Der Einfluss des ehemaligen französischen Präsidenten Charles de Gaulle auf die chinesisch-französischen Beziehungen zeigt sich auch weiterhin.
Großer Staatsmann: Am 6. Juni 1964 erweist der chinesische Botschafter in Frankreich, Huang Zhen, (links) Frankreichs Präsident Charles De Gaulle (Mitte) und Außenminister Maurice Couve de Murville im Élysée-Palast seine Referenz. CNSPHOTO
Wenn die Rede, die der ehemalige französische Präsident Charles de Gaulle (1890-1970) vor 48 Jahren in Phnom Penh hielt, schon episch war, dann ist die Adaption dieses Ereignisses in Wong Kar-wais Erfolgsfilm „In The Mood For Love" in gewisser Weise sicher noch überraschender und prägender. Der historische Moment ist sicher offen für viele Interpretationen. Doch dieser ungemein realistische Moment eingebettet in ein poetisches Werk signalisiert zweifellos die subtile nicht zu unterschätzende Präsenz des Franzosen in der chinesischen Mentalität.
Es gibt ein Sprichwort, das man Napoleon Bonaparte nachsagt, auch wenn er es aller Wahrscheinlichkeit nach nie geäußert hat: „Wenn China erwacht, dann wird die Welt beben." Auf einer Pressekonferenz am 9. September 1965 drückte sich De Gaulle nuancierter aus: „Eines Tatsache von größter Bedeutung, die dabei ist, die Welt zu verändern, ist es, dass Chinas tiefgreifende Transformation das Land in eine führende globale Position katapultieren wird."
Die Geschichte hat De Gaulles Vorhersage bestätigt. Die chinesische Renaissance hat die weltweite Verteilung der Macht in einem langsamen, aber stetigen Prozess auf friedliche und gewaltlose Art und Weise verändert.
Strategisches Denken
Am 27. Januar, vier Tage vor dem diesjährigen Chinesischen Neujahrsfest, feiern wir das 50-jährige Jubiläum der chinesisch-französischen Beziehungen. Aus französischer Perspektive war es De Gaulle, der grünes Licht gab und als erster die Volksrepublik China anerkannte.
Als Frankreichs Botschafter Lucien Paye (1907-72) am 27. Mai 1964 in Beijing ankam, war China nicht nur in einen ideologischen Kampf mit der von den USA angeführten westlichen Welt verwickelt, sondern stand zudem noch mit seinen beiden größten Nachbarländern Indien und der Sowjetunion auf Kriegsfuß.
Der demokratische US-Präsident Lyndon Johnson (1908-73) hielt stur an seiner Eindämmungspolitik fest und führte zur Bekämpfung des Kommunismus eine massive militärische Intervention in Vietnam durch. 1962 gerieten Indiens Streitmacht und die chinesische Volksbefreiungsarmee aufgrund unüberbrückbarer Differenzen hinsichtlich der Grenzfrage am Himalaya aneinander. Als weiteres Zeichen für den Bruch der chinesisch-sowjetischen Freundschaft unterstützte der sowjetische Führer Nikita Chruschtschow (1894-1971) Indiens Premierminister Jawaharlal Nehru (1889-1964) in dieser Streitfrage.
Die USA übernahmen in der Nachkriegszeit eine wichtige und führende Funktion im weltpolitischen Geschehen. Die von US-Präsident Richard Nixon initiierte Öffnung gegenüber China in den 1970er Jahren war ein überaus wichtiger historischer Wendepunkt. Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger schloss sich dieser Haltung an und änderte seine Außenpolitik. Kissinger äußerste sich in seinem 1994 erschienen Buch „Diplomacy" folgendermaßen über De Gaulle: „Interessanterweise war De Gaulle der erste, der die Chance im Bruch zwischen China und der Sowjetunion sah." Bedauerlicherweise erwähnte er in seinem kürzlich erschienen Buch „On China" (2011) die Vorreiterrolle des Franzosen nicht, als wolle er in der Erinnerung als alleiniger Pionier der Öffnung des Westens gegenüber China gelten.
Mit einer Körpergröße von 1,96m wurde De Gaulle von seinen Landsleuten liebevoll „Der große Charles" genannt. De Gaulle war ein begnadeter Redner, der zudem sechs Bücher geschrieben hatte, bevor er sich seinen berühmten Memoiren widmete.
Am 31. Januar 1964 verkündete er auf einer Pressekonferenz im Élysée-Palast vor Hunderten von Journalisten seine Entscheidung, Beijing anzuerkennen.
Die Pressekonferenz war außerdem ein unvergesslicher Moment der De Gaullschen Inszenierung. Das „Time"-Magazin beschrieb das Ereignis mit folgenden Worten: „Mehr als 1000 Reporter, Diplomaten und Offiziere erwarteten voller Spannung die Ankunft De Gaulles, als sich um Punkt drei Uhr der rote Vorhang öffnete und er würdevoll ans Podium trat."
Dieser theatralische Auftritt sollte jedoch nicht von den Inhalten ablenken. De Gaulles Argumentation stützte sich auf zwei solide Pfeiler, beide charakteristisch für ihn: eine langfristige Sicht der Dinge und das Bemühen, über kurzfristige und vorübergehende Phänomene hinweg auf eine dauerhafte Realität zu blicken.
Offensichtlich war Frankreichs frühe Anerkennung der Volksrepublik China geopolitisch motiviert. Indem Frankreich Maos Regierung anerkannte, signalisierte die französische Regierung sowohl den Vereinigten Staaten als auch der Sowjetunion, dass Frankreich autonom war und eigenständig diplomatische Entscheidungen treffen konnte. De Gaulle war sich durchaus bewusst, dass auch China danach strebte, die eigene Souveränität zu festigen.
De Gaulle glaubte fest daran, dass eine multipolare Weltordnung förderlicher sei für ein nachhaltiges, tragfähiges Gleichgewicht als eine unipolare oder gefährliche bipolare Struktur. In einigen Kreisen sorgte seine Politik jedoch für Unruhe und Besorgnis.
Es wäre jedoch falsch, De Gaulles Entscheidungen auf die Politik allein zu reduzieren. Indem er China als Zivilisation anerkannte, ging er über das gewöhnliche geopolitische Kalkül hinaus und nahm eine wesentlichere Realität wahr. Seiner Ansicht nach sollte Frankreich nicht nur mit einer anderen Regierung zusammenarbeiten, sondern vor allem mit der uralten chinesischen Zivilisation eine freundschaftliche Beziehung aufbauen.
De Gaulle war dermaßen von der Idee der Beständigkeit überzeugt, dass er die Idee eines „ewigen Chinas", welches „sich seiner eigenen unabänderlichen Dauer und Beständigkeit bewusst ist und stolz darauf ist", heraufbeschwor.
Konkreter Universalismus
Die Welt hat sich in den letzten fünf Jahrzehnten stark verändert, nicht jedoch die Prinzipien des Gaullismus, der darin besteht, nach ewigen Realitäten zu agieren.
De Gaulle dachte und handelte mit Größe und Erhabenheit – „la grandeur" – eine Eigenschaft, die tief in der französischen Seele verankert ist. Auch wenn sich die Machtverhältnisse zum Teil verschoben haben und Frankreich im Vergleich zur aufsteigenden chinesischen Nation an Einfluss verliert, so ist sein Selbstbild unverändert geblieben. Frankreich ist sich nach wie vor seiner Rolle bewusst. Die Imperative „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" sind zugleich Ergebnis und Antrieb der französischen Leidenschaft und „grandeur".
Der chinesische Begriff „中" (zhong, Mitte, Zentralität) ist das Gegenstück zur französischen „grandeur". Wenn „grandeur" die französischen Monarchen, Herrscher und Präsidenten inspiriert hat, dann hat „zhong" sicher das „Land der Mitte" zu seiner Namensgebung inspiriert. Sowohl Versailles als auch die Verbotene Stadt, sowohl Place de la Concorde als auch der Platz des Himmlischen Friedens sind Bauwerke, die einen Zusammenhang zwischen der „großen Nation" und dem „Land der Mitte" herstellen.
Beide Länder haben ein sehr positives Bild von sich selbst. Beide Länder sind stolz und besonders sensibel, was ihren Status angeht. So reagieren beide Länder bei einem Angriff auf ihre Größe oder ihre Zentralität mit größerer Empfindlichkeit und fühlen mehr Schmach als so manch anderes Land.
Die Diskrepanz zwischen Frankreichs Repräsentation nach außen und seiner tatsächlichen Macht vergrößert sich, während Chinas Zentralität immer mehr zunimmt. Doch auch globale Veränderungen werden Frankreichs Erbe und seine Bedeutung für Europa nicht auslöschen. Es ist vielleicht die Idee der Größe selbst, die Frankreich in den schwierigsten Zeiten die nötige Energie für ein Wiederaufleben verleiht.
Die Synergien zwischen Zentralität und Größe sind mehr als nur die Bestätigung zweier getrennter politischer Identitäten. Sie sind impulsgebend für eine neue Humanität in der globalen Renaissance. Sie sind die Verbindung zwischen Ost und West, zwischen Norden und Süden. Sie bedeuten konkreten Universalismus.
Vor mehr als zwei Jahrtausenden hat Konfuzius die chinesische Kultur mit seiner Weisheit erleuchtet. Im 18. Jahrhundert haben Diderot (1713-84), d'Alembert (1717-83) und Condorcet (1743-94) den gesamten Kontinent mit ihrer Weisheit erhellt. In einer Welt von beispielloser Interdependenz hat allein der chinesisch-französische intellektuelle Austausch bereits viel zur Entstehung einer globalen Zivilisation beigetragen.
Wie Fan Zeng, Meister der traditionellen chinesischen Malerei, De Gaulle in Tinte verewigte, so haben sich die französische „grandeur" und die chinesische „Zentraliät" bereits miteinander vermischt. Die menschliche Suche nach Solidarität und Fortschritt beschränkt sich nicht nur auf China und Frankreich allein – sie ist zu einem universellen Standard geworden.
(Der Autor ist Leiter der Academia Sinica Europaea an der China Europe International Business School in Shanghai, Beijing und Accra und Gründer des Euro-China-Forums.) |