22-01-2010 Beijing Rundschau
Holzschnitzer Tan
Von Wu Yanfei

Er ist der erfolgreichste Holzschnitzer Chinas. Er verkauft weltweit mehr als 3,5 Millionen Kämme im Jahr. Seit Ende 2009 werden die Aktien seines nach ihm benannten Unternehmens „Holzschnitzer Tan" an der Hongkonger Börse gehandelt. Bislang hat der einstige Hungerkünstler aus Chongqing ein Vermögen von mehr als 600 Millionen Yuan angehäuft. Tan Chuanhua legt Wert auf die Feststellung, dass er davon weder eine luxuriöse Büroausstattung, noch eine Strech-Limo kaufen wird. Weiterhin will er alles Geld in den Betrieb stecken: moderne Herstellungsverfahren und gehobenes Produktdesign sind das Gebot der Stunde. 

„Mein Kindheitstraum war es, Dichter oder Maler zu werden. Leider hat sich der bis heute nicht erfüllt. Dafür wäre ich beinahe auf der Straße verhungert. Heute bin ich Holzschnitzer, das ist mein Schicksal."

Von nichts kommt nichts

Anders als viele Unternehmer, die bestrebt sind, die Geschichte ihres Aufstiegs zu verbergen oder zu beschönigen, geht Tan Chuanhua ganz offen mit den schwierigen Anfangszeiten seines Unternehmens um. Eine kurze Firmengeschichte, versehen mit Skizzen zum Herstellungsprozess von Kämmen, hat er an einem Holzbord schnitzen lassen. Es dient mittlerweile als Logo des Unternehmens und findet sich überall dort, wo Produkte aus dem Hause Tan in den Handel gelangen.  

Tan Chuanhua wurde in einem Dorf im Regierungsbezirk Chongqing geboren. Sein Vater war Schreiner von Beruf und Inhaber eines kleinen Betriebs. Als Folge eines Unfalls beim Fischen verliert Tan seine rechte Hand, damals ist er 18 Jahre alt. Um dennoch irgendeinem Broterwerb nachgehen zu können, lernt Tan von seinem Bruder das Malen. Er erweist sich als sehr talentiert und wird später von einer Grundschule als Lehrer angestellt. 

Aus Liebeskummer verlässt Tan seine Heimat. Auf der Suche nach der Erfüllung seines Traums wollte der 23-Jährige hinaus in die Welt. Anfang der 80er Jahre gab es in China noch kaum Wanderarbeiter. Tan war einer der ersten von ihnen. Er erinnert sich, wie er damals in Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan, als Porträtmaler seinen Lebensunterhalt verdiente: „An jedem Porträt habe ich zwei Yuan verdient. Die zwei Yuan waren für mich sehr wichtig, denn so musste ich auf meiner Wanderschaft nicht verhungern."

Design oder Nicht-Design?

Zwei Jahre später, zurück in der Heimat, erbt Tan den Familienbetrieb und wird Holzschnitzer. Anfangs wusste er gar nicht, wie er das Geschäft angehen sollte. Schließlich entschied er sich für die Produktion von Kämmen, weil dazu seiner Meinung nach weniger Startkapital erforderlich ist und fast jeder einen Kamm braucht. Aber aller Anfang ist schwer. Als er seine ersten Produkte auf der Straße zum Verkauf anbietet, bleiben nur wenige an seinem Stand stehen: „Am ersten Tag habe ich mit meinen vier Mitarbeitern nur einen einzigen Kamm verkauft", erinnert sich Tan Chuanhua mit einem Lächeln. Anfangs konzentrierte er sich auf die saubere Verarbeitung der Kämme, von Design konnte da noch keine Rede sein. Erst der Rat eines Freundes lenkt Tans Aufmerksamkeit auf das Design. Er greift auf den klassischen Kanon chinesischen Gestaltens zurück: „Wir verwenden chinesische Kalligraphie, Gedichte oder traditionelle Liebesgeschichten als Motive für unser Kammdesign. Zu unserer Freude und Überraschung kommt das bei den Kunden sehr gut an. Diese in Handarbeit hergestellten Kämme werden zumeist als Geschenk gekauft." Tan ist sehr stolz darauf, dass es ihm gelungen ist, aus einem unauffälligen Alltagsgegenstand ein richtiges kleines Kunststück zu machen.

Ein Bank- und Mediencoup

1995 lässt Tan Chuanhua die Marke „Holzschnitzer Tan" registrieren. Damals wollte er die Produktion ausbauen, ist aber prompt auf ein anderes großes Problem gestoßen. Von keiner Bank war Geld zu bekommen. Das Misstrauen der Banken traf die gesamte Privatwirtschaft in China. Aus übergroßer Vorsicht wollten die staatlichen Banken nur an staatseigene Unternehmen Geld verleihen. Der Finanzierungsbedarf mittelständischer Privatunternehmen wurde ignoriert. Der verärgerte Holzschnitzer hat am 19. August 1997 eine ganzseitige Anzeige im „Chongqing Handelsblatt" geschaltet, um seine Zahlungsfähigkeit zu beweisen und das Vertrauen der staatseigenen Banken zu gewinnen. Zahlreiche Medien aus aller Welt haben über diesen Vorgang berichtet. So wurden das schwierige Verhältnis zwischen staatseigenen Banken und Chinas Privatwirtschaft zum Thema. Tan Chuanhuas Anzeige hat sich ausgezahlt: Die Bank stellte ihm einen Kredit in Höhe von einer Million Yuan zur Verfügung und die Medienberichte hatten die Aufmerksamkeit auf seine Holzkämme gelenkt. 

Die eigene Ladenkette

1998 fällte Tan eine weitere riskante Entscheidung: er zog sich aus den großen Einkaufszentren zurück und eröffnete stattdessen eigene Ladengeschäfte. Er beauftragte eine bekannte Marketing- und Werbefirma damit, seine Marke zu relaunchen. Unter einheitlichem Label und mit einer speziell für seine Geschäfte entworfenen Innenausstattung – er musste insgesamt ein Drittel seines Jahresgewinns dafür investieren – hat er seinen Betrieb neu aufgestellt. Der Aufwand hat sich gelohnt: Während die Konkurrenz den Markt mit Billigprodukten überschwemmt, verkauft Tan nun hochwertiges, vor allem aber prestigeträchtiges Edelkunsthandwerk. Neben Holzkämmen hat er nun auch Kämme und kleine Objekte aus Horn, Bambus oder Knochen im Sortiment. Heute gibt es in China mehr als 800 Geschäfte des Holzschnitzers Tan, jährlich werden in ihnen 3,5 Millionen Kämme verkauft.

„ Ich will mit Kämmen ein Jahrhundertgeschäft machen", so Tan Chuanhua. „Seit der Eröffnung des ersten Ladengeschäfts muss ich jeden Tag gegen die Versuchungen des Luxuslebens ankämpfen! Ich sage mir: kein schickes Büro, kein protziges Auto. Ich habe gelernt, dass man sich auf seine Spezialität konzentrieren muss. In der Beschränkung zeigt sich der Meister. Ich denke an nichts anderes als an Kämme, jetzt träume ich davon, den besten Kamm der Welt herzustellen."
 
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