Mehr Atomkraft, mehr Stromsparen, Lockerung der Energiepreise: Als einer der weltgrößten Erzeuger und Verbraucher von Energie erwägt China wichtige Veränderungen.
Steigender Stromverbrauch: Mitarbeiter eines lokalen Energieunternehmens in Tianchang (Provinz Anhui) prüfen am 12. Juni die Stromleitungen, um sich auf den Sommer, traditionell die Zeit mit dem höchsten Stromverbrauch, vorzubereiten
(Du Yu)
Vor dem Hintergrund der zunehmenden Industrialisierung und Urbanisierung wächst Chinas Energienachfrage seit Jahren. Das Land zählt mittlerweile zu den größten Energieproduzenten und –konsumenten der Welt. Aber die unsichere internationale geopolitische Lage macht es für China erforderlich, mehr eigene Energie zu produzieren und seinen hemmungslosen Energieverbrauch einzuschränken. Umweltprobleme zwingen das Land außerdem dazu, weniger fossile Brennstoffe zu verbrauchen und die Energieeffizienz zu erhöhen.
Am 13. Juni forderte Staatspräsident Xi Jinping erhöhte Anstrengungen, um die Energieproduktion und den Energieverbrauch zu revolutionieren. Als Vorsitzender der Central Leading Group on Financial and Economic Affairs räumte Xi bei einer Sitzung ein, dass China vor der Herausforderung stehe, Lösungen für die steigende Energienachfrage, begrenzte Energievorräte, hohe Umweltkosten und veraltete Technologien zu finden. China arbeite an Richtlinien für die Energieproduktion und den Energieverbrauch der kommenden Jahre und werde die Überprüfung veralteter Vorschriften beschleunigen, so Xi.
China will Kohlekraftwerke, die die Anforderungen zur Schadstoffreduzierung nicht erfüllen, modernisieren und weiter am Aufbau eines Stromleitungsnetzes über große Distanzen arbeiten. Öl- und Gaskooperationen mit den Ländern Zentralasiens, des Mittleren Ostens, Amerikas und Afrikas sollen ausgebaut werden. Das Land werde außerdem seine Bemühungen in den Bereichen Energieerzeugung und –nutzung verstärken und mehr Öl- und Gaspipelines sowie Speicheranlagen bauen, sagte Xi.
Die chinesische Führung betrachte das Problem vom Standpunkt nationaler Entwicklung und Sicherheit aus, erklärte Lin Boqiang, Energieforscher an der Universität Xiamen. „Eine Revolution im Energiesektor hat große Auswirkungen auf die Gesellschaft. Die zentralen Behörden nutzen den Begriff „Revolution" anstelle des normalerweise verwendeten Wortes „Reform". Das zeigt ihre Entschlossenheit, den Status quo zu verändern", sagt Lin. Analysten zufolge sind Innovationen in der Regierungsadministration nötig, um die Revolution in der Energieerzeugung und beim Energieverbrauch zu steuern.
Schiefergas, Gashydrat, Elektroautos und energieeffiziente Wohnhäuser könnten die Energierevolution fördern, meint Niu Li, Ökonom am State Information Center, einem Think Tank der Regierung. „Infolge der Finanzkrise versuchen alle Länder, neue Energietechnologien als neuen Wachstumsmotor entwickeln", sagte Niu.
Struktureller Wandel erforderlich
China werde ebenso versuchen, den Preisbildungsmechanismus zu reformieren und einen wettbewerbsorientierten Energiemarkt zu fördern, so Präsident Xi.
Experten reagierten positiv auf Xis Forderung, die Entwicklung der Energieproduktion und Energievielfalt zu beschleunigen und die Energieeffizienz zu steigern. Die Entschlossenheit der Führungsspitze, eine Energierevolution einzuleiten, werde den Weg für mehr nichtstaatliche Unternehmen in die Branche ebnen und einen gesünderen Wettbewerb fördern.
Ihn habe am meisten der Vorschlag der „institutionellen Revolution des Energiesektors" beeindruckt, so Lin. Zwei Aufgaben hätten bei der Revolutionierung des Energiesektors Priorität: die Zerschlagung des Monopols staatlicher Unternehmen und die Preisregulierung durch den Markt. Gegenwärtig haben staatliche Unternehmen das Monopol auf dem chinesischen Energiemarkt. Energiepreise werden durch die Regierung bestimmt. „Zurzeit sind rund 86 Prozent des Energiesektors in staatlicher Hand, und dieser Anteil steigt. Das Monopol sollte aufgebrochen werden, um mehr Wettbewerb in die Branche zu bringen", erklärte Lin.
Chinas Energieressourcen liegen vor allem in den weniger entwickelten Regionen im Zentrum und im Westen des Landes, während es in den entwickelten Küstenregionen im Osten eine riesige Energienachfrage gibt. Energieproduzierende Provinzen haben einen enormen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung geleistet, indem sie Strom zu staatlich festgelegten Preisen in die wohlhabenderen Regionen leiteten. Schlimmer noch, der Energieerzeugungsprozess hat die Umwelt in den energiereichen Regionen stark verschmutzt.
Das Fehlen einer am Markt orientierten Preisgestaltung mache es schwer, privates Kapital in den Energiesektor zu bringen, so Lin. Die Reform der Preisbildung von Energieerzeugnissen geht nur langsam voran, teilweise, weil die Regierung den Preis zur makroökonomischen Kontrolle nutzt. Die Festsetzung und Korrektur von Energiepreisen erfordert komplizierte Arbeitsprozesse in der Regierung und bringt Interessenskonflikte der betroffenen Parteien ins Spiel. Eine direkte Preisintervention durch die Regierung führe zu Gewinnunsicherheiten, was Privatkapital noch mehr zögern lasse, im Energiesektor aktiv zu werden, so Lin.
„Die Öffnung des Energiesektors allein reicht nicht aus. Wir brauchen eine Reform der Preisgestaltung, um den Sektor lukrativer zu machen, damit er interessanter für private Investitionen wird", erklärte Lin. Der Energiepreis sei der Faktor, der am strengsten von der Regierung kontrolliert werde, betonte er. „Das Stromnetz steht komplett unter dem Monopol staatseigener Unternehmen. Das wäre eine komplizierte Reform und ist viel verlangt." Ein guter Ausgangspunkt für die Reform wäre die Kopplung des Strompreises an den Kohlepreis, da letzterer meistens durch den Markt bestimmt wird, rät Lin.
Eine strukturelle Revolution würde zu Umwälzungen in weiteren Bereichen führen, erklärte Wang Zhen, stellvertretender Direktor der Academy of Chinese Energy Strategy an der China University of Petroleum. „Eine institutionelle Revolution würde einen Meilenstein bedeuten und große Auswirkungen haben. Wir haben Energieerzeugnisse als staatliche Produkte von großer strategischer Bedeutung statt als Rohstoffe behandelt", so Wang weiter. China sollte Energieerzeugnisse als Rohstoffe behandeln und ein effektives Marktsystem einrichten, um weitere „Revolutionen", beispielsweise in den Bereichen Verbrauch, Lieferung und Technologie, voranzutreiben, forderte er.
Atomkraft im Fokus: Der Generator mit der weltgrößten Installations-Kapazität wird am 24. August 2013 von seinem Fertigungsort in Deyang (Provinz Sichuan) zum Atomkraftwerk Taishan (Provinz Guangdong) transportiert (Wu Mingjun)
Mehr Atomenergie
Unter der Voraussetzung, dass höchste Sicherheitsstandards eingehalten werden, sollten neue Atomenergieprojekte an der Ostküste „so schnell wie möglich" an den Start gehen, forderte Staatspräsident Xi. Zuvor hatte Ministerpräsident Li Keqiang bei einem Treffen der Nationalen Energiekommission am 18. April erklärt, dass neue Atomenergiepläne für die Ostküste „zu einem angemessenen Zeitpunkt" in Angriff genommen werden sollten.
Unmittelbar nach der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 begann China mit Sicherheitsinspektionen aller existierenden Kernkraftwerke und legte Genehmigungen für geplante Kraftwerke vorerst auf Eis. Erst im Oktober 2012 wurden Pläne für eine sichere Atomenergie und die langfristige Entwicklung der Atomenergie verabschiedet, dabei wurde die Bewilligung mehrerer Projekte an der Küste bis 2015 zugesichert, Projekte im Inneren des Landes waren nicht dabei.
Die deutlichen Stellungnahmen der Führungsspitze zeigen, dass die Hinwendung zur Kernenergie vielleicht ein unvermeidlicher Trend in China ist. Atomkraft soll zur Bekämpfung des Smogs, zur Optimierung der Energiestruktur und selbst zur Ankurbelung der Wirtschaft genutzt werden.
Bis 2015 will China den Energieverbrauch pro BPI-Einheit im Vergleich zu 2010 um 16 Prozent senken. Der Indikator fiel von 2011 bis 2013 um 9,3 Prozent, das entsprach nach Angaben der Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform nur 54 Prozent des Gesamtziels. Die Notwendigkeit, Energie zu sparen, Emissionen zu reduzieren und die Abhängigkeit von der Kohle zu mindern, war niemals offensichtlicher und dringender.
„In Wirklichkeit geht es beim Ausbau der Kernenergie nur darum, die Kohle zu ersetzen", erklärt Liu Qiang, Energieexperte an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften. Angesichts der ökonomischen Realität sei es unwahrscheinlich, dass die Atomkraft auf viel Widerstand treffen werde.
Kohle macht immer noch den Großteil des chinesischen Energieverbrauchs aus. Ende 2013 lag der Anteil der Kernenergie lediglich bei 2,11 Prozent. Nach Daten des Chinesischen Atomenergieverbandes beträgt die Kernkraftkapazität nur 1,1 Prozent der gesamten Stromerzeugungskapazität. „Chinas Atomenergie hat noch einen weiten Weg vor sich, bis sie globale Durchschnittswerte erreicht", erklärte Ye Qizhen von der Chinesischen Akademie der Ingenieurswissenschaften. Ein Anteil von 10 Prozent wäre ideal für China, so Ye weiter.
Neue Energietechnologien werden in der Zukunft ein wichtiger Wachstumsmotor werden, erklärte He Jiankun, Direktor des Low Carbon Economy Lab an der Tsinghua-Universität. „Industrieländer versuchen ihre Geschäfte in Entwicklungsländern im Bereich Neue Energien durch technologische Vorteile auszuweiten. Die Atomenergieindustrie ist hochwissenschaftlicher und technologischer Natur und erfordert lange Forschungs- und Entwicklungsperioden und enorme Investitionen", erklärte er.
„Nur wenige Großmächte in der Welt sind in der Lage, die industrialisierte Nutzung der Atomenergie zu beherrschen. China sollte um Wettbewerbsvorteile in dieser Hinsicht kämpfen", fordert He.
|