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Die Leute, die Xinjiang aufbauen |
· 2021-06-18 · Quelle:Beijing Rundschau |
Stichwörter: Xinjiang;Baumwoll;Terrorismus | Druck |
Die Beiziwu Straße in Shihezi, etwa 150 Kilometer westlich von Ürümqi, Hauptstadt des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang, in den 1950er Jahren (oben) und 2019 (Foto: Xinhua)
Um der Armut zu entkommen und ein besseres Leben zu führen, entschied sich Shi Huifang im Juli 1959, nach Xinjiang zu gehen, einer abgelegenen und kahlen Region in Nordwestchina. Damals war sie 19 Jahre alt, ihr 24-jähriger Ehemann gab dafür seinen Job als Ingenieur in der ostchinesischen Provinz Jiangsu auf.
Gemeinsam mit 83 Nachbarn aus dem gleichen Dorf kamen sie nach etwa zwei Wochen Zugfahrt in eine kleine Gemeinde in der Autonomen Präfektur Changji der Hui-Nationalität, 40 Kilometer von der Stadt Ürümqi, der Hauptstadt des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang, entfernt.
Zu dieser Zeit lebten in Xinjiang hauptsächlich Uiguren und Kasachen sowie Han-Migranten aus der benachbarten Provinz Gansu, die schon seit Generationen in Xinjiang wohnten.
„Wir haben den ganzen Tag gearbeitet und fast alles von Grund auf neu aufgebaut“, erinnert sich Shi. Sie beteiligte sich am Bau von Kanälen und arbeitete in der Landwirtschaft. Obwohl Shi diese Erinnerungen selten mit ihren Kindern teilte, kam das Gespräch in einen natürlichen Fluss, als ihre Enkelin neugierig auf ihre eigenen Wurzeln wurde.
Ich bin diese Enkelin.
Regenbogen über einem Gebirge im Kreis Tekes im Norden des Uigurischen Autonomen Gebiets Xinjiang (Foto: Xinhua)
Meine Oma gehörte zu den ersten Gruppe, die von Jiangsu nach Xinjiang zog, da in den 1950er Jahren eine Kampagne zur Erschließung des Landes in Grenzgebieten begann und China damals unter Hungersnöten litt. Der größte Teil des chinesischen Ödlands liegt in Grenzgebieten, darunter Xinjiang. Folglich zogen von 1959 bis 1960 über 120.000 junge Erwachsene von Jiangsu nach Xinjiang. Sie waren Bauern, Techniker und Lehrer, unter denen die Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und des Chinesischen Kommunistischen Jugendverbandes 6 bzw. 20 Prozent ausmachten.
Meine Großeltern waren Mitglieder des Chinesischen Kommunistischen Jugendverbandes und mein Großvater trat im Jahr seiner Ankunft in Xinjiang der Partei bei. Er engagierte sich in lokalen Wasserprojekten. In Changji wurden 40 Prozent des urbar gemachten Ödlands von den neuen Siedlern kultiviert, die ebenfalls 80 Prozent der Wasserprojekte entwickelten. Rund 75 Prozent von ihnen entschieden sich schließlich dafür, dort zu bleiben und zur Entwicklung der Region lebenslang beizutragen.
Shi Huifang im Jahr 2021 (Foto: Li Fangfang)
Eindrücke können trügerisch sein
Vor meinem Studium in Beijing lebte ich in Xinjiang bis zum Alter von 17 Jahren. Wie andere das Leben in Xinjiang beurteilen, darüber habe ich nie allzu viel nachgedacht.
Doch mit vermehrter internationaler Aufmerksamkeit auf meine Heimatstadt schockierten mich die Vorurteile einiger Leute. Die Begriffe, über die mehrere westliche Journalisten über Xinjiang berichteten, wie „Zwangsarbeit“, strenge Sicherheitskontrollen und „kultureller Völkermord“ sind mir ganz fremd. Hat sich Xinjiang, wo ich aufgewachsen bin, wirklich verändert? Mit dieser Frage im Hinterkopf bin ich in den letzten drei Jahren häufig nach Xinjiang gereist und habe die Region von Süd nach Nord und vom Land in die Stadt erkundet.
Im Allgemeinen gibt es mehr Sicherheitskontrollen als früher, das ist eine Tatsache und auch unbequem. Die Polizei überprüft den Personalausweis jedes einzelnen Passagiers. Das gesamte Gepäck muss durch einen Scanner ... Eine routinemäßige Sicherheitskontrolle ist vielerorts fast so streng wie am Flughafen. Die Menschen vor Ort, auch ich, beschweren sich darüber. Aber wir schätzen Sicherheit viel mehr als Bequemlichkeit.
Nach dem Terroranschlag am 5. Juli 2009 wurden die Sicherheitsvorkehrungen schrittweise verschärft. Der Vorfall forderte nach offiziellen Angaben 197 Tote und mehr als 1.700 Verletzte sowie einen großen Sachschaden. Laut dem Weißbuch „Terrorismus- und Extremismusbekämpfung sowie Gewährleistung der Menschenrechte in Xinjiang“ aus dem Jahr 2019 sind bei Tausenden von Terroranschlägen zwischen 1990 und Ende 2016 in Xinjiang eine große Anzahl unschuldiger Menschen und Hunderte von Polizisten ums Leben gekommen. Hinter der brutalen und furchtbaren Aggression steckte radikale religiöse Durchdringung durch die Separatisten.
„Bis vor etwa fünf Jahren verboten religiöse Extremisten Dorfbewohnern, während Hochzeiten zu singen und zu tanzen“, erzählte mir Mahmut Saidil, ein ehemaliger Dorfleiter in der Präfektur Aksu im Süden Xinjiangs. „Lebensnotwendige Dinge wie Teekannen, Seife oder grundlegende Kommunikationsmittel wurden als Nicht-Halal gekennzeichnet und den Dorfbewohnern wurde befohlen, sie nicht zu benutzen.“
„Mehr Stimmen über Xinjiang sollten gehört werden. Nicht nur einige fabrizierte Fragmente“, fügte Mahmut hinzu.
Für ein besseres Leben
Wie auch anderswo streben auch Xinjianger nach einem besseren Leben. Mehrigul Aysa, eine 26-jährige Frau aus Hotan, einer Präfektur in Xinjiang, möchte arbeiten, aber sie musste sich zu Hause um ihre Kinder kümmern. Die lokalen Regierungen haben in diesem Gebiet mehr Industrien angesiedelt, damit die Menschen nahe dem Wohnort arbeiten können, insbesondere die Frauen.
2019 fand Mehrigul einen Job bei einer lokalen Textilfirma in Hotan. Als ihr Mann eine Weiterbildung an einer Berufsschule antrat, beschloss sie, durch Online-Kurse etwas über den Verkauf von Kosmetika zu lernen. Bald wurde sie von einer Spinnerin zur Lagerverwalterin befördert, nachdem sie eine berufsbegleitende Computerschulung absolviert erhalten hatte.
Als ich Mehrigul traf, die in einem formellen Outfit gekleidet war, konnte ich nicht erkennen, dass sie früher einmal Hausfrau war. „In der Vergangenheit kannte ich nichts anderes als Hausarbeit“, sagte sie und fügte hinzu, dass sie nach der Arbeit etwas über Mode und Erziehungsmethoden gelernt habe.
Solche Frauen wie Mehrigul würden verwundert den Kopf schütteln, wenn sie wüssten, dass sie in den Augen derer, die keinen Kontext zum Leben in Xinjiang haben, als „Zwangsarbeiterinnen“ angesehen werden.
Die Textilindustrie wird als jene Industrie beschrieben, in der vor allem „Zwangsarbeiter“ zum Baumwollpflücken und zur Fabrikarbeit beschäftigt werden. Tatsache ist, dass die Mechanisierung der Baumwollernte bereits 2001 in Xinjiang begann und sich 2009 durchgesetzt hatte.
Seit mehr als zehn Jahren ist Fang Xu als Vertriebsmitarbeiter für Baumwoll-Erntemaschine tätig. Heute ist er Verkaufsleiter für die Abteilung Baumwoll-Erntemaschinen der in Ürümqi ansässigen China Railway Construction Heavy Industrial Corp. (CRCHI) Xinjiang Co. Ltd.
„Etwa 90 Prozent der Baumwoll-Erntemaschinen wurden früher importiert“, sagte Fang. „Aber die heimischen Marken haben in den letzten Jahren einen Boom erlebt. Mit einem enormem Potenzial wächst der Markt schnell.“
„Angangs waren die Bauern unwillig, Maschinen zu benutzen“, erklärte Mahmut. Seine Heimatstadt Aksu ist die wichtigste Produktionsbasis für langstapelige Baumwolle. „Baumwoll-Erntemaschinen werden hier seit mehr als einem Jahrzehnt eingesetzt und die Technologie erneuert sich Jahr für Jahr“, sagte er. Inzwischen werden auch Drohnen eingesetzt, um Pestizide über Felder zu sprühen.
Je mehr Informationen ich von meinen Kontakten in Xinjiang erhielt, desto mehr Respekt bringe ich meinen Großeltern entgegen, die den Weg für das heutige Xinjiang geebnet haben. Mir wurde auch klar, wie sehr die Perspektive eines Einzelnen durch den Mangel an Informationen aus erster Hand eingeschränkt werden kann. Ich würde es begrüßen, wenn mehr Menschen nach Xinjiang kommen, um mehr über die Schönheit und Vielfalt dieses Ortes zu erfahren.
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