29-10-2013
Ökologie
Umstrittene Umsiedlung von Baudenkmälern
von Li Li

Der Wiederaufbau architektonischer Schätze an neuen Orten könnte sich als doppelseitiges Schwert erweisen.

 

Ungewöhnliche Umsiedlung: Ein altes Holzhaus wird in einem Touristenort in Wuyuan County (Provinz Jiangxi) wiederaufgebaut. Vorher stand es in einem abgelegenen Dorf. Zheng Qingyuan

 

Am 6. September wurden erstmals die Bauwerke, die der Hongkonger Filmstar Jackie Chan der Singapurer Universität für Technologie und Design geschenkt hatte, enthüllt.

Chans Schenkungen stammen aus der Ming- (1368-1644) und Qing-Dynastie (1644-1911), sie beinhalten einen Pavillon, eine Opernbühne und zwei Häuser. Chan erwarb sie in den 1990er Jahren in der ostchinesischen Provinz Anhui, dem Entstehungsort des historischen Anhui-Baustils.  

Die vier Bauwerke wurden 2010 per Schiff nach Singapur transportiert. Sie werden nun restauriert und sollen ab 2015 als „Vereinshaus" für Universitätsmitglieder und Studenten, als Bühne für Freiluftaufführungen und „Ruheplatz" auf dem Campus dienen.

Als Chan seine Schenkung erstmals im April online bekannt machte, erntete er einen Sturm der Kritik von Seiten chinesischer Internetnutzer. Sie verurteilten die Herausgabe chinesischer Architekturschätze ins Ausland.

In einem Interview mit dem staatlichen Fernsehsender CCTV verteidigte Chan seine Entscheidung. Seine Absicht sei es, den internationalen Kulturaustausch zu fördern.

"Wir müssen einige unserer Kunstwerke im Ausland zeigen, damit man dort unsere Kultur kennen lernen kann". Die betroffenen Gebäude seien nicht einzigartig, kein einmaliges nationales Kulturgut, wie viele irrtümlicherweise angenommen hatten.  

Er habe Singapur als neuen Standort für seine Sammlung gewählt, weil man dort über moderne Techniken zum Schutz und Erhalt alter Gebäude verfüge und großen Wert auf die Bewahrung der eigenen historischen Architektur lege, erklärte Chan. Er habe die Angebote einiger lokaler Regierungen in China zurückgewiesen, weil er befürchtete, dass seine Bekanntheit nur dazu benutzt werden würde, Pläne für kommerzielle Projekte in unmittelbarer Umgebung der restaurierten Bauwerke zu fördern.

Chans Vorgehen sorgte unter Historikern und Architekten auch für Diskussionen über die übliche Praxis, alte Gebäude ab- und anschließend an einem anderem Ort wiederaufzubauen.

Viele warnen davor, dass der kulturelle und historische Wert der Gebäude durch eine Umsiedlung leiden könne.

Ruan Yisan, Architekturprofessor an der Tongji University in Shanghai, spielte eine wichtige Rolle beim Schutz der für Shanghai typischen Shikumen-Architektur, die westliche und chinesische Elemente von Wohnhäusern kombiniert und in den 1860er Jahren entstand. Gebäude würden sich von anderen historischen Objekten unterscheiden, meint er, historische Architektur sei nur in der Interaktion mit Menschen lebendig, nicht, wenn sie sich in Einzelteile zerlegt in einem Lager befände.

Geschäftsinteressen

Der Wert von Antiquitäten ist in den letzten Jahren in China rapide angestiegen, viele wohlhabende Chinesen haben historische Gebäude, vor allem Holz- und Steinteile mit filigranen Schnitzereien und Balken aus seltenem Holz, erworben. Ihre neuen Errungenschaften liegen dann oft ungenutzt in Lagerräumen herum, einige Holzobjekte verrotten, bevor sich ein neuer Käufer findet. Wenn sie dann gewinnbringend wiederverkauft wurden, steigt das Risiko, dass zerbrechlichere Objekte auf langen Transportwegen beschädigt werden.

Zhu Junbo, stellvertretender Direktor der Shanghai Press and Publication Administration, spricht sich für ein Verbot dieses Handels aus.

Viele Verkäufer historischer Gebäude argumentieren dagegen, dass Gebäude so davor bewahrt werden, wie Müll behandelt zu werden. Die Objekte, die Chan verschenkte, wären in China gar nicht zur Kenntnis genommen worden, während sie in Singapur geschätzt und bewundert würden, was mehr Ausländern ein Verständnis der chinesischen Architekturästhetik und ihrer engen Verbindung zu ihrer natürlichen Umgebung ermöglichen würde.

Vielen historischen Gebäuden in China droht der Abriss, vor allem auf dem Land. Traditionelle chinesische Gebäude bestehen aus Ziegeln und Holz, was sie anfällig für Feuer, Überschwemmungen und Termiten macht. Sind sie mehr als 200 Jahre alt, sind sie oft nicht mehr sicher. Dann reißen Bauer ihre alten Häuser oft ab, um an gleicher Stelle neue Gebäude aus Stahl und Beton zu bauen.

Seit mehreren Jahrzehnten engagiert sich Zhao Wenlong, Händler für antike Möbel in Shanghai, für den Bau eines Gartens, in dem Holzhäuser stehen sollen, die aus Originalmaterialien wiederaufgebaut wurden.

Zhao (57) errichtete seinen Huizhen-Garten auf einem Stück Land, das er in 2000 in einem Shanghaier Vorort kaufte. Der Platz im Bezirk Songjiang ist jetzt Heimat für rund ein Dutzend restaurierte Holzhäuser aus der Ming-Dynastie. Darunter sind Meistwerke wie die ehemaligen Residenzen des Gelehrten Huang Yanpei (1878-1965) und des ehemaligen Vizepräsidenten Chinas, Rong Yiren (1916-2005).

Die wunderschönen Gebäude wurden allesamt an ihrem Originalstandort abgebaut, nach Songjiang transportiert und dort aus Originalmaterialien sorgfältig wieder aufgebaut.  

Zhao wurde durch ein Erlebnis während einer seiner Reisen ins ländliche Anhui zum Schutz historischer Gebäude inspiriert. Auf der Suche nach antiken Möbeln besuchte er in einem abgelegenen Dorf ein eingefallenes, über 200 Jahre altes Haus. Alle seine hölzernen Bestandteile mit Schnitzereien waren entfernt und an Antiquitätenhändler verkauft worden. Im Hof sah er, wie mehrere Bauern einen 12 Meter langen Balken in mehrere Teile zerlegten, um daraus Möbel zu fertigen. 

"Der Balken war aus einem mindestens 1000 Jahre alten Gingko-Baum gefertigt, ein Hinweis auf die Pracht des Hauses und die Bedeutung der Familie", erklärte Zhao der Xinmin Weekly in Shanghai. „Niemand wird aber je von diesem großartigen Haus und seiner Geschichte erfahren, da es zerstört wurde. Ich konnte diese Szene nicht vergessen,

nachdem ich das Dorf verlassen hatte."

Seitdem befindet sich Zhao auf einer Mission zur Restaurierung alter Häuser.

Anders als die meisten Antiquitätenhändler, die nur ihre Gewinne aus dem Handel mit Architekturobjekten im Sinn haben, sah Zhao auch den kulturellen Wert jedes Stücks. Selbst nachdem er genügend Häuser und Möbel für seinen Garten gefunden hatte, kommen immer noch Händler, die ihm Möbel und Gebäudeteile aus dem Familienbesitz verkaufen wollen.

"Ich sagte ihnen: Unterschätzt nicht den Wert dieses kleinen Holzstücks, das Zeuge des Lebens eurer Eltern oder Großeltern war. Auch wenn die älteren Generationen nicht mehr leben, können diese Gegenstände immer noch ein Instrument sein, mit dem Nachwuchs zu kommunizieren", erklärt Zhao.

Die zweitbeste Lösung

Der Kauf alter, vom Einsturz bedrohter Gebäude diene ihrem Schutz, da ganz gewöhnliche Leute und lokale Regierungen sich ihres wirtschaftlichen und kulturellen Werts bewusst würden, wenn sie erhalten werden, so Professor Ruan. Er spricht sich dennoch dagegen aus, sie an andere Standorte zu bringen.

Die Entfernung alter Häuser aus ihrer Originalumgebung, dem ursprünglichen Klima, ihrem natürlichen und kulturellen Umfeld, könnten sie in der neuen Umgebung absurd wirken lassen und den kulturellen Kontext verändern, so seine Bedenken.

Restaurierte traditionelle Wohnhäuser im Anhui-Stil, die aus einem quadratischen Hof mit umliegenden Häusern an allen vier Seiten bestehen, die das Regenwasser von den Dächern auffangen, würden in Beijing einfach fehl am Platz wirken, da hier anders als in vielen Gegenden Anhuis kein Wassermangel herrschte, erklärt Ruan.

Viele lokale Regierungen würden die Umsiedlung historischer Gebäude irrtümlich als wesentlich für ihren Schutz ansehen und nicht verstehen, dass der bloße Wiederaufbau an einem neuen Ort den Schutz nicht verbessert.

Artikel sieben der Internationalen Charta zur Erhaltung und Restauration von Denkmälern und Orten lautet: „Ein Denkmal ist nicht von seiner Geschichte und Umgebung zu trennen. Der Umzug des gesamten Denkmals oder einiger Teile ist nicht erlaubt, außer der Schutz des Denkmals macht dies erforderlich, oder wenn es durch nationale oder internationale Interessen von höchster Bedeutung gerechtfertigt ist."

Das sieht auch Zhao Xuemin, stellvertretender Direktor des Nationalen Forschungszentrums für Historische Städte, so. Idealerweise erfordere der Erhalt eines alten Wohnsitzes auch den Schutz der gesamten Umgebung, einschließlich Brücken, Ahnensälen, Aufführungsorten und Klostern.

Zhu ist nicht ganz derselben Meinung. Zwar sei die Sanierung historischer Gebäude an ihrem Originalstandort die beste Methode, häufig aber aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht realistisch. Die Bauwerke an anderer Stelle zu restaurieren, sei daher die zweitbeste Möglichkeit.

Insgesamt 41 historische Häuser sind seit 1985 in einem Ferienort am Jiming-Berg in Longyou County (Provinz Zhejiang) wiederaufgebaut worden. Der Ort wurde im März in die Liste bedeutender nationaler Denkmäler aufgenommen und ist wie ein altes Dorf angelegt, mit Brücke, Pavillon und Theater.

Das Ganze war die Idee von Luo Zhewen (1924-2012), einem gefeierten Experten für historische chinesische Architektur. In den 1980er Jahren besuchte Luo mehrmals Longyou, das vor mehr als 3000 Jahren die Hauptstadt eines der alten chinesischen Königreiche war. Nachdem er viele alte Wohnhäuser kurz vor dem Einsturz gesehen hatte, schlug er der örtlichen Regierung vor, einige der Gebäude zu ihrem Schutz an einen neuen Ort zu verlegen. Die Regierung folgte dieser Bitte.

"Dies ist ein Einzelfall", erklärte Zhong Jinzhu, stellvertretender Direktor des Fremdenverkehrsamts von Longzou und verantwortlich für den dortigen Denkmalschutz. „Wir versuchen weiterhin, die Gebäude an ihrem Entstehungsort zu erhalten, das bietet den bestmöglichen Schutz und wir verlegen sie nur, wenn das mehr Nutzen bringt", erklärte er der Zeitung Wen Hui Bao in Shanghai.