan-Rolle jedes Mitglieds zur Geltung brachten. Dan nennt man die stilisierten Frauenrollen in der Pekingoper. Die Lieder der Girlband enthalten auch andere traditionelle Kulturelemente, wie zum Beispiel Shi'erfenghuajian, das die zwölf wesentlichen Elemente der chinesischen Kultur behandelt, sowie klassische Ausdrücke und Handgesten aus der Pekingoper. Manchmal sind die fünf jungen Musikerinnen in traditionelle Opernkostüme gehüllt und tragen entsprechend ein aufwendiges Make-up, manchmal tragen sie moderne Kleidung, je nach Rhythmus und Stil des jeweiligen Songs.
Was die Zuhörer am meisten beeindruckt, sind aber die exzellent ausgebildeten Stimmen aller Bandmitglieder. Weil jede der Frauen Dan-Rollen verschiedener Arten und unterschiedlicher Schulen studiert hat, schmettern sie ihre Zeilen in ganz unterschiedlichen Klangfarben. Sie beginnen viele ihrer Lieder im Stil der Pekingoper (auch Xiqiang genannt), wechseln dann zu ihren Originalstimmen und singen plötzlich wieder unisono in Xiqiang. Der Kontrast ist eine gelungene Melange aus Tradition und Moderne und weckt bei der Zuhörerschaft nostalgische Gefühle.
Die jungen Musikerinnen sehen ihre Popularität als Chance, der alten Kunstform eine Verjüngungskur zu verpassen, wie sie sagen. „Viele Leute erzählen uns, dass sie durch unsere Clips auf den Geschmack der Pekingoper gekommen sind“, sagt Bian Jingting, die Leiterin der Gruppe. „Einige bitten uns sogar, ihnen Opernstücke zu empfehlen, die auch etwas für Anfänger sind und die sich leicht einüben lassen.“ Wenn Bian live streamt, gibt sie oft Wissen über die Pekingoper weiter und bringt ihren Zuschauern sogar das Singen bei. Einige Follower trällern bei ihren Livestreams zuhause vor dem Bildschirm mit.
Nach ihrem Abschluss haben die fünf Sängerinnen verschiedene Stellen im Bereich der Pekingoper angetreten. Bian Jingting und Yang Xi sind bei der Jiangsu Performing Arts Group als Pekingoper-Darstellerinnen tätig und spielen hauptsächlich weibliche Charakterrollen höheren Alters (laodan) bzw. tugendhafte weibliche Rollen im jungen bis mittleren Alter (qingyi). Zhu Huan gehört dem Ji’nan Peking Opera Theater an und Zhu Jiayin ist Leadsängerin einer Shanghaier Folk-Band, mit der sie die „chemische Reaktion zwischen Pekingoper und Folk“ erforscht, wie sie sagt.
In Bühnenmontur: Die Opernband 416 Girls Group
Dritter Akt: Pekingoper vs. Opernpop
Es gibt aber auch kritische Stimmen, Leute, die bemängeln, dass die Lieder der Girls Group die traditionelle Pekingoper verfälschten und den Menschen so ein falsches Bild von der Oper vermittelten. Solche Kritik lässt die jungen Kreativen allerdings kalt. Die Gruppe betont, dass ihre Lieder nicht dem Anspruch authentischer Pekingoper-Stücke genügen wollten. Xiqiang sei etwas völlig anderes als die Pekingoper. Xiqiang sei mehr eine Art “Popera”, da die Stilform sowohl Pop- als auch Opernelemente enthalte. Viele Menschen entdeckten über Xiqiang überhaupt erst ihr Interesse an der Pekingoper, so die Gruppe. Die jungen Frauen sehen ihre Kunst daher als Brücke, die Chinas Jugend die Pekingoper näherbringt, und das in einer Zeit, in der die altehrwürdige Kunstform ohnehin dringend ein junges Publikum braucht.
Denn lange schien es, als sei die Pekingoper, eigentlich ein Inbegriff der chinesischen Kultur, aus der Mode gekommen. Laut Chinas Statistischem Jahrbuch 2021 zählten die Pekingoper und die Kunqu-Oper - eine der ältesten überlebenden Formen der chinesischen Oper, die während der Ming-Dynastie entwickelt wurde – in jenem Jahr nur noch knapp 160 Aufführungsstätten und rund 9000 Ausübende. Die rund 16.000 Vorstellungen im Jahr 2021 sahen weniger als zehn Millionen Zuschauer, von denen die meisten zudem aus ländlichen Gebieten stammten.
Will sich die alte Kunstform also in der Moderne behaupten, muss sie ein breiteres Publikum ansprechen, einschließlich junger Menschen, und nicht nur die Älteren auf dem Land oder ausländische Touristen auf der Suche nach fernöstlicher Exotik. Die einmal jährlich stattfindende Frühlingsfestgala sollte nicht die einzige große Bühne sein, auf der diese Kunstform weiterlebt.
In ihrer mehr als 200-jährigen Geschichte hat sich die Pekingoper mit der Zeit stets weiterentwickelt. Mei Lanfang war einer der berühmtesten Pekingoper-Stars der Neuzeit, der sich auf Frauenrollen spezialisiert hatte. Als er im letzten Jahrhundert „Die betrunkene Konkubine“ und andere Opernwerke umgestaltete, stieß er anfangs auf viel Kritik. Doch letztendlich verlieh seine Reform der Kunstgattung neuen Schwung. Die Lieder der 416 Girls Group mögen zwar streng genommen keine traditionellen Pekingoper-Stücke bilden. Doch geben die Songs der traditionellen Oper eine neue Richtung und locken so ein junges Publikum an. Viele Lieder, in denen Xiqiang vorkommt, sind in letzter Zeit in den sozialen Medien zum Trend geworden. Und das hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen über diese traditionelle Kunstform informieren. Es geht letztlich nicht darum, sich zwischen Oper und “Popera” zu entscheiden, sondern darum, wie letztere die Pekingoper fördern kann.
Überdies nutzt die 416 Girls Group ihre Musik auch, um andere Elemente der traditionellen chinesischen Kultur zu fördern. Und das wiederum verschafft dem Publikum ein besseres Verständnis für die von der Band erzählten Geschichten. Die Anreicherung der traditionellen Oper durch moderne Elemente ist ein plausibler Weg für die Entwicklung der Oper. In dem spannenden Historienstreifen Full River Red von Starregisseur Zhang Yimou, der in diesem Jahr ein Kassenschlager wurde, waren in der Hintergrundmusik teils Rock'n'Roll-Elemente verwoben mit traditionellen chinesischen Opernklängen zu vernehmen. Die Sequenz ging auf Douyin, dem chinesischen Pendant zu TikTok, viral.
Während Yang, der betrunkenen Konkubine, ein trauriges Schicksal beschieden ist, scheint die Zukunft der 416 Girls Group vielversprechend. Die fünf Künstlerinnen sind der Pekingoper tief verbunden und haben sich fest vorgenommen, sie einer Frischekur zu unterziehen und sie so wieder in Mode zu bringen. Ihre treuen Fans fiebern jedenfalls schon ihrem nächsten Auftritt entgegen, bei dem es wieder einen gelungenen Mix aus Tradition und Moderne geben wird.
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