20-05-2010
Und ewig grüßt der Gartenzwerg - Deutscher Tag auf der EXPO
von Matthias Mersch

Der 19. Mai war Deutschlandtag auf der EXPO und deshalb beste Gelegenheit, endlich Balancity, den deutschen Beitrag zur Weltausstellung,  aus der Nähe zu betrachten. Grau wie der Himmel über Berlin beziehungsweise Shanghai macht der viergliedrige Bau eher den Eindruck eines Bunkers. Er  wirkt also alles andere als einladend. Aber ähnlich wie bei den Menschen dieses Landes im regenreichen Mitteleuropa sind es auch hier die „inneren Qualitäten" die sehr überzeugend sind!

Durch die Balancity führen die beiden virtuellen Figuren Jens und Yanyan, die sich auf der letzten Station, im Inneren der „Energiezentrale", zu echten jungen Menschen materialisieren, die das Geschehen „rund um die Kugel" moderieren. Die Kugel, das sei vorweggenommen, ist nicht das Mega-Ereignis, als dass es die Veranstalter anpreisen:  andere Pavillons – zum Beispiel der Australiens – bieten vergleichbare technische Finessen zur Vermittlung ihrer Botschaften.

Auch der Sockel aus echtem Gras ist keine Sensation:  Gras wächst auch auf dem irischen Pavillon und üppiger als in der deutschen Balancity gedeiht die Vegetation naturgemäß  auf den Dächern der Pavillons von Hongkong, Singapur und Neuseeland. Es sind die vielen kleinen, liebevollen Details und ihre diskrete Funktionstüchtigkeit, die einnehmen für die Balancity der Deutschen.

Trotz der großen Zahl an Besuchern wird man auf sehr angenehme Weise durch den Pavillon geleitet, ohne das Gefühl zu bekommen, einfach nur durchgeschleust zu werden. Es bleiben „Freiräume"  - von denen übrigens auch in der Ausstellung als Kennzeichen deutschen Alltagslebens die Rede ist -  zur Vertiefung der angebotenen Themen , ohne dass es dabei zu aufdringlichen Belehrungsversuchen käme. Der Besucher hat den Eindruck, erwünscht zu sein und seinen Besuch nach Belieben ausdehnen zu dürfen. Sich zum Schmöckern also gleichsam in eine Ecke zurückziehen zu können. Und auch hier wirkt Feinsinn: der garantiert talentfreien Literatur der Gegenwart wird dankenswerter Weise nicht in einer Lesung gehuldigt, sondern nur in Form überdimensionierter, malerisch aufeinander gestapelter Bucheinbände, die so etwas wie eine „Literaturlandschaft" als Sitzmöbel offerieren.

 

Grenzenloser Frohsinn in Balancity

 

Der homo ludens, der spielerische Mensch, kommt im Deutschlandpavillon voll auf seine Kosten. Spätestens seit dem Sommermärchen der Fußball-WM 2006 gibt es die große Charmeoffensive der Bundesrepublik, mit der das Land gegen das alte (Vor-)urteil angehen möchte, Deutsche seien Miesepeter und notorische Spaßbremsen, die in CO2-bewußten Zeiten den Kohlenkeller nur noch zum Lachen aufsuchten, also so gut wie nie!

Auch in Balancity sind daher Humor-Ecken vorgesehen und feine Ironiefäden eingewoben: der deutsche Gartenzwerg, in den der Besucher sich auch selbst verwandeln kann, lädt zum Fototermin. Mit dem Schlag einer echten Glocke lassen sich die Bewohner eines virtuellen Taubenschlags aufschrecken. Chinesen, in Deutschland oft als Kongfu-Stars wahrgenommen, mutieren bei Kostümproben zu den „langen Kerls" der Leibwache des alten Fritz. Es gibt sogar eine Rutsche, mit der sich der Weg in Balancity abkürzen lässt: erstaunlich, das hier der TÜV – Deutschlands gesündester Beitrag zur Welt – nicht als Spielverderber in Erscheinung getreten ist!

König Ludwig und Sissi, das schräge Paar aus Vetter und Base, bemüht sich nicht einmal um eine vage Ähnlichkeit mit ihrem historischen Vorbild. Aber was will man in heillos bürgerlichen Zeiten auch tun: gegen die leibhaftige Präsenz eines echten Prinzen und einer Prinzessin , nämlich Willem-Alexander und Máxima am Holland-Tag vierundzwanzig Stunden zuvor, ist natürlich selbst unter größten Mühen nicht aufzukommen! Außerdem ist die Meinung verbreitet, Chinesen könnten europäische Gesichter sowieso nicht voneinander unterscheiden.

Einprägsamer und daher ungleich wichtiger ist da schon der Hintergrund, vor dem sie posieren: die überdimensionierte Postkarte von Neuschwanstein, die allen Menschen deutlich vor Augen führt, hier kommt das Original! Denn dank der kulturellen Vermittlerrolle Walt Disneys wird auch im Pavillon der USA und Hongkongs mit dem Dream Castle des verblichenen Bayernkönigs geworben in dem angeblich Schneewittchen wohnt.

Aber die Deutschen hörten auf, Deutsche zu sein, wenn bei ihnen der Ernst vollkommen auf der Strecke bliebe: ohne „Fabrik" findet der Deutsche nicht zu sich selbst, Maloche ist auch noch in der Freizeitgesellschaft angesagt, sei es am Förderband, am Designerpult oder in der Gelehrtenstube: überall wird in die Hände gespuckt und das Bruttosozialprodukt gesteigert, so die dynamische Botschaft.

Des Deutschen ganzer Stolz materialisiert sich daher im „Depot", sehr ansprechend gestaltet trifft man hier auf ein Lager voller Waren, die kurz davor stehen, in alle Welt verschickt zu werden. Durch die am Computerbildschirm abrufbaren Daten kann man sich davon überzeugen, dass es sich bei der Produktflut  wenigstens nicht um sinnentleerte Güter aus dem Hause von Konsumfetischisten handelt, sondern um nachhaltig produzierte Waren, die uns alle und dem Planeten zu einer besseren Zukunft verhelfen sollen.

Nur Herr Wang, ein freundlicher Herr aus Zhongshan in Chinas tiefstem Süden, ist ein wenig unzufrieden: er war auf der Suche nach einer Hi-Tech Wurstmaschine, die er im deutschen Pavillon zu finden hoffte. In dieser Hinsicht hätte es also etwas besucherorientierter zugehen können. Aber Weißbier und Nürnberger Rostbratwürstl sind dann ein willkommenes Trostpflaster für diesen Verlust an harten Fakten.

Selbst der Besuch von Bundespräsident Horst Köhler störte den Tag nicht, was ich für ein echtes Zeichen der kultivierten Umgangsformen einer zivilen Gesellschaft erachte:  Freundlich unterhielt sich der Präsident mit Rappern aus Berlin und Kindern der deutschen Schule aus Shanghai und machte in Balancity auf sympathische Weise kein großes Aufhebens um sich selbst.

Balancity konzipiert Deutschland als ökologisch bewußte Mitmachrepublik, eher entgrenzt als ausgrenzend und ohne beschränkten Horizont. Die Botschaft hör ich wohl ... wenn man hier und da in der Wirklichkeit noch etwas nachbessert, wird vielleicht tatsächlich noch etwas aus diesem Traum, fände ich dufte, oder noch altmodischer: prima!

Zusammenfassend eine Kurzbeschreibung: Balancity ist ein Ort des Spiels, der spaßigen Unterhaltung voller Nischen der Information. Also sehr einladend das Ganze, und es scheint zu gefallen, denn die Schlangen vor dem deutschen Pavillon sind mit die längsten auf der EXPO 2010. Balancity ist eine gelungene Selbstdarstellung, die Sympathie schafft. Nur das mit der Wurstmaschine für Herrn Wang sollte man noch einmal genauer überdenken ...


Zur Startseite
Über Beijing Review | Über Beijing Rundschau | Rss Feeds | Kontakt | Aboservice | Zu Favoriten hinzufügen
Adresse: BEIJING RUNDSCHAU Baiwanzhuanglu 24,
100037 Beijing, Volksrepublik China