15-07-2010
Ein Tag auf der Expo in Shanghai
von Christoph Karg

Der deutsche Pavillon

Der Name des deutschen Pavillons lautet „balancity", eine Wortneuschöpfung aus den englischen Begriffen „balance" and „city". Es geht im deutschen Pavillon also um die Stadt im Gleichgewicht. Im Inneren lerne ich eine Vielzahl an Projekten, Maßnahmen aber auch Erfindungen kennen, die bei der Erreichung dieses hochtrabenden Zieles behilflich sein könnten. Da finden sich einerseits soziale Projekte wie etwa die Förderung und der Ausbau von Kleingartenanlagen in deutschen Großstädten. Der Pavillon stellt aber auch zahlreiche Produkte vor, die dabei helfen sollen, Energie zu sparen oder der Umweltverschmutzung vorzubeugen.

Im Pavillon findet man abgesehen von technischen Ausstellungsstücken auch vieles über die deutsche Geschichte und das Leben in deutschen Städten. So ist der Pavillon in gewisser Weise eine gelungene Mischung aus dem Beitrag Nordkoreas und dem der Vereinigten Staaten. Ich finde hier einerseits sehr viel über das Thema „Bessere Stadt, besseres Leben", aber kann mir auch einen sehr guten Eindruck über das Land verschaffen.

Eine gehörige Portion deutscher Kultur finde ich nach Verlassen des Pavillons vor. Auf der Bühne im Außenbereich haben sich etwa 20 Chinesen zum lockeren Deutschunterricht eingefunden. Nach 30 Minuten und einer Vielzahl an Wiederholungen sind sie in der Lage „Hallo", „Ich habe Hunger" und andere einfache Redewendungen zu sagen.

Es mag banal klingen, aber ist diese nette Art der Völkerverständigung nicht ein guter Grund, die Expo auch in Zukunft zu veranstalten? Die chinesischen Besucher tauschen sich auch im deutschen Pavillon mit den Mitarbeitern aus. Gibt es eine bessere Art, Vorurteile abzubauen als im direkten Gespräch? „Die Leute sind sehr interessiert und stellen viele Fragen, teils auch über komplizierte technische Produkte, aber auch über das Land selbst" berichtet mir ein Freund, der im Pavillon arbeitet.

 

Anpfiff zur Stempeljagd

Zum Schluss möchte ich noch eine heitere Geschichte erzählen. Wenn man auf die Expo in Shanghai zu sprechen kommt, hört man meistens, dass man dort so lange Schlange stehen müsse. Mir persönlich ist jedoch noch eine ganz andere Sache aufgefallen, die mir in Erinnerung bleiben wird: die Weltaustellungs-Reisepässe.

Diese kleinen Heftchen kann man in verschiedenen Ausführungen für ungefähr 30 Yuan in den quer über das Expo-Gelände verstreuten Andenkenläden kaufen. Sie erfreuen sich unter den chinesischen Besuchern größter Beliebtheit. Am Eingang jedes Pavillons bekommt der glückliche Besitzer dieses Passes einen Stempel.

Aus meiner Sicht ist nichts gegen die Stempel einzuwenden, es ist eine schöne Erinnerung. Aber ich hätte gewisse Vorbehalte, in einen Pavillon zu gehen, nur um einen Stempel zu bekommen. Das würdigt nicht die Arbeit, die viele Menschen vor und während der Expo in den Aufbau und den Betrieb eines Pavillons gesteckt haben. Vor dem Luxemburg-Pavillon sehe ich, wie ein chinesisches Pärchen von dannen zieht, nachdem ihnen am Eingang mitgeteilt wurde, dass es heute Stempelfarbe alle ist.

Besonders in den Pavillons, in die man ohne Wartezeit gelangt, wie zum Beispiel dem Africa Joint Pavilion, beobachte ich das Personal bei nur einer Aufgabe: Stempel in die kleinen Pässe der emsigen Besucher zu drücken. Hier sehe ich nur wenige, die sich die Exponate ansehen. Sie sind eher wegen der Stempel hier. Ich habe den Eindruck, dass die Zettel, die an manchen Pavillons hängen und auf denen zu lesen ist „Stempel defekt" oder „keine Stempel" ein Hinweis darauf sind, dass sich manch ein Betreuer bereits einen Tennisarm geholt hat ...

Aber warum sind die „Reisepässe" so beliebt? Ich frage einige Chinesen. Sie sagen mir, dass Chinesen, wenn sie unterwegs auf Reisen oder Tagesausflügen sind, den Yuan nicht dreimal umdrehen. Also sei es auch nicht der Rede wert, rund 150 Yuan (ca. 17,60 EUR) zu investieren, um die gesamte Familie mit den kleinen Pässen einzudecken und ein nettes Andenken mitnehmen zu können. Außerdem: wer angibt, hat mehr vom Leben! Ist es nicht Balsam auf die Seele, wenn man zu Hause den Pass mit dem des Nachbarn vergleicht und feststellt, dass man ihn um zehn Pavillons übertroffen hat?

Ein weiterer Grund scheint eher ökonomischer Art zu sein und wurde schon genannt. Trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs kann sich die Mehrzahl der Chinesen noch keine Reise ins Ausland leisten. Die Stempel in den kleinen Pässen geben vielen das Gefühl, irgendwie doch in andere Länder gereist zu sein, auch wenn sie sich nur auf dem Expo-Gelände in Shanghai bewegt haben.

Besonders im Africa Joint Pavilion ist es interessant zu beobachten, wie alle Familienmitglieder in den Stempelwettbewerb einbezogen werden. Eine Mutter, die sich am Pavillon der Elfenbeinküste anstellt, gibt den „Pass" an ihren Sohn weiter. Dieser läuft in Windeseile zum gegenüberliegenden Pavillon von Kap Verde, um genau in dem Moment, als die Mutter es zum Stempeltisch geschafft hat, zurück zu sein und den „Pass" an sie weiterzureichen. Ich kann mir nicht helfen, aber ich fühle mich an einen Staffellauf erinnert. Die, die nicht selbst am Wettbewerb teilnehmen können, beauftragen kurzerhand andere: „Das sind meine „Pässe", und diese hier sind von meiner Schwester, die heute leider verhindert ist", berichtet mir eine entzückte Frau am Pavillon Ägyptens. Ich werfe einen Blick in ihren „Pass" und finde eine nicht unerhebliche Anzahl an Stempeln vor. Wie Sie das geschafft habe, möchte ich wissen. „Wir gehen nur zu den Pavillons, wo man nicht lange anstehen muss, um so viele Stempel wie möglich zu bekommen", klärt sie mich auf.

Spricht neben der heiteren Jagd nach Stempeln noch ein weiteres Argument dafür, die Tradition der Weltausstellung fortzuführen? Brauchen wir also noch eine Weltausstellung oder sollte sie lieber ad acta gelegt werden? Ich denke, wir brauchen sie! Vielleicht nicht in reichen Industrieländern, in denen viele Menschen oft auf Reisen sind, aber gerade in einem Schwellenland wie China. Abgesehen von einigen wenigen, ist die Mehrheit hier noch nicht in der Lage, etwas über andere Länder aus erster Hand zu erfahren. Exponate stehen bei der Expo nicht im Vordergrund. Das Internet oder ein gutes Buch bieten oft reichhaltigere Informationen. Eines aber kann weder Buch noch Bildschirm leisten: den direkten Austausch mit den Menschen. Reisen bildet bekanntlich. Wo die Menschen nicht zu den Ländern kommen, müssen die Länder eben zu den Menschen kommen.

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