25-11-2013
„Das ist mein Traum“
China-Träume des am längsten in China lebenden Deutschen
Ein Pionier des Kulturaustauschs zwischen Ost und West
von Zeng Wenhui
Ankunft in China

Kräuter sagt: „China war für uns geheimnisvoll, eigentlich unvorstellbar, wie nicht von dieser Welt, es schien uns so weit weg wie der Mond. Die Menschen dort trugen angeblich alle blaue Uniformen, in Deutschland sprach man von den Chinesen als  'blauen Ameisen', die alle gleich aussahen." Kräuters Großvater hatte Asien als Seemann kennengelernt, er kannte Städte wie Shanghai und Qingdao, und erzählte dem Enkel lustige Anekdoten, die Kräuter bis heute nicht vergessen hat, und die ihm, so glaubt er, von Kindheit an halfen, fremden Kulturen ohne Angst zu begegnen.

„Mit der Einladung des Verlags öffnete mir China seine Tore. Das war so einmalig, wie hätte ich ablehnen können?", so Kräuter.

Im "Mao-Look". Doch sollte der oberste Knopf eigentlich geschlossen bleiben (Foto von Uwe Kräuter)
 
Kräuter war für die Beijing Rundschau einer der ersten Mitarbeiter und Berater oder – so die offizielle Titulierung – „ausländischer Experte" aus Westdeutschland. Die ausländischen Mitarbeiter wohnten in Zwei-Zimmer-Apartments im Youyi Binguan, dem berühmten Freundschaftshotel aus den 1950er Jahren, eine riesige parkähnliche Anlage mit zahlreichen Gebäuden. Der Verlag stellte einen Bus, der die Ausländer vom Hotel abholte und wieder zurückbrachte, die Fahrt dauerte bei dem damals freifließenden Verkehr auf breiten Straßen zwölf Minuten. Arbeitszeit war von acht bis achtzehn Uhr, bei zweistündiger Mittagspause im Hotel. Nach einer Zeit des Pendelns zwischen der Beijing Rundschau und dem Buchverlag arbeitete Kräuter in späterer Zeit ausschließlich für die Beijing Rundschau.

Übliche Praxis war es, dass die chinesischen Kollegen in rascher Folge die Artikel und Dokumente übersetzten, und Kräuter korrigierte die gelieferte deutsche Version. Es herrschte permanente Eile. Die englische Übersetzung lag häufig bereits in grober Form vor und durfte für die Erstellung der deutschen Version zuhilfe gezogen werden. In Ausnahmefällen übersetzte Kräuter selber aus dem Englischen oder Französischen.

Uwe Kräuter mit vier Kollegen der Deutschabteilung der "Peking Rundschau" beim Spiel im Jahr 1982 (Foto von Uwe Kräuter) 
Kräuter sagt, die meisten chinesischen Kollegen blieben in seinen ersten zwei Chinajahren ihm gegenüber eher verschlossen, Grund seien die sehr komplizierten Bedingungen in der Kulturrevolution gewesen, die erst mit Maos Tod 1976 ihr Ende fand. Anschließend lockerte sich allmählich das Verhältnis, es gab mehr private Gespräche mit den Kollegen. Und wurde Kräuter früher bestenfalls spontan zur Teilnahme am Taijiquan auf dem Dachgarten des Verlagsgebäudes eingeladen, luden sich nun auf einmal Kollegen und Kolleginnen selbst bei ihm ein, etwa zum Gesellschaftsspiel, oder es hieß auch: "Am Samstagnachmittag kommen wir zu dir in die Wohnung zum Tanzen!" Heute sich erinnernd, fragt Kräuter herzhaft lachend: "Warum sollte man am Nachmittag tanzen?" Bald war es dann normal, dass Mitarbeiter ihn besuchten, sie gemeinsam ins Hotelrestaurant gingen oder mit dem Rad in die Stadt fuhren, oder auch er von ihnen zum reichhaltigen chinesischen Essen, das viele Stunden dauern konnte, zur Familie nach Hause eingeladen wurde.

Für Kräuter unvergesslich: Die Teilnahme an dem Staatsbankett zum 25. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China am Abend des 30. September 1974 in der Großen Halle des Volkes. Die Einladung war unterzeichnet mit dem Namenszug des Ministerpräsidenten Zhou Enlai. Unter den Gästen waren Parteiführer wie Deng Xiaoping, Ye Jianying, Zhu De und auch der Bauernführer Chen Yonggui aus dem für ganz China vorbildlichen Dorf Dazhai in der Provinz Shanxi. Für Chen Yonggui hegte Kräuter Hochachtung, da dieser einfache Mann, der wegen der Verhältnisse auf dem Land kaum die Schule besucht hatte, Vize-Ministerpräsident und Mitglied des Politbüros der KP Chinas geworden war. Vier Jahre nach dieser ersten Begegnung, also 1978, wurde Kräuter von Chen zu einem Interviewgespräch in die Große Halle des Volkes eingeladen.

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