27-11-2013
Beschlüsse der Plenarsitzung
China lockert die Einkindpolitik
von Yuan Yuan

 

Eine neue Generation: In einem Kindergarten in Luoyang (Provinz Henan) (CFP)

Familien dürfen künftig ein zweites Kind haben, wenn einer der Elternteile Einzelkind war. Das geht aus einem am 15. November veröffentlichten Dokument hervor, das auf der dritten Plenarsitzung des 18. ZK der KP Chinas verabschiedet wurde.

Dieser Beschluss bedeutet eine weitere Lockerung der chinesischen Familienplanungspolitik.

China führte die Einkindpolitik in den späten 1970er Jahren zur Kontrolle seines Bevölkerungswachstums ein. In den Städten durften die meisten Paare nur ein Kind bekommen, auf dem Land zwei, falls das erstgeborene ein Mädchen war. Ende 2011 wurde es Paaren gestattet, zwei Kinder zu bekommen, wenn beide Elternteile Einzelkinder waren.

 

Wichtige Veränderung

„Dieser Wandel in der Politik ist von großer Wichtigkeit und ein Schritt hin zu einer vorteilhafteren Altersstruktur in der chinesischen Bevölkerung", meint Li Jianmin, Demographie-Experte an der Nankai-Universität in Tianjin. „Diese jüngste Änderung erfolgt zu einer Zeit, in der die chinesische Gesellschaft mit der wachsenden Belastung durch eine alternde Bevölkerung und die dadurch notwendigen Renten zu kämpfen hat. Es ist aber noch nicht das Ende der Familienplanungspolitik."

Laut einer Umfrage der Staatliche Kommission für Gesundheitswesen und Familienplanung werden 15 bis 20 Millionen Menschen von der neuen Politik betroffen sein, aber nur 50 bis 60 Prozent von ihnen wollen ein zweites Kind haben.

„Ich werde garantiert ein zweites Kind bekommen", sagt Hu Youli, eine Regierungsangestellte in Hefei, der Hauptstadt der ostchinesischen Provinz Anhui. „Ich war ein Einzelkind und weiß, wie einsam man sich da fühlen kann. Ich will nicht, dass meine Kinder die gleiche Erfahrung machen."

Yin Shanshan, Bühnenautorin in Beijing, die erst im Mai ein Kind zur Welt gebracht hat, sieht das anders. Selber ein Einzelkind, könnte sie nun ein zweites Kind haben, zieht es aber dennoch vor, nur eins zu bekommen. „Die Kosten für ein Baby sind sehr hoch, höher als die meisten annehmen", sagt sie. „In Beijing müssen Eltern mindestens 500.000 Yuan verdienen, um nur einem Kind eine vernünftige Ausbildung bieten zu können."

Liu Jing, Grundschullehrerin in Shanghai, hat noch keine Entscheidung für ein zweites Kind getroffen. „Wenn ich ein weiteres Kind bekomme, muss ich möglicherweise Vollzeitmutter werden. Sich um zwei Kinder zu kümmern, erfordert deutlich mehr Energie", sagt Liu. „Mein Mann will kein zweites Kind, er findet es schon anstrengend genug, sich um eins zu kümmern."

„Paare in Großstädten wie Beijing und Shanghai neigen dazu, nur ein Kind zu bekommen, während sie in kleinen und mittelgroßen Städten eher mehr Kinder wollen", erklärt Zhai Zhenwu, Direktor der School of Sociology and Population Studies an der Renmin-Universität in Beijing.

Laut einer gemeinsamen Umfrage der Southern Metropolis Daily aus Guangzhou in der südchinesischen Provinz Guangdong und des lokalen Nachrichtenportals gd.qq.com will ein Viertel der unverheirateten Befragten lieber jemanden heiraten, der ein Einzelkind war, um die Möglichkeit zu haben, ein zweites Kind zu bekommen.

Zhai glaubt, dass die Änderung der Familienplanungspolitik allein nicht ausreicht, um für eine Bevölkerungsexplosion zu sorgen.

„Ein großer Anstieg der Geburtenrate ist unwahrscheinlich, da es große Veränderungen in den Auffassungen zur Kindererziehung gab und die Kosten für das Aufziehen der Kinder ständig steigen", sagt Zhai. „Chinesische Eltern wollten früher viele Kinder haben, da sie glaubten, dass mehr Nachwuchs mehr Segen bedeutet und Kinder sich später um die Älteren kümmern sollten. Heute hat sich die Meinung vieler Eltern geändert."

Zhang Chewei, Experte für Bevölkerungswissenschaften an der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, glaubt, dass die Lockerung der Einkindpolitik langfristig positive Auswirkungen haben wird. „Die Vorteile wird man in 15 Jahren sehen können", so Zhang. „Der Anteil der arbeitenden Bevölkerung wird sich langsam verändern. Die Lockerung wird auch für das Wirtschaftswachstum hilfreich sein."

Liang Zhongtang, Bevölkerungswissenschaftler an der Shanghaier Akademie der Sozialwissenschaften, fordert eine stärkere Veränderung der Familienplanungspolitik. „Die jüngsten Maßnahmen reichen nicht aus", sagt er. „Am Ende sollte das Ziel sein, Beschränkungen durch die Regierung abzuschaffen und die Entscheidung den Familien selbst zu überlassen."

„Es ist jetzt noch nicht möglich, allen Paaren ein zweites Kind zu erlauben", meint Wang Pei'an, Vizeminister der NHFPC. „Das würde zu einer stark schwankenden Kinderzahl führen und den öffentlichen Dienst zu sehr unter Druck setzen. Langfristig würde es zu einem kontinuierlichen Bevölkerungswachstum führen und den Bevölkerungshöchststand nach hinten verschieben, was negative Auswirkungen auf Chinas wirtschaftliche und soziale Entwicklung hätte."

Trotz der gelockerten Beschränkungen werde es Wang zufolge eine jährliche Bevölkerungsplanung geben, um größere Bevölkerungsschwankungen zu verhindern.

Chinas Lebensmittelsicherheit und die Verplanung öffentlicher Ressourcen beruhen auf einer geschätzten Bevölkerungszahl von 1,43 Milliarden im Jahr 2020 und einer maximalen Bevölkerungszahl von 1,5 Milliarden im Jahr 2033.

Mao Qun'an, Sprecher der Kommission, stimmt dem zu. Familienplanung sei Teil der chinesischen Regierungspolitik. Offiziellen Schätzungen zufolge ist ein Bevölkerungsanstieg in Folge der Neuregelungen ausgeschlossen. Mao rechnet weiterhin mit einem relativ niedrigen Bevölkerungswachstum in China.

 

Potenzielle Auswirkungen

Er schreibt Chinas erfolgreicher Familienplanungspolitik die Eindämmung einer möglichen Bevölkerungsexplosion zu. Die Geburtenrate ging von 33,4 Promille im Jahr 1970 auf 21,1 Promille im Jahr 2012 zurück.

Ohne diese Politik hätte China Maos Schätzungen zufolge eine Bevölkerung von 1,7 bis 1,8 Milliarden, die Pro-Kopf-Verfügbarkeit von Ressourcen, darunter Ackerland, Getreide, Wälder, Trinkwasser und Energie wäre 20 Prozent niedriger als heute.

Mit diesen Zahlen wären Ressourcen und Umwelt durch das schnelle wirtschaftliche Wachstum überfordert gewesen, so Mao.

Die Einführung der Familienplanungspolitik legte die Grundlagen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Die sinkende Geburtenrate rückte aber auch die Überalterung der Bevölkerung in den Fokus und führte zu einem sinkenden Anteil der arbeitenden Bevölkerung.

Chinas sechste Volkszählung im Jahr 2010 ergab eine Fruchtbarkeitsquote zwischen 1.5 und 1.6, weit unter 2.1, dem Niveau, das nötig wäre, um die Bevölkerung auf einem konstanten Wert zu halten.

„Sowohl höhere als auch niedrigere Fruchtbarkeitsraten könnten der ausgewogenen Entwicklung der Bevölkerung und Sozialwirtschaft im Wege stehen", erklärt Guo Zhenwei, Beamter für Familienplanung bei der NHFPC.

Zahlen der NHFPC zeigen, dass Chinas Arbeitskraft 2012 um mehr als 3,4 Millionen sank, das war der erste „absolute Rückgang". Der Anteil der Älteren wächst dagegen weiter, fast 200 Millionen Menschen sind 60 Jahre und älter. Das entspricht einem Anteil von 14,3 Prozent an der Gesamtbevölkerung und liegt weit über der internationalen Norm von zehn Prozent. Prognosen zufolge wird der Anteil 2050 gemäß der bisherigen Familienplanungspolitik auf ein Drittel steigen.

China sollte eine Fruchtbarkeitsrate von rund 1,8 anstreben, um eine geordnete wirtschaftliche und soziale Entwicklung sicherstellen zu können, rät Yuan Xin, Professor für Bevölkerungsstudien an der Nankai-Universität.

„Die Familienplanungspolitik wird schrittweise angepasst und verbessert, um langfristig eine ausgewogene Bevölkerungsentwicklung zu fördern", erklärt Yuan. Seiner Prognose zufolge wird Chinas Fruchtbarkeitsrate auf einen Wert von allerhöchstens 2 zurückkehren.

Bis jetzt gebe es keinen einheitlichen Zeitplan für die landesweite Einführung der neuen Geburtenpolitik, so Mao. Es läge an den örtlichen Behörden, je nach regionaler Bevölkerungssituation zu entscheiden, wann die Änderungen in Kraft treten. 

„Wir müssen zuerst die aktuellen Gesetze zur Familienplanung ändern, bevor wir sie umsetzen können", erklärte Mao. „In Regionen, in denen es eine hohe Anzahl von Paaren gibt, die die Kriterien der neuen Politik erfüllen, sollen die älteren, denen weniger Zeit bleibt, ein zweites Kind zu bekommen, zuerst die Erlaubnis dafür erhalten."