03-12-2013
Gesellschaft
Umerziehung durch Arbeit: Ein veraltetes System wird abgeschafft
von Yin Pumin

Viele Jahre lang war die Umerziehung durch Arbeit ein umstrittenes Thema in China und wurde oft wegen der fehlenden Gesetzesgrundlagen kritisiert.

Im Rampenlicht: Tang Hui (Mitte) antwortet auf Reporterfragen, nachdem das Gericht in Changha (Provinz Hunan) zu ihren Gunsten entschieden hatte. Sie hatte gegen die Verhängung einer 18-monatigen Umerziehungsstrafe wegen „ernsthafter Störung der sozialen Ordnung" geklagt (Long Hongtao)

Auf der dritten Plenarsitzung des 18. ZK der KP Chinas wurde am 12. November ein detaillierter Reformplan für die kommenden zehn Jahre verabschiedet. Dazu gehört auch die Abschaffung des Laojiao (lao bedeutet Arbeit, jiao heißt Erziehung), das mehr als 50 Jahre lang existierte.

Das Bestrafungssystem wurde 1957 ins Leben gerufen. Damals billigte das oberste Gesetzgebungsorgan den Vorschlag des Staatsrats zur Einrichtung von Laojiao-Komitees, die minderjährige Kleinkriminelle bis zu vier Jahre ohne öffentlichen Prozess inhaftieren konnten.

„Das System leistete seinen Beitrag in einer Zeit, als die KP Chinas mit der Konsolidierung der Staatsmacht und Verbesserung der sozialen Ordnung befasst war. Mit der Ausreifung des Rechtssystems ist es an der Zeit, dass das Laojiao von der Bildfläche verschwindet", erklärte Chen Jiping, stellvertretender Direktor der China Law Society.

 

Auf dem Weg zur Abschaffung

Ein Laojiao-Komitee bestand aus der örtlichen Polizei, Angehörigen der Ministerien für Zivile Angelegenheiten und Bildung sowie weiteren Regierungsbehörden. Den Vorsitz hatte normalerweise der Polizeichef inne.

2012 saßen mehr als 60.000 Menschen Laojiao-Strafen ab, die meisten waren jugendliche Delinquenten und Wiederholungstäter, bei deren Vergehen es sich um keine genau umrissene Straftat handelte, so Wang Gongyi, ehemaliger Direktor des Institute for Justice and Ministration am Justizministerium.

„Obwohl das System in den letzten Jahrzehnten zur Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung beitrug, sind auch seine Schattenseiten zu Tage getreten", erklärte Wang. „Als außergerichtliche Strafmaßnahme ist es anfällig für den Missbrauch durch die Polizei. Man sollte Bürger nicht ohne Gerichtsverfahren ihrer persönlichen Freiheit berauben."

Es fehlten zudem genaue Verfahrensweisen, nach denen Laojiao-Komitees Straftatbestände definierten und Strafen verhängten, so Wang.

„Im Grunde ist Laojiao nur eine Methode der sozialen Kontrolle, unabhängig von Gerichtsverfahren. Doch es wurde dazu benutzt, Bürger ihrer persönlichen Freiheit und Rechte zu berauben", erklärt Yu Jianrong, Wissenschaftler an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften.

Chinas Verfassung schreibt vor, dass kein Bürger ohne die Zustimmung der Staatsanwaltschaft oder eines Gerichts verhaftet werden kann.

„Um in ein Umerziehungslager gesperrt zu werden, waren keine juristischen Prozeduren oder eine Verhandlung nötig, das ist sowohl illegal als auch irrational", erklärt Ma Huaide, Vizepräsident der China University of Political Science and Law in Beijing.

Die gegenwärtige rechtliche Basis für das Laojiao-System sind zwei Vorschriften, die der Staatsrat 1957 und 1979 veröffentlichte.

„Jede Zwangsmaßnahme oder Bestrafung, die mit Freiheitsentzug einhergeht, sollte allein vom Nationalen Volkskongress, Chinas oberstem Gesetzgeber, bewilligt werden und nicht vom Staatsrat oder einem anderen Regierungsministerium", meint Ma.

„Die soziale Stabilität auf eine Weise aufrechtzuerhalten, die der rechtlichen Grundlagen entbehrt, kann nur nach hinten losgehen", meint Hu Xingdou, Professor am Beijing Institute of Technologie. Er bezeichnet das Laojiao-System als „das größte Hindernis für Rechtsstaatlichkeit in China".

In den letzten Jahren haben einige spektakuläre Fälle das Laojiao-System in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

So wurde 2011 in der südwestchinesischen Stadt Chongqing der Dorfbeamte Ren Jianyu verhaftet, weil er angeblich mehr als 100 „negative Informationen" im Internet weitergeleitet und kommentiert hatte. Einen Monat später wurde er ohne Gerichtsverfahren wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" für zwei Jahre in ein Laojiao-Programm gesteckt.

Sein Fall sorgte landesweit für Aufmerksamkeit, das örtliche Laojiao-Komitee zog die Strafe später zurück und ließ ihn im November 2012 frei, nachdem er die Hälfte der Strafe verbüßt hatte.

Ein weiterer bekannter Fall ist der von Tang Hui. Die 40-jährige Mutter wurde im vergangenen Jahr in ein Umerziehungslager in der zentralchinesischen Provinz Hunan gesteckt, weil sie für härtere Strafen für die Männer kämpfte, die 2006 ihre damals elfjährige Tochter vergewaltigt und in die Prostitution gezwungen hatten.

Tang verklagte die örtlichen Behörden wegen Verletzung ihrer persönlichen Freiheit und seelischer Grausamkeit, im Juli urteilte ein Gericht in Hunan zu ihren Gunsten.

Nach Angaben von Chen Zhonglin, Dekan der Law School an der Chongqing University, erweiterte die vom Staatsrat 1979 veröffentlichte Vorschrift die Bandbreite der Straftatbestände noch, die mit Umerziehung durch Arbeit geahndet werden konnten, und richtete sich somit gegen das ursprüngliche Ziel einer Verhaltenskorrektur durch Erziehung und Arbeit.

Chinas Strafgesetz sieht als mildeste Strafe einen überwachten dreimonatigen bis zweijährigen Hausarrest vor, die nächste Stufe sind sechs Monate in einem Polizeigefängnis. 

„Das heißt, dass Laojiao in einigen Fällen härter als eine vom Gericht verhängte Strafe sein kann", erklärte Chen Weidong, Professor an der Law School der Renmin Universität China. „Daher ziehen es einige minderjährige Täter vor, gerichtlich belangt zu werden."

Chen Jiping, stellvertretender Direktor der China Law Society, hält es für an der Zeit, das Laojiao-System abzuschaffen. Er nennt zwei Gründe: Erstens sei das Rechtssystem relativ ausgereift. Delinquenten wie beispielsweise Drogenkonsumenten, können jetzt gemäß entsprechender Gesetze bestraft werden. Zweitens habe die gesellschaftliche Korrektur zugenommen und gute Ergebnisse bei jugendlichen Tätern und Delinquenten, deren Taten für eine strafrechtliche Verfolgung zu geringfügig waren, erzielt. Solche Vergehen können gemäß dem Law on Penalties for Administration of Public Security geahndet werden.

Seit Beginn des Jahres haben zentrale Behörden Schritte zur Reform des Laojiao-Systems eingeleitet. Im Januar legte eine nationale Konferenz zur politischen und rechtlichen Arbeit diesen Reformprozess als Priorität für 2013 fest.

Eins der ersten Versprechen des neu gewählten Ministerpräsidenten Li Keqiang war im März die Ausarbeitung eines Reformplans für das Laojiao-Systems bis Ende des Jahres – damit wurde erstmals ein genauer Zeitplan genannt.

Im Oktober forderte Zhou Qiang, Präsident des Obersten Gerichtshofs, Chinas wichtigstem Gesetzesorgan, die Gerichte landesweit auf, gemeinsam an der Laojiao-Reform zu arbeiten, Sie sollten die gerichtlichen Anhörungsverfahren für minderjährige Täter straffen und die gesellschaftliche Korrektur  fördern.

Am Ende schloss das ZK die Abschaffung des Laojiao-Systems in seine Reformpläne mit ein.

Gefordert wird außerdem eine Verbesserung der Gesetzeslage im Hinblick auf Umerziehungs- und Bestrafungsmaßnahmen. Programme zur gesellschaftlichen Korrektur, die ehemaligen Häftlingen die Rückkehr in die Gesellschaft ermöglichen, sollen den Bestimmungen zufolge ebenso optimiert werden.

 

Auf der Suche nach Alternativen

„Die offizielle Abschaffung des Systems erfordert vom obersten Gesetzgeber außerdem, die Entscheidung von 1957 für ungültig zu erklären", erklärt Jiang Ming'an, Juraprofessor an der Peking University. „Dadurch wird es möglich, die Umerziehung durch Arbeit schon Ende Dezember abzuschaffen. Dann beginnt eines der alle zwei Monate stattfindenden Treffen des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses."

Ma, Vizepräsident der China University of Political Science and Law in Beijing, unterstreicht, wie wichtig die rechtliche Basis für die Aufhebung des Laojiao ist. „Die Abschaffung an sich ist leicht, aber ohne rechtliche Maßnahmen und institutionelle Beschränkungen könnte leicht eine neue Variante des Laojiao entstehen."

Bedenken, dass durch die Abschaffung von Lajiao einige Täter ungeschoren davon kommen könnten, hält Di Yingqi, Dean of the Law School at Henan University of Economics and Law, für unbegründet. Er hält die bestehenden Gesetze für die Bestrafung vieler Vergehen für ausreichend.  

Das Strafgesetz sehe sowohl leichte als auch schwere Strafen für geringfügige Straftasten vor, so Di, darunter öffentliche Überwachung und Haft, das bedeutet einen Freiheitsentzug von mindestens sechs Monaten bis zu maximal sechs Jahren. Ist der Freiheitsentzug für ein geringfügiges Vergehen zu hart, bietet die öffentliche Überwachung eine Alternative.

Die gesellschaftliche Korrektur gebe Polizeibeamten die Möglichkeit, Missetäter auf andere Art zu bestrafen, erklärte Chen Zhonglin, Dekan der Law School an der Chongqing University. Er schlug außerdem vor, das außer Kraft gesetzte Illegal Acts Correction Law erneut in Erwägung zu ziehen, um die Lücke zwischen rechtswidrigen Handlungen und Verbrechen zu schließen.

Nach Mas Angaben startete China 2003 Pilotprogramme zur Einführung der gesellschaftlichen Korrektur und setzte sie 2009 versuchsweise im ganzen Land um.

Kernbestandteil der gesellschaftlichen Korrektur ist die Verbesserung der erzieherischen und korrigierenden Aspekte des Justizsystems. Bei Bedarf solle den Betroffenen auch eine Ausbildungs- und Arbeitsberatung angeboten werden, so sehen es die Maßnahmen zur Einführung der gesellschaftlichen Korrektur vor, die im Januar 2012 vom Obersten Gerichtshof, der Generalstaatsanwaltschaft, dem Ministerium für Öffentliche Sicherheit und dem Justizministerium in Kraft gesetzt wurden.

Bislang nehmen rund 620.000 Täter an dem Programm teil, die Rückfallquote liegt bei 0,2 Prozent.

Für Hu, Professor am Beijing Institute of Technology, ist das Resozialisierungssystem kein Ersatz für die Umerziehung durch Arbeit, sondern eine zusätzlicher Weg, wie man bei geringfügigen Vergehen mit richterlichen Strafen umgehen könne.

„Das Laojiao-System halte Menschen ohne Verhandlung in Haft, während das Resozialisierungssystem Menschen anhand eines Gerichtsurteils bestraft", sagt Hu.