03-02-2014
Kultur
Der Kungfu-Traum der Afrikaner
von Zheng Yang

Afrikaner trainieren im Epizentrum des Kungfu.

 

Bei Tagesanbruch, während die Stadt Dengfeng in der Provinz Henan noch im Schlaf schlummert, gibt es eine kleine Gruppe von Menschen, die bereits auf den Beinen ist. Nach einem kurzen Spaziergang entlang eines Steinweges kommt die Gruppe beim alten Tempel zusammen. Sie pressen die Hände aneinander und verbeugen sich vor dem Meister, einem chinesischen Mönch in gelber Robe, der die Geste auf gleiche Weise erwidert.

Ein Trainingstag beginnt

Dieser Anblick am frühen Morgen gleicht einer Szene aus einem chinesischen Kungfu-Film – nur dass alle Schüler Afrikaner sind.

Die 20 Schüler stammen jeweils aus Tansania, Äthiopien, Mauritius, Uganda und Nigeria und sind im September 2013 nach China gekommen, um in den nächsten drei Monaten hier im Shaolin-Tempel Kungfu zu erlernen.

„Mein Leben wird nach dieser Erfahrung nie mehr das gleiche sein", sagt Ogwang Mark aus Uganda über sein Erlebnis im Shaolin-Tempel.

Harte Arbeit

Das Kungfu-Trainingsprogramm für Afrikaner wurde vom chinesischen Kulturministerium als Bestandteil der Vereinigung zum kulturellen Austausch zwischen China und Afrika eingeführt. Die 20 Schüler wurden von den besten Kampfkünstlern Afrikas ausgewählt, doch das harte Training im Shaolin-Tempel stellt auch für sie eine enorme Herausforderung dar.

„Ich habe in den ersten Tagen viel geweint", meint Peace Emezue, eine 32-jährige Nigerianerin. Emezue arbeitet als Fitnesstrainerin und ist zudem noch Karate-Meisterin. Sie wurde von der nigerianischen Regierung für dieses Programm ausgewählt, um Frauen im Kampfsport zu fördern.

Emezue mag das einfache und friedliche Leben im Shaolin-Tempel, aber das harte Training, das jeden Morgen in aller Frühe anfängt, hat all ihre Vorstellungen übertroffen. Sie steht täglich um Punkt 5.30 Uhr auf und muss bis zum späten Abend um 21 Uhr trainieren. Dieser Ablauf wird sechs Tage die Woche drei Monate lang eingehalten.

Das chinesische Wort „Kungfu" bedeutet wortwörtlich „hart arbeiten". Menschen, die hart arbeiten, werden auch mit „Kungfu haben" beschrieben. Drei Monate seien für eine ernstzunehmende Kungfu-Ausbildung zu kurz, meint Abt Shi Yongxin, stellen aber trotzdem eine große Herausforderung für jeden dar.

Die Afrikaner mussten sich zuerst an das Klima und die fremden Essgewohnheiten gewöhnen. Wamala Peter aus Uganda erzählt, dass viele der Schüler sich eine Erkältung einfingen, als im November der Winter einbrach. „Obwohl wir krank waren, waren wir dennoch willensstark und zuversichtlich. Die Meister haben durch ihre energetische und verantwortungsbewusste Art dafür gesorgt und uns tatkräftig unterstützt."

Das Trainingsprogramm umfasste auch einen Chinesisch-Sprachkurs, damit die Afrikaner den Anweisungen und Lehren des Meisters besser folgen konnten. Für die meisten Schüler, die das erste Mal in China sind, ist das Chinesischlernen sogar noch schwieriger als das Kungfu-Training.

„Ich habe nie darüber nachgedacht, Chinesisch zu lernen. Es ist sehr schwer, aber ich werde weitermachen und übers Internet lernen, wenn ich wieder zu Hause bin", meint Peter Zanang Kazah, ein nigerianischer Karatesportler.

Gegen Ende des Programms hatten sich die meisten Schüler bereits gut eingewöhnt und empfanden das Leben im Shaolin-Tempel als sehr bereichernd. Einige von ihnen verloren an Körpergewicht, nahmen aber an Stärke zu. Auf der Abschlussfeier am 18. Dezember führten die Afrikaner eine Kungfu-Darbietung auf, um das Erlernte vorzuzeigen. Dazu gehörten klassische Routinen sowie Kampftechniken mit Schwertern und Stöcken.

Shaolin-Schüler

Dawit Terefe ist ein äthiopischer Kungfu-Schauspieler, der seit über 20 Jahren Kampfsport macht. Er hatte vor seiner Reise mit einem Trainingsprogramm gerechnet, das ihm präzisere und schnellere Bewegungen und Schläge beibringt. Er hatte nur zur Hälfte richtig getippt – eine ebenso wichtige Lektion war die effektive Nutzung von Ruhe und Entspannung.    

Jeden Mittwochnachmittag fand eine Meditationsstunde statt. Die Schüler saßen 40 Minuten lang wie geistesabwesend da und übten sich darin, spirituellen Frieden und innere Balance zu erlangen.

Meditation ist ein wichtiges Element des Zen-Buddhismus. Der Ursprung des modernen Kungfu lässt sich bis auf das Jahr 527 n. Chr. zurückverfolgen. Der indische Mönch Ta Mo kam zum Shaolin-Tempel und kreierte die 18 Buddhistischen Fäuste. Der Shaolin-Tempel ist somit die erste Stätte, in der die Lehren des Zen-Buddhismus gepredigt wurden. Die ersten Predigten fanden wohl schon 495 statt.

„Erst hier im Shaolin-Tempel ist mir bewusst geworden, dass Kungfu nicht nur aus Kampftechniken besteht, sondern einen tiefgründigen religiösen Hintergrund hat", erzählt Peter Zanang Kazah. „Jetzt bin ich bereit, die wahre Bedeutung des Kungfus  kennenzulernen."

„Einige fragten mich, wie viele Menschen es auf der Welt gibt, die Kungfu lernen", erzählt Abt Shi Yongxin. „Ich würde sagen Millionen, oder vielleicht sogar mehr."

Seit ein Deutscher 1989 der erste ausländische Shaolin-Schüler wurde, hat der Shaolin-Tempel durch den Aufbau von Trainingszentren im Ausland sein Erbe verbreitet. Dennoch kommen jedes Jahr hunderte von Anhängern aus aller Herren Länder in den besagten Tempel in der Provinz Henan, um hier eine einzigartige Erfahrung zu sammeln oder durch jahrelanges hartes Training ein höheres Niveau zu erreichen. Sie wissen, dass es etwas gibt, was sie außerhalb des Tempels nie finden werden.

Hier werden alle Schüler, ob Chinese oder Ausländer, dazu angehalten, sich wie ein wahrer Shaolin-Mönch zu verhalten. Sie kleiden sich in grauer Mönchsrobe und ernähren sich ausschließlich vegetarisch. Das Abendessen nehmen sie nach buddhistischem Ritual ein. Sie nehmen außerdem jeden Montag am Morgenunterricht teil.

Abt Shi Yongxin glaubt, dass Shaolin-Kungfu nicht nur den Körper stärkt, sondern auch einen Lebensstil fördert, der den Anhängern zum inneren Frieden verhilft. Er forderte die afrikanischen Schüler dazu auf, den Shaolin-Tempel als ihr „zweites spirituelles Zuhause" anzusehen.

„Der Shaolin-Tempel ist ein guter Ort, um Menschen aus verschiedenen Religionen und mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund kennenzulernen", sagt Emezue. „Ich bin mir sicher, dass ich eine neue Person geworden bin, wenn ich wieder nach Hause gehe. Die Dinge, die ich hier gelernt habe, sind wahrlich unbezahlbar."