16-10-2009 Beijing Rundschau Ein Dialog zwischen Su Tong und seinem Übersetzer Marc Hermann von Zeng Wenhui
Am ersten Tag der Frankfurter Buchmesse hat Su Tong, in China ein berühmter Schriftsteller, mit dem Übersetzer seines Werks „Binu" (dt. „Die Tränenfrau: Der Mythos von der treuen Meng") einen Dialog in der Ehrengasthalle Chinas geführt. Marc Hermann erzählt, seine erste Begegnung mit dem Werk von Su Tong habe sich Anfang der 90er Jahre zugetragen: er sah den Film „Rote Laterne" von Zhang Yimou, der auf dem Roman „Eine Schar von Frauen und Nebenfrauen" von Su Tong basiert. Fasziniert von dem Film kaufte er sich das Buch. Da er damals noch nicht Chinesisch konnte, musste er auf eine deutsche Fassung zurückgreifen, die Stefan Linster aus der französischen Übersetzung geschaffen hatte! Später las er die anderen Bücher Su Tongs, die mittlerweile aus dem chinesischen Original ins Deutsche übersetzt worden sind: „Die Opium-Familie" und „Reis". Im Jahre 2006, Marc Hermann hat inzwischen sein Sinologiestudium absolviert und ist als Übersetzer chinesischer Gegenwartsautoren hervorgetreten, ruft der Berlin Verlag bei ihm an und fragt, ob er einen Roman von Su Tong übersetzen möchte. Das Buch gehört zu einem Projekt, an dem 30 Verlage teilnahmen. Als Hermann mit der Übersetzung begann, war das chinesische Original noch gar nicht publiziert worden. Der Roman sollte zeitgleich in der Originalsprache und den Zielsprachen erscheinen.
Su Tong und Marc Hermann sind sich nie zuvor begegnet. Su Tong ist der Meinung, dass ein Autor auf verschiedene Weise das kulturelle Erbe einer Nation überliefern kann, eine davon ist, ein Mythenmärchen neu zu deuten. Mit der Geschichte der Tränenfrau, der treuen Meng, wollte er keinen geschichtlichen Kaiser kritisieren, sondern mehr über Elend und Bitternis des Volkes berichten und die Geschichte der Gefühlswelt einer Frau erzählen. Marc Hermann sagt, dass im deutschsprachigen Raum die Rezeption von „Binu" ein bisschen schwierig sei, weil es ein Märchen oder eine Legende aus einer Zeit vor über 2000 Jahren ist, und die deutschen Leser durch Literatur eigentlich das aktuelle China kennen lernen möchten, am liebsten das Leben in den großen Städten des Landes. Nach seiner Meinung sei der Roman sehr interessant, da er einen starken Brückenschlag auch zur heutigen Zeit liefere. Literarisch sei Su Tongs größte Qualität, dass er sehr klassisch erzählen könne. Wegen seines „filmischen" Erzählens kann man sich sofort die beschriebene Situation vorstellen, insofern sei es auch sehr angenehm, das Buch zu übersetzen. Über die Schwierigkeiten im Prozess des Übersetzens sagt Marc Hermann, dass es grundsätzlich zwei Arten von Übersetzern gebe, der eine schreibt bei einem Witz, der unübersetzbar ist, eine Fußnote in der steht: „das ist ein Witz", und sagt dann nichts Näheres mehr darüber. Der andere Übersetzer will den Witz unbedingt übersetzen, selbst wenn das, was dabei herauskommt, vom Original abweicht. Besonders bei Wortspielen ist es sehr schwer, eine textgetreue Übertragung zu liefern. Kann er die witzige Wirkung nicht an dieser Stelle erzielen, dann baut er eben an anderer Stelle einen Witz ein. „Ich gehöre zur zweiten Art von Übersetzern, ich will nicht unbedingt ganz wörtlich übersetzen, ich versuche, dieselbe Wirkung wie im chinesischen Original zu erzielen", so Hermann weiter.
Marc Hermann hat zunächst Germanistik studiert, dann an der Fudan-Universität Chinesisch gelernt und in Kiel und Bonn Sinologie studiert. Derzeit promoviert er bei Wolfgang Kubin. Vor fünfzehn Jahren hat er damit begonnen, Chinesisch zu lernen. Das Germanistik-Studium findet er allerdings unverzichtbar für seine Arbeit: „Für einen Übersetzer ist die Zielsprache viel wichtiger als die Ausgangssprache. Der Übersetzer muss auf Augenhöhe mit dem Schriftsteller schreiben können. Deshalb übersetze ich nicht, um Kultur zu vermitteln, sondern aus meiner Liebe zur deutschen Sprache", sagt Hermann.
Über die Möglichkeiten der chinesischen Literatur, nach „draußen zu gehen", meint Su Tong, es sei natürlich gut, dass die chinesische Literatur auf die Weltbühne tritt. Wenn es aber nicht klappt, dann sei dies auch keine Katastrophe. Bücherverkaufszahlen und Bekanntheitsgrad eines Schriftstellers können gar nicht unabhängig sein von Zeit und Raum: „Wenn der Kreis der Konsumenten sehr groß ist, also China, Europa und Amerika einschließt, ist das natürlich sehr gut. Bleibt der Leserkreis allerdings klein, ist dies auch verständlich", sagt Su Tong. Als Beispiel nennt er das klassische chinesische Literaturwerk von Cao Xueqin, „Der Traum der Roten Kammer": „Jeder Chinese findet dieses Buch großartig, aber im Westen ist die Kenntnis dieses Werkes praktisch auf den kleinen Kreis der Sinologen beschränkt. Aber niemand wird deswegen die Bedeutung des Werkes von Cao Xueqin verneinen."
Su Tong sagt, „ein Autor ist wie eine Laterne. Ein Laterne kann die Dunkelheit erhellen, egal wie stark sie ist, sie kann doch einen gewissen Raum beleuchten. Man soll gar nicht erst davon träumen, dass die Laterne die ganze Welt erhellen kann. Das ist unmöglich." Su Tong hält es natürlich für einen Vorteil, wenn ein Schriftsteller eine breite Leserschaft hat. Aber selbst wenn dies bei ihm nicht der Fall wäre, so würde er auch zufrieden sein, wenn er nur tausend treue Leser hätte.
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