Nanning in den Augen zweier Mittelschullehrer
Die Nanning Mittelschule Nummer 3 war 1897 als kleine Privatschule gegründet worden. 1960 war sie zur staatlichen Oberschule des Autonomen Gebietes Guangxi der Zhuang-Nationalität geworden. Wir haben mit Guo Xian’an (71 Jahre alt), die von 1960 bis 1993 an der Schule als Chinesischlehrerin gearbeitet hat, und Zhu Shoukang (62 Jahre alt) gesprochen. Er hat selbst die Nanning Mittelschule Nummer 3 besucht, und nach dem Abschluss seines Studiums bis zum heutigen Tag an dieser Schule Physik unterrichtet. Die beiden berichten vom Mentalitätswandel der verschiedenen Schülergenerationen, die sie in ihrem Berufsleben kennen gelernt haben.
Frau Guo wurde in Xiangtan in der Provinz Hunan geboren. Aufgewachsen ist sie in Changsha. Gemeinsam mit ihren Schulkameradinnen folgte sie schon lange vor der Kulturrevolution dem Aufruf an die Jugend, aufs Land zu gehen und dort die Bauernmassen zu agitieren und zugleich von ihnen zu lernen. Nach dem Abitur ging sie nach Guilin, wo sie die dortige Pädagogische Hochschule besuchte. Nach Abschluss ihres Studiums unterrichtete sie an der Nanning Mittelschule Nummer 3. 1960, in ihrem ersten Jahr an der Schule, war die chinesische Wirtschaft wegen Naturkatastrophe in große Not geraten. Verkehrsmittel waren praktisch nicht vorhanden, meistens lief man zu Fuß. Die Schüler konnten sich damals kaum ernähren, erzählt Frau Guo. Das Gelände zwischen den Unterrichträumen diente als Gemüsegarten. Jede Klasse bekam ein Beet zugeteilt. Die Schüler arbeiteten jeden Samstag im Gemüsegarten. Neben dem Gemüseanbau züchteten sie noch Hühner und Schweine, damit die Schulkantine versorgt war. Diese Art schulischer Subsistenzwirtschaft wurde noch bis in die 70er Jahre fortgesetzt. Bewegt erzählt Frau Guo von dem harten Leben der Schüler: „Sie mussten alles selbst erledigen. Sie nähten ihre Kleidung, bauten eigenes Gemüse an, sogar Getreide und Kartoffeln auf den Äckern des Bauerhofes der Schule! Sie konnten die Freuden der Ernte genießen, mussten dafür aber sehr hart arbeiten. Nach dem Abitur fingen die meisten Schülerinnen und Schüler sofort mit einem Beruf an, manche versuchten, an der Hochschulaufnahmeprüfung teilzunehmen.“ Die heutigen Schüler seien ganz anders: „Sie sind von ihren Eltern verwöhnt!“, sagt Guo. 1966, Guo war das sechste Jahr an ihrer Schule, begann die Kulturrevolution. Es gab keinen Unterricht mehr, überall wurden politische Versammlungen abgehalten und Wandzeitungen angeschlagen. Lehrer wurden von den „Roten Garden“ misshandelt. Erst 1977 wurde die Hochschulaufnahmeprüfung wieder aufgenommen. 1978 erhielten acht Schüler von der Mittelschule Nummer 3 ihre Zulassung zum Studium an den beiden renommiertesten Universitäten des Landes, der zur Peking- und der Tsinghua-Universität. In den 80ern lernten die Schüler sehr fleißig, sagt Frau Guo. Obwohl der Konkurrenzdruck damals nicht so groß wie heute war, sind die Schüler sehr motiviert gewesen. Der Grund dafür liegt darin, dass während der Kulturrevolution der Schul- und Universitätsbetrieb zum Erliegen gekommen war. So kam nach dem Ende der Kulturrevolution ein großer Bildungshunger auf und der Schüler- und Studentengeneration wurden wieder klare Lernziele vorgegeben.
Seit 1992 arbeitet Zhu Shoukang an der Schule. Er meint, das damals die Schüler noch genau so fleißig waren wie in den 80ern. Ab dem Jahr 2000 änderte sich die Situation jedoch. Mit der Ausbreitung des Internets entwickelten immer mehr Jugendliche eine starke Abhängigkeit von Online-Spielen und vergleichbaren Aktivitäten im World Wide Web, sie verbrachten viel Zeit in Internet-Cafés. Die Internet-Cafés wurden von der Regierung strenger kontrolliert und einem neuen Reglement unterworfen. Auch durch die Erhöhung der Zahl der Internethausanschlüsse verbesserte sich die Situation, aber vielleicht wurde der Missbrauch des Internets auch nur von den Cafés in die eigenen vier Wände verlegt.
Die Schulleiterin Fang Jielin weist darauf hin, dass sich die Struktur der Familien ändert. Mit der Zahl der Ehescheidungen wächst die Zahl alleinerziehender Eltern. Die Auswirkungen der zerrissenen Familien auf die Charakterbildung der Schüler seien nicht zu übersehen. Darüber hinaus sind die familiären Hintergründe der Schüler sehr unterschiedlich: Manche kommen aus reichen Familien, manche Eltern sind arbeitslos, manche Eltern nicht sehr wohlhabend. Die Gesellschaft ist differenzierter geworden, im Guten wie im Schlechten. Es hat längst ein neues Zeitalter begonnen: Von Gemüsebauern haben sich die Schüler zu Netizen gewandelt, die Gesellschaft ist aus der Armut in den Wohlstand aufgebrochen. Die chinesische Jugend hat sich in den letzten sechzig Jahren deutlich gewandelt.
Das Nanning der Zukunft
Obwohl sich nach Meinung von Beobachtern der Reformprozess in Nanning im Vergleich zu anderen chinesischen Städten sehr viel Zeit gelassen hat, wird diese Verspätung heute als Vorteil verstanden. So war Nanning einigen Fehlentwicklungen der Industrialisierung, die in manchen Gegenden die Umwelt noch stärker belastet haben als vor 1978, nicht ausgesetzt. Seit 2004 findet in Nanning jeden Herbst die China-AESAN Expo statt, was dem Umweltschutz in der Region starken Auftrieb gegeben hat. Die Stadt, die reich an Gewässern ist, will mit dem Bau von Verbindungskanälen zu einer sauberen und attraktiven „Stadt des Wassers“ werden. In den Träumen der Stadtväter zeichnet sich schon ein größeres und viel moderneres Venedig des Ostens ab ...