Heute ist Dr. Rolf Becker schon längst nicht mehr am Leben. Über seine Geschichte können wir nun nur noch von den Menschen, die ihn gut kannten, einiges erfahren. Das Wissenschaftlerpaar chinesischer Abstammung, Zou Ningyuan und Ni Huiru, das zurzeit in New York lebt, hat ihn 1991 zum ersten Mal besucht.
„Ich habe ihn fünf Mal besucht. Meine Frau Ni Huiru und ich gemeinsam vier Mal. Leute wie Becker haben China sehr geholfen. Aus tiefstem Herzen denke ich, die Chinesen haben sich nicht genug bei ihm bedankt. Darum haben wir ihn auch so oft besucht, solange wir noch die Zeit dazu hatten".
1906 wurde Rolf Becker in Eberswalde in Brandenburg geboren. In seiner Jugend hat er sich zur Genüge ansehen müssen, wie seine jüdischen Mitschüler ungerecht behandelt wurden. Nach der Schule studierte er Medizin als Hauptfach.
1936 brach der spanische Bürgerkrieg aus. Trotz des Verbots unter Adolf Hitler entschloss sich Becker, Deutschland zu verlassen und den Internationalen Brigaden beizutreten, die gegen den von Franco angeführten Staatstreich kämpften. Nach dem Scheitern der Internationalen Brigaden 1939 wurde Becker mit anderen internationalen Freiwilligen im Internierungslager St. Cyprien in Südfrankreich gefangen gehalten. Dank der Hilfe eines britischen Freundes konnte er nach einem Monat des Lebens unter unmenschlichen Bedingungen das Lager verlassen.
Damals war der chinesische Widerstandskampf gegen die Japaner gerade in seiner schwierigsten Phase. Dem Aufruf einer britischen medizinischen Hilfskommission nachkommend entschied sich Becker dafür, nach China zu gehen. Nach einer zweimonatigen Reise erreichte er den Hauptsitz des chinesischen Roten Kreuzes der Kriegszeit in einem kleinen Dorf mit dem Namen Tuyunguan in der Nähe von Guiyang, der Hauptstadt der südwestlichen Provinz Guizhou. In Tuyunguan bekam er einen chinesischen Namen, Bai Lefu, 白乐夫,auf Deutsch bedeutet der Name „ein fröhlicher Herr".
Genau sowie Beckers österreichischer Kollege Walter Freudmann später in seiner Denkschrift „Erhebt Euch" schrieb, lag das Ziel der Ärzte nicht darin, „die Taschen mit Geld zu füllen, das eine sich im Krieg befindende blutige Nation zahlt", sondern dem chinesischen Volk auf die Weise eines Arztes zu helfen.
Der Arbeitsort der Ärzte beschränkte sich nicht nur auf Tuyunguan. Innerhalb von acht Jahren war Rolf Becker mit seinem Sanitätsteam in mehreren Provinzen unterwegs.
Im Kreis Xiushui in der Provinz Jiangxi musste Becker gleichzeitig über 200 Verletzte behandeln. Typhus und Ruhr wüteten dort. Trotz mangelnder Ausstattung musste er jeden Tag fünf bis sechs Menschen operieren.
In Tuyunguan waren es die Läuse auf den Körpern der Soldaten, die Becker die größte Sorge bereiteten. Diese können nämlich Typhus übertragen. Um sie rechtzeitig zu vernichten, entwickelte Becker selbst eine Desinfektionsapparatur.
Ni Huiru erzählt: „Eigentlich gab es gar keine Läuse in seinem Sanitätsteam, absolut nicht. Ich erinnere mich noch dran, dass er in meinem Notizbuch eine vom ihm selbstgemachte Desinfektionseinrichtung gemalt hat. Sie ist so ein viereckiger Rahmen aus Holz, darunter ein Becken mit kochendem Wasser. Dann werden die Kleidungsstücke der Soldaten über den Rahmen gelegt und das Ganze dann verschlossen. Wegen dem allgemeinen Mangel an Gütern und Materialien musste man viele Sachen selber machen. Er war ja sehr kreativ und hat so eine Einrichtung entwickelt. Er war sehr stolz darauf, dass es gar keine Läuse in seinem Sanitätsteam gab."
Doch ausgerechnet in diesem Null-Läuse-Team, wo er sich so abgemüht hatte, verlor Becker beinahe sein Leben. Ni Huiru erzählt weiter: „Er selbst hat durch die Läuse Typhus bekommen. Er erzählte, einmal hat ein amerikanischer Priester sein Team besucht. Nachdem der Priester weg war, wurde ihm gleich kalt, er bekam Fieber und wurde schließlich bewusstlos. Später hat ein amerikanischer Arzt ihm eine Spritze gegeben und ihm so das Leben gerettet".
Nach dem Sieg im antijapanischen Krieg kehrten die anderen ausländischen Ärzte einer nach dem anderen zurück in ihre Heimat. Rolf Becker konnte aber nicht zurück nach Deutschland. Er blieb in China und half dabei, Getreide und Medikamente zu transportieren. 1946 fand Becker zufällig in Yantai in der Provinz Shandong heraus, dass sich das sogenannte „schwarze Fieber" dort schnell verbreitete. Er baute umgehend eine kleine Klinik auf und forschte nach der Krankheitsursache und einer Behandlungsmethode. Wegen seiner Bemühungen konnte diese Infektionskrankheit endlich beseitigt werden.
Ein Jahr später gelang es Becker endlich, zurück nach Deutschland zu kehren. In der Heimat setzte er seine medizinische Forschungsarbeit fort.
Die Gefühle, die er gegenüber China hegte, wo er acht Jahre lang gelebt hat, beantwortet Ni Huiru dreimal mit den Worten „sehr tief". In seinem Haus waren überall Malereien, Kalligraphien, Keramik und Bücher aus China zu sehen. Die Fotos, die er in China gemacht hat, wurden auch für sehr viele Jahre sorgfältig aufbewahrt.
Die Tochter von Rolf Becker, Kathrin Becker, erzählt: „Mein Vater hat immer sehr gerne an die Zeit in China zurückgedacht. Das war eine sehr wichtige Zeit in seinem Leben. Der Kampf des chinesischen Volkes gegen die Japaner hat ihn Zeit seines Lebens begeistert. Er war auch glücklich, dass er in diesem Kampf seinen Beitrag leisten konnte."
Damit mehr Menschen von heute noch von den Ärzten lernen können, haben Zou Ningyuan und Ni Huiru in einem Buch die Geschichte von Rolf Becker und einigen anderen Ärzten dokumentiert.
Dazu sagt Zou Ningyuan:„Wir möchten die Geschichten dieser Leute erzählen und hoffen, dass wir unsere Leser dazu ermutigen können, genau über den Sinn des Lebens nachzudenken".
Die Menschheit ist eine Familie. Dies sei ein Wunsch, nach dem die Menschheit seit ewig strebt, sagt Ni Huiru. Die Welt wird zu einem besseren Ort, wenn alle Menschen sich gegenseitig wie Familienangehörige helfen und unterstützen.
„Die Menschheit ist eine Familie. Leute wie Becker haben mit ihrem Leben für die Verwirklichung dieses Wunsches gekämpft. Es ist nicht so, dass sie es nur sagen, oder Broschüren verteilen oder Artikel schreiben. Sie haben es einfach gemacht. Diese Leute haben uns sehr tief bewegt, sehr". (Quelle: Radio China International) |