24-10-2012
Mo Yan und seine literarische Welt
Weltweite Anerkennung

Obwohl der Wert eines Schriftstellers nicht durch den Nobelpreis gemessen werden kann, verleiht die Auszeichnung den Preisträgern doch zusätzlichen Glanz. Mo Yan hat schon viele nationale wie internationale Preise eingeheimst. Die neuerliche Preisverleihung dürfte jedoch auch für ihn ein aufregender und ganz besonderer Moment sein.

2005 erhielt Mo den 30. italienischen MONINO-Preis für Weltliteratur. In der Glückwunschansprache hieß es, Mos Werke seien tief verwurzelt in der uralten chinesischen Zivilisation und erschufen einen schier grenzenlosen, reichen und dichten Raum für Phantasie. Seine Gedanken zum literarischen Schaffen seien neu und einzigartig. Mit seiner lebendigen und doch sanften Sprache schaffe Mo einen großen „Schmelztiegel" der chinesischen Literatur. Er schildere tragische Geschichten und Kriege der neueren Geschichte Chinas und spiegele voller Liebe, Schmerz und Solidarität das Leben wider.

Der Charme von Werken Mo Yans und anderer chinesischer Schriftsteller wird nicht selten durch die Übersetzung in andere Sprachen beeinträchtigt. Das liegt vor allem an den großen Unterschieden zwischen der chinesischen und anderen Sprachen. Mo Yan habe über lange Jahre die Sprache des einfachen Volkes studiert und so wertvollen Stoff für seine Werke gesammelt, sagen Experten. Auf diese Weise habe er seinen ganz eigenen Sprachstil entwickelt. Mo selbst sagt, der Leser müsse seine Bücher auch „mit den Ohren" lesen. In einem Kommentar der Lianhe Zaobao, einer der wichtigsten Zeitungen Singapurs, vom 9. Oktober dieses Jahres heißt es: „Wenn chinesische Werke in Buchstabenschrift übersetzt werden, wird ihr künstlerisches Niveau bestimmt gesenkt, sie werden in gewissem Maße degradiert. Chinesen brauchen Werken, die in Buchstabenschriften verfasst und mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurden, keine besondere Aufmerksamkeit zu schenken, da sich der schöne, reiche und tief schürfende Gehalt chinesischer Werke nicht mit diesen Schriften ausdrücken lässt."

Dass Mo Yan der Welt seine Werke präsentieren kann und letztlich mit dem Nobelpreis geehrt wurde, ist nicht zuletzt dem besonderen Beitrag von Übersetzern weltweit zu verdanken. Einige Internetnutzer sind sogar der Auffassung, dass Mo Yans Erfolg mit fast untrennbar mit dem Namen Anna Gustaffsson-Chen verbunden sei, die Mos Werke ins Schwedische übertrug. Mo Yan selbst sprach der Übersetzerin am 27. August in seinem Mikroblog seinen persönlichen Dank aus. Seine drei vor kurzem in Schweden erschienen Werke waren allesamt von Gustaffsson-Chen ins Schwedische übertragen worden. Gustaffsson-Chen widmet sich in Schweden der Übersetzung moderner chinesischer Literatur.

Jonathan D. Spence, bekannter Sinologe und Professor für Geschichte an der Yale University, lobte Howard Goldblatts Übersetzungen von Mo Yans Werken ins Englische als „flüssig und ungekünstelt". Goldblatt übersetzte insgesamt zehn Titel des Schriftstellers. Der amerikanische Übersetzungsmeister ist tatsächlich ein wichtiger Förderer Mo Yans, der dem chinesischen Schriftsteller half, seine Werke der Welt zu präsentieren. Er gilt als Weltklasse-Übersetzer für moderne chinesische Literatur und brachte Mos Werke jahrzehntlang einer englischsprachigen Leserschaft näher.

Im Zuge der Übersetzung habe er selbst seine Liebe für Mo Yans Werke entdeckt, so Goldblatt. In einem Interview verglich er Mos Werke mit denen von Charles Dickens. „Beide Schriftsteller decken ein großes Themenspektrum ab, es gibt mutige Helden, der Stil ist äußerst elegant, wundersam und kraftvoll; sie besitzen eine intuitive Fähigkeit, die Gesellschaft zu erkennen und verbreiten Gedanken zur Moral."

2001 erhielt Noël Dutrait, der Übersetzter von Mos Werk „Die Republik des Weines" ins Französische gemeinsam mit dem Autor den Lure Bataillin-Preis für das beste ausländische literarische Werk sowie zusätzlich die Legio d'Honneur.

„Wenn es an hervorragenden Übersetzern, die fähig sind, die Werke chinesischer Schriftsteller in andere Sprachen zu übertragen, mangelt, beeinträchtigt das ganz eindeutig die Verbreitung und den Einfluss chinesischer Literatur im Ausland", sagt Tai Wuchang, Direktor des Forschungsinstituts für zeitgenössische Dichtung und Professor des Instituts für Literaturwissenschaft im heutigen China an der Beijinger Pädagogischen Universität. „Jahrzehntlang wurden viele ausländische Werke ins Chinesische übertragen. Nun ist es an der Zeit, dass wir mehr hoch qualifizierte Übersetzer ausbilden und noch mehr ausgezeichnete ausländische Sinologen suchen, die in der Lage sind, chinesische Werke in andere Sprachen zu übersetzen."

Mo Yan verriet, dass er erst im Jahr 1985, als er gerade den dritten Band des fünfbändigen Werks „Das rote Kornfeld" vollendet hatte, den Roman „One Hundred Years of Solitude" von Cabriel Gárcía Márquez las. „Ich bedauere, dass ich diesen Roman erst so spät gelesen habe, unter seinem Einfluss hätte mein Werk sicher anders ausgesehen."

Mo Yan gilt als einziger chinesischer Schriftsteller, der einen ähnlichen Schreibstil pflegt wie Márquez, der bereits vor 30 Jahren (1982) mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde. Mo Yan verbinde Realität mit Phantasie, Geschichte und Gesellschaft, erklärte die Jury der Swedish Academy bei der Bekanntgabe des Auswahlergebnisses. Die von Mo Yan geschilderte Welt erinnere an eine Verschmelzung der Werke Márquez und William Faulkners und ihr Ausgangspunkt liege in der traditionellen chinesischen Literatur sowie mündlich überlieferten Volkserzählungen.

„Wie andere zeitgenössische Schriftsteller werde auch ich heute zweifelsohne durch westliche Literatur beeinflusst. Vor den 1980er Jahren war China von der Welt abgekapselt und wir wussten nicht, welche Veränderungen die westliche Literatur durchlief, welche Schriftsteller hervortraten und welche großen Werke erschienen", erinnert sich Mo. „Nach Einführung der Reform und Öffnung wurden dann zahlreiche westliche Werke ins Chinesische übersetzt. Innerhalb nur weniger Jahre verschlungen wir westliche Werke regelrecht. Das hat natürlich seine Spuren hinterlassen und wir übertrugen die Schaffensart ausländischer Schriftsteller unbewusst auf unser eigenes Wirken."