Die von wechselnden Experten angebotenen Themenführungen
orientieren sich an den neun Ausstellungskapiteln der „Kunst der
Aufklärung" und bieten eine Vertiefung dieser Themenschwerpunkte.
Sie werden in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Museen zu Berlin,
den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, den Bayerischen
Staatsgemäldesammlungen München und dem Goethe-Institut China
entwickelt. Im März bei der letzten Themenführung liegt der Fokus
auf dem Thema „Nachtseiten – Ironie und Kritik im Bild".
Im 18. Jahrhundert löste sich in Europa unter dem Eindruck der
Aufklärung das vom christlichen Glauben geprägte einheitliche
Weltbild auf. Die Menschen begannen, sich selbst als Wesen zu
verstehen, die rational erfasst und interpretiert werden können.
Zweifel und Kritik wurden systematisch eingesetzt, und die Vernunft
avancierte zum einzigen Werkzeug der Erkenntnis. Aber dies erzeugte
neue Sorgen und Probleme und brachte auch neue Gefahren mit
sich: So wurde in erster Linie den materiellen Bedürfnissen
der Menschen Beachtung geschenkt und die Vernunft von moralischen
Zwängen befreit, was wiederum zu einer Enthemmung der Menschen und
in der Folge zu moralischen Verfehlungen führte. Dies löste in den
Menschen, die sich dabei auf sich selbst zurückgeworfen fanden,
neue Ängste aus. Die Menschen erkannten die Abgründe ihrer Seele
und begriffen, dass diese Aspekte ihres Selbst genauso Teil ihrer
selbst sind wie die hellen, rationalen Seiten.
Die Hinwendung zu diesen „Nachtseiten" der menschlichen Seele
hatte auch Auswirkungen auf die künstlerische Produktion. Der
überkommene Schönheitsbegriff, der aufs Engste mit einer göttlichen
Weltordnung und einer einheitlichen Ästhetik verbunden war, wurde
durch diese neuen künstlerischen Auffassungen herausgefordert. Das
Schöne wurde in Frage gestellt, das Hässliche und Groteske, das
Unheimliche und das mit der Vernunft nicht zu verstehende Erhabene
faszinierten die Künstler. Einer akademischen, doktrinären Kunst,
die im Dienste des Schönen stand, stand nun ein künstlerischer Stil
gegenüber, der alle Regeln durchbrach und dem Individualismus
huldigte. In vielen Werken, die in diesem neuen Stil geschaffen
wurden, dominierten angstbesetzte Sujets.
Diese Infragestellung der traditionellen Ästhetik, die bis zur
Provokation reichte, bildete eine unübersehbare frische Kraft in
der Kunst des 18. Jahrhunderts. Die Anerkennung der dunklen Seiten
des Menschen, die sich hinter der Bejahung der Gesellschaft und
einem optimistischen Blick versteckte, führte zu einer Befreiung
der Kreativität, wie sie bis heute die Grundlage der modernen Kunst
darstellt. Anlässlich der siebten Themenführung im Rahmen der
Ausstellung „Kunst der Aufklärung" - „Nachtseiten", laden wir
Kunsthistoriker ein, die dem Publikum einschlägige Werke und die
dahinterliegenden Geschichten nahebringen.
Referenten:
Li JianQun, Professorin und Pädagogin im Lehrstuhl der
Fakultät für ausländische Kunstgeschichte der China Central Academy
of Fine Arts. Gleichzeitig fungiert sie als Beirat des Chinese
Museum of Women and Children und ist u.a. auch im Verband der
Beijing Women Professors' Association tätig. Ihr
Hauptforschungsgebiet beinhaltet lateinamerikanische Kunst,
mittelalterliche Kunst, britische Kunst, westliche feministische
Kunst sowie zeitgenössische feministische Kunst aus China.
Shao YiYang, Associate Professor und Vorstand des
Lehrstuhls für ausländische Kunstgeschichte an der China Central
Academy of Fine Arts. Promovierte an der Sydney University
(Kunstgeschichte) und lehrt am Institut für Kunstgeschichte der
humanistischen Fakultät der China Central Academy of Fine Arts.
Forschungsschwerpunkt: westliche Kunstgeschichte, Praxis und
Theorie der abendländischen modernen Kunst.