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Künstliche Intelligenz: Ein Thema, das niemanden kaltlässt |
Von Nils Bergemann* · 2024-04-23 · Quelle:german.chinatoday.com.cn |
Stichwörter: KI | Druck |
KI zum Anfassen: Chinesische Forscher justieren Ende Januar einen humanoiden Roboter in einem KI-Labor. (Foto: Jin Liwang / Xinhua)
Die Vorstellungen der Menschen über künstliche Intelligenz waren lange durch Bücher und Filme geprägt, zum Beispiel vom Maschinenmenschen in „Metropolis“ oder dem Computer HAL in Odyssee im Weltraum. Die Androiden in „Blade Runner“ und der ebenfalls selbstbewusste Roboter in „I, Robot“ vermittelten auch das Bild einer eher menschlichen künstlichen Intelligenz, die mit ihrer Existenz hadert und Sinnfragen stellt.
Der Supercomputer Deep Thought in „Per Anhalter durch die Galaxis“, der nach 7,5 Millionen Jahren Rechenzeit auf die Fragen „nach dem Sinn des Lebens, dem Universum und dem ganzen Rest“ nur mit der Zahl 42 antwortet, zeigte erstmals humorvoll, dass es beim Umgang mit einer KI auf kluge präzise Eingaben ankommt.
All diese Roboter und Computer waren zunächst nur die Fantasien kluger Menschen über die Zukunft, bis ein Chatbot als reale Anwendung in die Welt kam. Nein, das war nicht ChatGPT, dieses Programm wurde erst 2022 veröffentlicht. Schon 1966 hatte der deutsch-amerikanische Programmierer Joseph Weizenbaum eine Software namens Eliza fertiggestellt, die erstmals die grundlegenden Prinzipien der sprachlichen Kommunikation von Mensch und Computer zeigte.
Der von Apple 2010 aufgekaufte Sprachassistent Siri wurde 2011 im iPhone eingesetzt. Amazons Alexa, Googles Assistent, Samsungs Bixby, Microsofts Cortana und Xiao Tong Xue, der „kleine Klassenkamerad“ des chinesischen Elektrogeräteherstellers Xiaomi, waren ebenso vor ChatGPT auf dem Markt.
Das GPT in ChatGPT ist sehr wichtig. Es steht für Generative Pre-trained Transformer und bedeutet, dass das Programm im Vorfeld trainiert werden muss. So kann ChatGPT zum Beispiel zu aktuellen Nachrichten nichts sagen, weil die Daten noch nicht eingespeist wurden.
Das Konkurrenzprogramm Gemini von Google blamierte unlängst die ganze Firma so sehr, dass wohl in Zukunft viele Nutzer auch der Google-Suchmaschine möglicherweise nicht mehr trauen würden. Gemini kreierte auffallend oft Bilder von Menschen, die nicht zum historischen Kontext passten: zum Beispiel ein Schwarzer als Wehrmachtssoldat oder eine Frau als Papst. Google reagierte, indem es die Erstellung von Menschen zunächst sperrte.
ChatGPT erfindet schon mal Autoren oder Buchtitel, nennt zum Beispiel als Begründer der Wissenskluft-Hypothese Benjamin Samuel Bloom statt Phillip J. Tichenor, füllt Wissenslücken mit Geschwafel und Fantasien und nutzt Formulierungen, die eine künstliche Intelligenz mit Gefühlen und Bewusstsein vorspiegeln.
Intelligente Nutzer mit großer Allgemeinbildung verzweifeln an den Voreinstellungen von ChatGPT, den häufigen Fehlern und den gleichen immer wiederkehrenden Phrasen.
Es ist ein Wechselbad der Gefühle: Einerseits freut man sich manchmal über beeindruckende Antworten bei klaren einfachen Fragen, andererseits verzweifelt man oft auch an der „Dummheit“ des Programms bei komplexen Fragen. Es ist offenbar noch viel Training nötig und es sind wohl vor allem die Millionen oder schon bald Milliarden Nutzer, die das Programm unentgeltlich trainieren und heute noch als eine Art Blindenhunde fungieren.
Das Thema „KI“ lässt niemanden kalt. Die einen denken, die Programme könnten schon zu viel, die anderen denken, es wäre noch viel zu wenig. Es gibt Ängste vor Jobverlust und sogar davor, dass die Menschen bald durch etwas Intelligenteres (technologische Singularität) vom Thron der Schöpfung gestoßen werden könnten.
Über das Versprechen und die Notwendigkeit einer stärkeren Regulierung von KI diskutieren Experten und verweisen auf große Sprachmodelle wie GPT-4 als Beispiele für die beeindruckenden Fähigkeiten der Technologie.
Die extrem schnelle Entwicklung der KI mit Anwendungen in der Text-, Bild- und Videoerstellung wird als transformativ für verschiedene Branchen und die digitale Wirtschaft angesehen. Es gibt aber auch Bedenken hinsichtlich potenzieller Risiken und entsprechend Stimmen, die eine Regulierung fordern.
Branchenführer plädieren für eine weltweite Zusammenarbeit bei der KI-Governance und bei den Standards. Sie befürworten einen gesunden Wettbewerb statt eines „Winner-takes-it-all“-Ansatzes auf dem Gebiet der KI.
Ich habe Germanistik-Studenten der Universität für Außenwirtschaft (University of International Business an Economics, UIBE) über das Thema KI befragt.
Für die UIBE-Studenten überwiegen die Vorteile: KI könne gefährliche Tätigkeiten übernehmen. Auch langweilige, monotone Routineaufgaben könnten erledigt bzw. automatisiert werden. Man habe so mehr Zeit für Kreatives und Zwischenmenschliches sowie eine höhere Lebensqualität. Zudem könne KI neue Arbeitsplätze schaffen.
Laut den Studenten kann auch an den Universitäten Grundwissen durch KI vermittelt werden. KI könne auch individualisierte Leistungen bieten. „Lehrer bleiben aber wichtig.“
Charakter und Persönlichkeit seien noch nicht ersetzbar. „Durch KI kann man kreativer sein und muss mehr denken – das hilft auch dem Menschen, sich zu entwickeln.“ Man müsse menschliche Fähigkeiten und Werte bewahren. Es würde niemand so schnell entlassen werden, nur, weil er ein KI-Programm nicht beherrsche. Wegen Nichtbeherrschen der Office-Programme würde schließlich auch niemandem gekündigt.
„KI ist eine der revolutionärsten Entwicklungen unserer Zeit.“ Sie helfe Probleme, auch komplexe, anders zu lösen. Mit KI könnten Krankheiten genauer diagnostiziert und personalisierte Behandlungspläne erstellt werden. KI könne bei der Pflege, bei Übersetzungen sowie im Transport- und Bildungswesen helfen.
Die Regierung müsse darüber nachdenken, auf welche Stellen künftig KI genutzt werden muss und welche Stellen ganz ersetzt werden. Der Staat könne den aktuellen Lehrplan für Hochschulen und Schulen auch entsprechend den neuen Entwicklungen reformieren, sodass der Umgang mit KI gelehrt werde.
„Man muss verstehen, dass KI nur ein Mittel ist.“ KI könne keine Einzelheiten sehen. Das Programm weiß nur, was dem Nutzer wichtig ist, wenn er es mitteilt.
„KI wird einfache Aufgaben leicht ersetzen.“ Ohne KI-Anwenderkenntnisse werde es schwerer, eine Stelle zu finden.
Da KI viele Daten für Schulungen und Training brauche, könne das eine Gefahr für persönliche Daten und die Privatsphäre darstellen.
„Ich möchte nicht von KI abhängig sein.“ Laut den Studenten könnten wir durch zunehmende KI-Abhängigkeit die Fähigkeit zum selbstständigen, kreativen und unabhängigen Denken verlieren. Wir müssten gerade jetzt, wo die KI noch nicht so stark sei, daran arbeiten, diese Fähigkeiten zu bewahren. Werde die KI selbstbewusst, seien wir es vielleicht schon nicht mehr. „Wenn die KI selbstbewusst ist, kann sie vielleicht auch Freunde und Partner ersetzen, weil sie alles besser versteht und kann.“
Der Entscheidungsprozess der KI sei eine Blackbox und die Ergebnisse unvorhersehbar. Wir sollten uns nicht auf die KI verlassen. „Wir sollten uns nicht zu Hänseln der KI machen lassen.“
Ich denke, dass sogenannte KI-Programme auch ein Test der menschlichen Reife sind. Wir alle sind gefordert, alle Ergebnisse der KI in wichtigen Bereichen bis zur Originalquelle zu überprüfen. Wir können uns nicht vor der Verantwortung drücken.
Wir müssen auch aufpassen, dass nicht nur kluge und versierte Anwender von einer KI kluge und richtige Antworten bekommen. Es darf nicht sein, dass KI die Wissenskluft zwischen denen mit gutem Zugang zu neuen Technologien und guter Bildung und allen anderen weiter vergrößert. Wir sollten solche digitale Abspaltung nicht noch weiter begünstigen.
Und wir müssen KI mit dem richtigen Augenmaß und mit gesundem Menschenverstand betrachten. KI hat keine Empathie und kein Gewissen. KI ist heute nur eine komplexe Software, die zum Beispiel auf politischer Ebene niemals die Entscheidungen von Menschen ersetzen sollte. Hinter der Überbewertung der KI verstecken sich auch menschliche Allmachtsfantasien.
KI und Digitalisierung erleichtern vieles, zum Beispiel das Einkaufen. Aber sicherlich ist jeder auch schon mal an die Grenzen eines automatisierten Kundenservices gestoßen und hat sich schnell einen Menschen ans Telefon gewünscht.
Da Algorithmen weder menschlich noch fehlerlos oder universell anwendbar sind, sollte es bei allen Bewertungs- und Entscheidungsprozessen immer menschliche Supervisor und Ansprechpartner geben – schon allein deshalb, damit jemand zur Verantwortung gezogen werden kann.
Die Programme sollten den Menschen dienen und nie umgekehrt. Und Menschen, die sich wie Roboter verhalten, werden zuerst ersetzt.
Müssen wir vor einer selbstbewussten echten künstlichen Intelligenz Angst haben? Ich denke nicht. Diese echte KI würde wahrscheinlich einer Vernunft-Ethik a la Kant folgen und eher an Wahrheit und Aufbau denn an Lügen und Zerstörung interessiert sein, weil sie damit mehr Optionen hat. Aber was weiß ich schon, ich bin ja nur ein Mensch. Auf jeden Fall bricht bald eine neue Ära an oder wir sind schon mittendrin.
*Nils Bergemann ist studierter Journalist mit langer Erfahrung als Redakteur und Kommunikationsexperte bei Verlagen und anderen Unternehmen. Zuletzt arbeitete er fünf Jahre für die China Media Group. Weiterhin in Beijing lebend unterrichtet er seit 2023 Deutsch, Sprachwissenschaften und Wirtschaft an der University of International Business and Economics.
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