08-11-2013
Gesellschaft
Individualreisen immer populärer in China
von Yuan Yuan

Warum verreisen wir eigentlich nicht öfter? Liegt es am Geld? Oder an der mangelnden Zeit? Oder ist es die Sorge, sich in einem fremden Land nicht verständigen zu können?  Mögliche Probleme mit den Visa? Doch eigentlich ist nichts davon ein so großes Hindernis, wie Sie vielleicht gedacht haben könnten.

 Li He ist 25. Bevor er seinen Abschluss am Shijiazhuang Railway Institute, einer Universität in der Provinz Hebei, machte, ging er ersteinmal zwei Monate auf Reisen:

Mehr als 20 Städte in China und zehn weitere in Malaysia, Indonesien und Brunei lagen auf seiner Route. Und gekostet hat das Ganze gerade einmal 3.300 Yuan (542 $).

„Ich begann meine Reise, als ich noch nach einem Job suchte", erzählt Li. „Eingentlich hätte ich mehr Zeit für die Arbeitssuche verwenden sollen, denn als es los ging, hatte ich noch nichts gefunden. Darum war mein Reisebudget recht klein. Aber warten wollte ich auch nicht mehr."

Li hatte die Flugtickets bereits Monate zuvor gekauft und war sich sicher, dass er als Mitglied von Couchsurfing (www.couchsurfing.org) – einem internationalen Netzwerk, über das sich Reisende auf der ganzen Welt vernetzen und gegenseitig freie Logis anbieten – trotz seiner dürftigen Reisekasse über die Runden kommen würde.

Und tatsächlich: Li konnte in jeder Stadt, die er besuchte, bei Menschen übernachten, die er über Couchsurfing kennen gelernt hatte. "Ich habe eine ganze Menge Geld gespart und zugleich auch noch Freundschaften geschlossen." Sein Gastgeber in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, war Amerikaner. "Er hat mir sogar seine Hausschlüssel gegeben und gesagt, ich könne solange bleiben, wie ich wollte", erinnert sich Li.

Einige seiner Vorstellungsgespräche musste Li absagen, da er immer noch auf Reisen war. Doch das war es ihm wert: "Immer wieder hört man von Menschen, die sich entweder beklagen, dass sie kein Ged oder aber keine Zeit haben, um Urlaub zu machen", erzählt er. "Aber es kostet gar nicht so viel, eine Reise zu organisieren – die meisten Hindernisse sind Hausgemacht."

 

 

Los gehts!

Zhang vor dem Gipfel des Matterhorn in der Schweiz

Als Zhang (Name von der Redaktion geändert) 2004 anfing, einfach „drauf los" zu reisen, verdiente er gerade einmal 2.000 Yuan (334 $) im Monat.

Das Gehalt reichte damals kaum, um in Shanghai zu leben. Doch trotz seines spartanischen Budgets schaftte es der 33-Jährige zu Reisen. „Zu dieser Zeit konnte man noch nicht alles Mögliche übers Netz vorab klären – aber das machte auf der andren Seite auch eine Menge Spaß, es war ein richtiges Abenteuer", erinnert sich Zhang.

Bis heute hat er bereits 24 Provinzen allein in China und fünf weitere Länder bereist. In seinen Augen ist der Westen der Republik am schönsten -- und das liegt nicht zuletzt an der lokalen Küche: "Wenn ich mir ein neues Ziel aussuche, spielt das Essen immer eine große Rolle", so Zhang.

Manchmal organisiert Zhang auch Reisegruppen über das Internet. Bevor er allerdings neue Kandidaten in die Gruppe aufnimt, erkundigt er sich nach den Reiseerfahrungen der Kandidaten und klärt die jeweilige physische Belastbarkeit.

„Das sind notwendige Fragen, besonders wenn es um Orte wie Tibet geht", so Zhang. „Manche Menschen wollen einfach unbedingt reisen und bereiten sich nicht entsprechend vor."

Im Februar 2003 machte Zhang eine siebentägige Wanderung durch Nepal., die ersten vier Tage in der Gruppe, die letzten drei allein. Seine Erfahrungen hatte er später dann online gestellt.

"Menschen, die meinen Blog lessen, denken oft, ich hätte unglaublich viel Freizeit und Geld. Doch ist überhaupt nicht der Fall, ich habe genauso viel Urlaub, wie jeder andere Arbeitnehmer auch. Da sind sieben freie Tage um den Nationalfeiertag, nochmals sieben zum Frühlingsfest und jeweils drei zu den anderen drei Feiertagen", zählt Zhang. "Wenn man das zu einem Trip addiert, kann man eben auch eine längere Reise machen."

Zehn Jahre Reiseerfahrungen hätten ihn verändert, erzählt Zhang: "Ich war ganz schön gefühlsduselig – und sehr, sehr eingeschränkt, was meinen Horizont betrifft. Aber heute bin ich auf der einen Seite rationaler und auf der anderen ruhe ich mehr in mir selbst. Das Reisen hat mich ausgesprochen positiv verändert."

Zhang freut sich, dass sich immer mehr Menschen nicht nur furs Reisen interessieren, sondern auch mutig genug sind, los zu legen. Dennoch, "es gibt auch Extreme, besonders unter jungen Reisenden, die sich nicht richtig vorbereiten. Im Netz findet man manchmal Geschichten, in denen jemand für 1.000 Yuan nach Tibet gereist ist. Wir wissen alle, dass das unmöglich ist, und Tipps wie per Anhalter fahren oder um günstigere Zugtickets feilschen halte ich nicht für gut."

Normalerweise recherchiert Zhang nur ein bisschen im Netz, bervor er sich auf eine Reise begibt. „Ich lese selten Reiseempfehlungen, denn unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Erfahrungen und Bedürfnisse. Ich verlasse mich lieber auf meinen eigenen Eindruck – denn nichts ist so lebendig wie das, was du mit eigenen Augen gesehen hast", erzählt er.

 

 
 
Im Inneren des Busludscha-Denkmals in Bulgarien 
Den eigenen Weg finden

Die Designerin und Fotografin Yang Xiao unternahm ihre erste Individualreise 2008 nach Kamboscha.

Heute arbeitet sie bei qyer.com, einer Webseite, auf der sich Reisende über ihre Erfahrungen austauschen und nach praktischen Möglichkeiten suchen, um günstig um die Welt zu kommen.

Doch Xiao's Interessen unterscheiden sich von denen der meisten anderen Individualtouristen: "Ich liebe es, nachts zu fotografieren und verlassene Fabriken, Ruinen oder Tunnel zu durchforschen." Sie ist grundsätzlich mit Kamera und Stativ unterwegs, um überall fotografieren zu können.

Die Streifzüge durch die Stadt, die Xiao nachts unternimmt, sind manchmal schwierig und mitunter auch gefährlich. Doch ihr Wunsch nach dem "perfekten Bild" ist stärker, als die Angst und verleiht ihr mitunter ungeahnte Kräfte. Mit ihrer Kamera malt Yang "Bilder aus Licht", indem sie mit Langzeitbelichtung bewegte Lichtquellen fotografiert und so ihre ganz eigene Perspektive auf die Welt festhält.

Der beeindruckenste Ort, an dem Yang je war, war ein UFO-förmiges Monumet in Bulgarien, das "Buzludja".

„Für die Menschen hier ist dieses riesige Bauwerk eine Erinnerung an die eigene Geschichte, eine ewige Botschaft", so Yang. „Doch für mich ist es nicht mit Politik oder Geschichte verbunden, sondern mit der Ewigkeit. Ich habe mich sofort in dieses Monument verliebt."

Heute begibt sich Xiao drei bis vier Mal im Jahr auf die Reise, Manchmal allein, manchmal mit ihrem Freund. Insgesamt war sie bereits in 20 Ländern. Da die meisten Orte, die sie interessieren, nicht besonders bekannt sind, muss sie eine Menge vorab recherchieren, womit sie meist Monate vor Abreise beginnt.

Etwa 10.000 bis 20.000 Yuan (1.640 - 3.280 $) kostet laut ihr eine zehn bis 20-tägige Reise nach Europa

"Ich denke, qiongyou bedeutet, sich nicht mit anderen Menschen zu vergleichen, sondern die Welt auf seine ganz eigene Art zu entdecken", so Xiao.

Mit diesem Fahrand fuhr Yuan Song die Great Ocean Road in Australien entlang

Yuan Song, der in einem staatlichen Betrieb in Beijing arbeitet, sieht das ganz ähnlich. 2011 hatte er beschlossen, in den nächsten drei Jahren alle fünf Kontinente zu bereisen. Aber nachdem er bereits mehr als 20 Länder allein in Asien und Europa bereist hatte, fiel im auf, dass er wohl mit seinen Freunden um die Wette reiste. "Es ist wie ein Impuls", erzählt Yuan. "Erst, wenn du mitten drin bist, bemerkst du, dass es beim Reisen nicht darum geht, möglichst viele Länder zu besuchen, sondern um das Reisen an sich."

Seine ersten vier Reisen unternahm er alle nach Europa – und allein. "Zuvor bin ich noch nie aus China raus gekommen. Darum war ich schon ein bisschen besorgt, was alles passieren könnte. Doch vor Ort erschien plötzlich nichts mehr so schwierig, wie ich anfangs befürchett hatte."

Mittlerweile könne er alle notwendigen Unterlagen für ein Visa-Antrag an einem Tag zusammenstellen, erzählt Yuan. Essen und Kultur, das sind die zwei Dinge, die ihn auf Reisen am meisten interessieren. Solange es nicht zu teuer ist, probiert er all zu gerne alle lokalen Spezialitäten, versucht, ein bisschen die Landessprache zu erlernen und abends auf Konzerte oder ins Theater zu gehen.

"Ich will dem Reisen nicht irgendeine tiefere spirituelle Bedeutung zuschreiben, das würde es für mich ruinieren", sagt er noch. "Es geht mir dabei darum, Erfahrungen zu sammeln und Spaß zu haben."