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Auf ein Schläfchen zu Ikea

Von Maike Schulte  ·   2015-09-10  ·  Quelle:Beijing Rundschau
Stichwörter: Ikea
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  18 Einrichtungshäuser des in Schweden gegründeten Möbelkonzerns gibt es mittlerweile in China, zwei davon in Beijing. Das Unternehmen expandiert rasant. Doch offenbar ist es nicht nur das skandinavische Möbeldesign, das die chinesischen Kunden in die Geschäfte lockt. 

 

Normale Anblicke bei Ikea in Beijing: Lockere Gesprächsrunde auf dem Sofa (li.). Wenn der Schlaf ruft, tut es zur Not auch ein Kinderbett (re.). (Fotos: Maike Schulte) 

Auf den ersten Blick ist alles wie gehabt: In den beiden Ikea-Filialen im Nordosten und Südwesten der chinesischen Hauptstadt türmen sich die bekannten Kieferkreationen „Billy" und „Ivar", daran vorbei schieben sich die Kunden. Doch eins ist anders in Beijing: Die ausgestellten Möbel werden nicht nur kritisch in Augenschein genommen, sondern gleich einem ausführlichen Praxistest unterzogen, das Möbelhaus zum vorübergehenden Zweitwohnsitz. Da döst ein Pärchen im Bett, schnarcht ein Senior im Sessel und ganze Grüppchen haben es sich zum Plaudern auf Sofas bequem gemacht.

Sonntagnachmittag in Siyuanqiao im Nordosten Beijings. Hier befindet sich der ältere, 1999 eröffnete Hauptstadt-Ableger des 1943 gegründeten Möbelunternehmens. Wie überall auf der Welt ist der gelbe Schriftzug auf blauem Grund schon von weitem sichtbar, und eine ansehnliche Menge künftiger Kunden strömt auf die große Ikea-Halle zu. Auffallend viele junge Pärchen mit kleinen Kindern sind darunter, die Mission heißt ganz offensichtlich Nestbau oder -verschönerung. Mit Einkaufslisten, ausgedruckten Wohnungsgrundrissen und zum Taschenrechner umfunktionierten Handys schweben sie auf mehreren Rolltreppen in das Labyrinth der Ausstellungshallen.   

Schwedenmöbel sind hip 

1998 eröffnete Ikea seine erste chinesische Filiale in Shanghai, bis heute sind 17 weitere Geschäfte mit insgesamt 7000 Mitarbeitern aus dem Boden geschossen. Kiefernholzmöbel und schlichtes Design sind vor allem bei der wachsenden Mittelschicht beliebt, obwohl die Preise teilweise höher sind als in Deutschland. So kostet Kleiderschrank „Hemnes" in China 2999 Yuan (428 Euro), in Deutschland dagegen nur 299 Euro, für Bett „Malm" müssen chinesische Kunden 2599 Yuan (371 Euro) hinblättern, deutsche nur 299 Euro. „Chinesen finden es toll, sich bei Ikea einzurichten, weil es eine Marke aus dem Westen ist ", erklärt eine Kollegin, „Das gilt als etwas Besonderes, obwohl die Qualität in Wirklichkeit nicht überdurchschnittlich ist", meint sie.

In Beijing kommen Medienberichten zufolge jeden Tag fast 30.000 Menschen zu Ikea, am Wochenende sind es nochmals deutlich mehr. Beide Filialen sind gut an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden, eine leichte Erreichbarkeit gehört zur Firmenpolitik in China. Und beide Läden haben sich mit langen Öffnungszeiten (Siyuanqiao: bis 23 Uhr, Xihongmen: bis 22 Uhr) auf den Kundenansturm eingestellt. Bei Kräften und Laune gehalten werden sie auch durch die stets gut besuchten Restaurants mit ihrem weltweit verlässlichen Angebot an Köttbullar und Kartoffelpüree, die man nach einem Marathon durch die Möbelhallen tatsächlich gut gebrauchen kann.

Denn das Prinzip der weltweit 315 Läden ist immer gleich: Bevor sich die Kunden Sofa „Kivik" oder Kleiderschrank „Pax" im der Warenhalle auf ihren Einkaufswagen hieven können, müssen sie durch die Hallen der „Versuchungen", Abkürzung ausgeschlossen. Auf dem langen Weg durch die Ausstellungsräume mit Küchen-, Wohnzimmer- oder Badezimmermöbeln locken an jeder Ecke Kisten mit Sonderangeboten. Ein Kissen für 40 Yuan? Gläser für 14 Yuan? Wie billig, wie praktisch, her damit. Kein Wunder, dass viele schon vor Ankunft in den Einkaufshallen diverse prall gefüllte gelbe Einkaufstüten mit sich herumschleppen.

Kein Wunder auch, dass es abgekämpfte Kunden gegen Ende ihrer Besichtigungstour nach Entspannung in der Waagerechten gelüstet. Da kommt die angenehm klimatisierte Schlafzimmerabteilung gerade recht und einladende Matratzen, kuschelige Bettdecken, Sofas und Sessel werden vor allem in der Filiale Xihongmen im Süden der Stadt als Erholungsoase gern und ausgiebig in Anspruch genommen. Erschöpfte Schwiegereltern machen genauso ein Schläfchen wie Babys, andere lümmeln sich in Socken auf Sofas ganz wie daheim, spielen auf ihren Smartphones oder posieren für ein Selfie vor einer skandinavischen Küche. Und immer wieder huschen gelb-blau-gekleidete Angestellte durch das gigantische „Schlafzimmer", um Laken glattzustreichen, Bettdecken zu richten und Kissen in Form zu bringen. Eine echte Sisyphusarbeit.

 

Shoppingpause: Schuhe aus und rauf aufs Sofa (li.). Von Müdigkeit übermannt, sind diese beiden offenbar in Tiefschlaf verfallen (re.).  

Schlafen für ein „besseres Shoppingerlebnis" 

Anfang April dieses Jahres hatte der Möbelgigant offenbar die Nase voll davon. Chinesische Medien berichteten von einer neuen Regelung, die es Kunden künftig verbieten sollte, in den Ausstellungshallen zu schlafen oder auf den Sofas zu entspannen. Nur vier Tage später dementierte Ikea die Meldungen jedoch. Auf eine aktuelle Nachfrage erklärte die für Beijing zuständige Unternehmenssprecherin Amanda Wang: "Ikea ermuntert seine Kunden, Einrichtungsgegenstände zu berühren und auszuprobieren." Das Unternehmen wolle ein angenehmes Umfeld für ein besseres Shoppingerlebnis schaffen. Verhaltensweisen, die andere Kunden beeinträchtigen, werde man jedoch höflich unterbinden, hieß es weiter in PR-Sprache.

Angesichts des Geschäftserfolgs in China erscheint diese Reaktion nur allzu logisch. Laut Geschäftsbericht für das Jahr 2014 strömten 20 Millionen Kunden in die chinesischen Filialen des Möbelhauses, sie spülten Einnahmen von rund 1,2 Milliarden Euro (8,8 Milliarden RMB, weltweiter Gesamtumsatz: 28,7 Milliarden Euro) in die Kassen, ein dickes Plus von jeweils 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. China zählt damit zu den am schnellsten wachsenden Märkten des Möbelkonzerns.

Warum sich aber Chinesen offenbar mit allergrößter Selbstverständlichkeit auch in Möbeln, die ihnen nicht gehören, ganz wie zu Hause fühlen, bleibt ungeklärt. Dass Einrichtungshäuser zu einer Art Erholungsoase und temporärem Schlafzimmer umfunktioniert werden, ist kein reines Ikea-Phänomen, sondern lässt sich auch in anderen Möbelgeschäften beobachten. Unternehmenssprecherin Wang enthielt sich diplomatisch einer Antwort. Chinesische Bekannte machten mangelnde Bildung für das ungenierte Benehmen verantwortlich. Was die besondere Spezies des chinesischen Kunden aber im tiefsten Inneren zu ihrem Verhalten treibt, wäre wirklich mal eine Studie wert.

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Adresse: BEIJING RUNDSCHAU Baiwanzhuanglu 24, 100037 Beijing, Volksrepublik China


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